Koch ist Gefangener seiner Mehrheit

IM GESPRÄCH Tarek Al-Wazir, Mitglied von Bündnis90/Grüne im Hessischen Landtag, über einen Justizminister ohne Unrechtsbewusstsein und eine FDP ohne Stehvermögen

Die hessische CDU ist zur Haupterbin des Flick-Skandals geworden. Als Privatkredite oder jüdische Vermächtnisse getarnt, regneten eidgenössische Sterntaler oft im richtigen Moment auf die Partei Roland Kochs, nämlich zu Wahlkampfzeiten und während der CDU-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Schon seit dem vergangenen Jahr befasst sich die hessische Staatsanwaltschaft mit den Vorgängen. Mitte dieser Woche kam es in der Affäre zu einem parlamentarischen Intermezzo. Der Wiesbadener Landtag stimmte über seine Selbstauflösung ab.

FREITAG: Seit dem 16. Dezember 1999 ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft auf Antrag der Grünen-Fraktion die Vorgänge um die illegale Parteifinanzierung der hessischen CDU.

TAREK AL-WAZIR: An diesem Tag hat Roland Koch noch im Landtag gesagt, es sei alles in Ordnung, es gebe kein Rechenwerk außerhalb des offiziellen Rechenwerks. Das war aber damals schon so widersprüchlich, dass wir gesagt haben, den Fall müssen Leute mit Strafverfolgungskompetenzen übernehmen.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle von Justizminister Christean Wagner?

Der Justizminister hat sich bemüßigt gefühlt, in der Frage, ob durch das Verhalten von Manfred Kanther Straftatbestände tangiert wurden, diesen per Radio-Interview freizusprechen. Wenn das in der letzten Legislaturperiode gewesen wäre, als Christean Wagner noch in der Opposition war, dann hätte er so viele Rücktrittsforderungen losgelassen, dass er Schaum vor dem Mund gehabt hätte.

Christean Wagner spielt derzeit eine sehr unheilige Rolle?

Als Person ist Wagner derjenige, der in der letzten Legislaturperiode auf sehr hohe Maßstäbe geachtet hat. Wenn im Knast nur eine Tür gequietscht hat, war immer schon der Rücktritt von Rupert von Plottnitz fällig. Für Wagner selbst scheinen diese Maßstäbe nun offensichtlich nicht zu gelten. Die unrühmliche Rolle ist schlicht, dass ein Justizminister per Radio-Interview Freisprüche verteilt, während seine Staatsanwaltschaft die Aufnahme von Ermittlungen prüft und später sogar die Landesgeschäftsstelle der CDU durchsucht.

Versucht er sich damit vor Roland Koch zu stellen und von diesem politischen Druck zu nehmen?

Roland Kochs Problem ist mehr, dass alle diese Leute - Christean Wagner, Volker Bouffier, Franz-Josef Jung - nicht nur seine Minister sind, sondern auch Mitglieder der Landtagsfraktion. Wenn er einen davon vor den Kopf stößt, wie er es eigentlich tun müsste - etwa durch eine Entlassung - dann hat er im Landtag keine Mehrheit mehr bei seinen zwei Stimmen Vorsprung. Verliert er eine, kommt es zum Patt. Insofern ist der Ministerpräsident Gefangener seiner knappen Mehrheit.

Die FDP scheint das aber nicht zu stören.

Die FDP ist so etwas wie der Wurmfortsatz der CDU hier in Hessen. Die Liberalen hätten eine Chance gehabt, die aufrechten Konservativen einzusammeln, wenn sie sich hingestellt hätten, wo man sich hinstellen muss, wenn man noch ein bisschen Anstand hat. Denn wir hatten im Februar 1999 bei den letzten Landtagswahlen einen Wettbewerb, bei dem ein Teilnehmer gedopt war. Im Sport führt das in aller Regel dazu, dass der Sieger disqualifiziert wird. Da die FDP mit 5,1 Prozent von der gedopten CDU mit aufs Treppchen gehoben wurde, ist sie jetzt Gefangener auch dieser Partei.

Insoweit war die Abstimmung im Rechtsausschuss, als die FDP gegen ihren Koalitionspartner stimmte, nur ein Ausreißer gewesen?

Leider ja. Am Tag der Abstimmung im Rechtsausschuss hatte ich noch die Hoffnung, die FDP würde die Zeichen der Zeit erkennen. Leider bin ich eines Schlechteren belehrt worden.

Schielt die FDP mit dieser bedingungslosen Treue auch auf die kommenden Wahlen in Schleswig-Holstein?

Es scheint so, als hätte die Partei eine panische Angst, sich von der CDU zu lösen und dann auf Leihstimmen verzichten zu müssen. Selbst in Situationen wie heute ist sie nicht mehr zur Emanzipation von den Christdemokraten fähig. Es gibt in dieser Partei einfach keine Liberalen mehr.

Bisher sind die Umfragewerte im Umfeld der Parteispendenaffäre für die Grünen nicht unbedingt gestiegen, im Gegensatz zum Beispiel zur FDP und SPD. Wie ist das zu erklären?

Aus grundsätzlichen Erwägungen der Chancengleichheit zwischen den Parteien muss es in Hessen zu Neuwahlen kommen. Selbst wenn wir heute wüssten, dass wir Sitze verlieren, sind wir trotzdem für Neuwahlen, weil das einfach für die demokratische Kultur notwendig ist.

Das Gespräch führte Jörn Kabisch

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