Kostümbildnerin Anja Rabes über die Arbeit am Theater: „Ich mache Nicht-Kostüme“
Interview Anja Rabes spricht mit dem Freitag über ihre Arbeit als Kostümbildnerin: Sie erklärt, wie aus einer textlichen Grundlage ein Bild entsteht und wie sie das Kostüm entwickelt. Über einen Bestandteil des Theaters, der so wenig gewürdigt wird
Finden Sie alle Unterschiede? Fritzi Haberlandt, Susanne Wolff und Linn Reusse in „Angabe der Person“ am Deutschen Theater Berlin
Foto: Christoph Soeder/dpa
Mal ist es nur eine Krawatte, mal ein knalliger Pullover: Anja Rabes setzt die Akzente bei ihren Kostümen sehr gezielt. Ohne die Figuren zu erdrücken, hebt sie sie hervor. Besonders deutlich sind diese Kontraste derzeit in Hannover zu sehen. Stephan Kimmig, mit dem Rabes oft zusammenarbeitet, hat dort Michel Friedmans autobiografisches Langgedicht Fremd mit einem vierköpfigen Ensemble auf die Bühne gebracht. Die beiden Herren treten nahezu unscheinbar-traditionell in weißem Hemd oder grauem Pullover auf, die beiden Schauspielerinnen hingegen in quietschbunten Oberteilen. Bei traditionelleren dramatischen Stoffen, wie dem derzeit in Stuttgart zu sehenden Rheingold oder einer Inszenierung von Knut Hamsuns Mysterien 2021 am Schauspielhaus Bochum, spielt sie mit dem Ve
Bochum, spielt sie mit dem Verhältnis von historischem Kontext und zeitgenössischer Interpretation. Vom klassischen Dreiteiler bis zu weiß gekleideten Darsteller:innen, die sich nur durch die Farbe ihrer Caps unterscheiden: Anja Rabes’ Kostüme verorten die Figuren zwischen Geschichte und Gegenwart, halb historisierend, halb heutig-schrill. Doch wie entsteht ein solches Kostüm? Und warum wird diese Kunstform im Theaterdiskurs so wenig wahrgenommen und gewürdigt?der Freitag: Frau Rabes, am Anfang einer Produktion steht meistens der Text – wie wird daraus ein Kostüm?Anja Rabes: Wenn ich einen dramatischen Text lese, springt mich eigentlich immer eine Figur an, zu der mir die ersten Gedanken kommen. Daraus entspinnt sich der Rest. Dann beginne ich damit, Inspirationen aus unterschiedlichen Bereichen zu sammeln. Das kann aus der Fotografie, Kunst, Geschichte der Mode sein oder aus dem Leben der Autor:innen, des Stücks. Das können Beschreibungen in Romanen sein, die mich auf eine Idee bringen, ein Film. Aus diesen Fotos und ersten Figurinen, die ich zeichne, erstelle ich Moodboards für die einzelnen Rollen, die ich mit den Regisseuren bespreche und bei der Konzeptionsprobe den Schauspielenden vorstelle. Bei der Kostümabgabe in der Theaterschneiderei erkläre ich die Entwürfe und wir besprechen, wie sie am besten zu realisieren sind. Dort wird über Schnitte, Farben und Stoffe entschieden, und die Anproben werden vorbereitet.Arbeiten Sie auch aktiv mit den Schauspieler:innen zusammen, die die Kostüme am Ende auf der Bühne tragen?Mir ist der Dialog mit den Schauspieler:innen sehr wichtig. Ich will ihnen nichts aufzwingen, womit sie nichts anfangen können. Ich habe ein Konzept für meine Entwürfe, während der Proben entwickeln die Schauspieler:innen natürlich eigene Vorstellungen und wir spinnen die Figuren weiter. Schon im Probenprozess sind Probenkostüme hilfreich, um einen tieferen inhaltlichen Zugriff auf eine Rolle zu bekommen. „Manipulieren“ ist ein negativ besetztes Wort, aber wenn ich es positiv umdeute, dann kann ein Kostüm Schauspielende dahingehend manipulieren, wie sie eine Rolle weiterentwickeln. Ein Kostüm hilft, eine Rolle plastisch werden zu lassen. Oft denke ich daran zurück, dass ich einmal einem Schauspieler zu Probenbeginn ein paar Hausschlappen gegeben habe. Später sagte er mir, dass er die ganze Rolle über diese Schlappen entwickelt hat. So etwas zu hören, finde ich großartig: was für subtile Dinge auf einmal eine große Bedeutung bekommen.Theaterkostüme sind nicht für die Ewigkeit gemacht. Ist eine Produktion vorbei, werden die Kostüme nicht mehr getragen. Ist das manchmal traurig für Sie?Das ist Theater. Das gehört zum Prozess. Aber ich bedauere es, wenn eine Produktion abgespielt wird, von der ich wirklich überzeugt war. Manchmal laufe ich durch einen Fundus und finde Kostüme, die ich irgendwann mal entworfen habe. Da werden mir meine ästhetischen Veränderungen bewusst.Wie haben sich Ihre Kostüme denn verändert?Zum Beispiel durch MeToo, als uns bewusster wurde, wie sehr wir vom männlichen Blick auf Frauen geprägt sind, haben sich meine Kostüme sicher weiterentwickelt. Zwar waren meine Kostüme auch in den 2000er Jahren nicht sexistisch, aber ich habe jetzt einen genaueren Blick dafür, dass ich das Klischee der Frau im knappen