Kritik der Warenhausästhetik

Woolworths Ende Das sterbende Warenhaus bedeutet auch das Ende eines Versprechens auf demokratischen Konsum. Es bleiben die protzigen Konsumtempel und verwahrloste Discountermärkte

Die Insolvenz von Woolworth, die bei manchen, vom Prekarisierungsoutfit der Kaufhauskette genervten Kunden womöglich Erleichterung ausgelöst hat, ist zum Anlass genommen worden, einen Abgesang auf die Institution des Warenhauses insgesamt anzustimmen. Angesichts der Ausdifferenzierung der Konsumentenbedürfnisse sei das alte Warenhaus nicht mehr zeitgemäß, hieß es, und werde durch eine Vielzahl spezialisierter Ladenketten und durch preiswerte Mega­stores ersetzt.

Übersehen wird dabei, dass die bürgerliche Institution des Warenhauses, gerade auch in seiner Proll-Variante à la Woolworth, einst den großstädtischen Massen versprochen hatte, was im linksautonomen Milieu mit der Parole „Luxus für alle“ eingeklagt wird: Hier gab es nicht nur die Gegenstände des täglichen Bedarfs, sondern auch preiswerte, ordentliche Ausführungen jener Genussgüter und Luxusaccessoires, die vor noch nicht allzu langer Zeit lediglich einer kleinen Schicht zugänglich gewesen waren. Die oft exotisch dekorierten Auslagen, die überbordenden Warentische und das je eigene Flair der verschiedenen Abteilungen des Warenhauses vermochten den Konsumenten anschaulich vor Augen zu führen, was Marx mit seiner Rede von der „ungeheueren Warensammlung“, als die der Reichtum der kapitalistischen Gesellschaften sich darstelle, gemeint haben mag.

Mit dem Aufkommen der Supermärkte hat sich dieses Versprechen, an dem sich die kritische Phantasie von Autoren wie Walter Benjamin, Ernst Bloch oder Franz Hessel entzündet hat, mehr und mehr in Luft aufgelöst. Das überschüssige, ornamentale Mo­ment der alten Warenhäuser, ihr stolz zur Schau gestellter Überfluss sowie ihre Nischen für kuriose Güter, wurden ersetzt durch eine Ästhetik der Sachlichkeit: Supermärkte bieten zwar ebenfalls alle Waren im Überfluss an, locken ihre Kundschaft aber nicht mehr mit der Anregung zum Flanie­­ren. Vielmehr zielen sie auf ein Publikum, das von vornherein weiß, was es will, das wenig Geld