Minirock und mit Highheels nicht mehr auf die Bühne stellen würde, außer es ist wirklich notwendig für die Rolle.Beeinflussen Modeströmungen auch Kostüme?Diese Beeinflussung geschieht beidseitig und kann sehr fruchtbar sein! Vivienne Westwood ist dafür ein ikonisches Beispiel. Mit historischen Kostümen als Vorlage hat sie neue, teils hypererotische Mode geschaffen, die überhaupt nicht sexistisch, sondern im Gegenteil sehr selbstbewusst und emanzipiert ist. Die heutige Mode wiederum kann für Kostüme inspirierend sein.Gibt es beim Kostümbild wie bei anderer Kleidung auch Trends?Ich beobachte momentan, dass eine hohe Künstlichkeit im Kostüm angesagt ist: eine ästhetische Orientierung an virtuellen Realitäten, Computerspielen oder knalliger Werbung.Wie beschreiben Sie Ihren eigenen Kostüm-Stil?Vor einigen Jahren hat ein Dramaturg über mich gesagt, dass ich Nicht-Kostüme mache. Die Schauspieler bleiben individuell, sie werden zu Figuren, die eine Biografie haben, ohne Stereotype zu werden. Egal, ob sie historisch oder modern angelegt sind. Sie bleiben nahbar, trotz Kostüm. Außerdem arbeite ich supergerne mit Perücken. Es ist grandios, wenn Schauspieler:innen diese starke Typveränderung mitmachen.Sind Theaterkostüme zum Verkleiden da, auch wenn sie an alltägliche Kleidung erinnern?Kostüme bieten immer eine Art, sich zu verkleiden! Beim Theater helfen sie, sich einem Charakter zu nähern. Beim Verkleiden, wie es Menschen zu Karneval tun, suchen sie nach etwas, was sie selbst nicht sein können oder dürfen. Beide Formen der Kostüme eint, dass man sich etwas Neues aneignet, was mit einem selbst erst mal wenig zu tun hat.Theater sind in der Regel sehr hierarchisch aufgebaut. Welche Position haben Kostümbildner:innen in diesem System?Die Hierarchie rührt aus vergangener Zeit und besteht leider immer noch stark. Kostümbildner:in ist vorrangig ein Frauenberuf, ich glaube, das erzählt schon einiges. Aber die Struktur im Theater ist dabei, sich zu verändern. Ich habe das große Glück, in Teams zu arbeiten, in denen meine Arbeit sehr geschätzt wird und in denen sich jeder in seinem künstlerischen Feld respektiert.Müssten Kostümbildner:innen für ihre künstlerische Arbeit mehr Aufmerksamkeit bekommen?In der Öffentlichkeit fällt mir auf, dass in Theaterkritiken Kostüme zwar genau beschrieben werden, die Namen der Kostümbildner:innen aber oft nicht vorkommen. Auch finanziell sind Kostümbildner:innen am Theater oft deutlich schlechter gestellt als Bühnenbildner:innen, und Männer werden besser bezahlt.Was muss passieren, damit sich die Position von Kostümbildner:innen verändert?Sich vernetzen und offener über Honorare sprechen! Zwischen Frauen und Männern genauso wie zwischen Bühnen- und Kostümbild. Erst durch transparente Gespräche entsteht die Möglichkeit, sich dafür einzusetzen, dass diese massiven Gaps kleiner werden.Was inspiriert Sie?Ich habe ein riesiges Bücherregal mit Büchern über Fotografie, Malerei und Kunst. Darin blättere ich gerne. Das Internet hilft natürlich auch. Was zu einer speziellen Idee passt, sammle ich. Dazu gehören auch Fotos von Bewegungen, Farben oder Gemeinschaften von Menschen. Oft geht es mir dabei mehr um die Atmosphäre als um die Kleidung. Wenn ich unterwegs bin und über die Straße laufe, dann nehme ich meine Umgebung und die Menschen, die mir begegnen, sehr genau wahr. Die Modetheoretikerin Barbara Vinken ist eine gute Quelle, wenn es um Sinn und Bedeutung von Mode über die Jahrhunderte geht. Neben all diesen Dingen sind es die Menschen, die mich bei der Arbeit umgeben, von den Schauspieler:innen über die Maskenbildner:innen bis zu den Schneider:innen.Müssen Sie als Kostümbildnerin gerne shoppen gehen?Ich gehe nicht gerne shoppen.Wenn ich etwas kaufen muss, dann suche ich in Vintage-Läden nach speziellen Teilen, die schon eine Geschichte mit sich bringen.Und zum Schluss: Wie erzählt man eine Geschichte über ein Kostüm?Das liegt im Detail. Sehr besonders war das für mich bei Elfriede Jelineks Angabe der Person am Deutschen Theater in Berlin. Dort spielen drei Frauen drei Facetten einer Figur. Die drei Schauspielerinnen tragen fast identische Kostüme, sind darin aber ganz verschieden: schwarze Hosen und schwarze Schuhe, eine rotblonde Perücke, weiße Blusen und farbige Pullunder. Aufgrund der Differenzierung der Schnitte, Stoffe, Frisuren wirkt jede in ihrer individuellen Abspaltung der Figur anders. Auf den ersten Blick sehen sie gleich aus, auf den zweiten Blick werden die Unterschiede sichtbar.Placeholder infobox-1
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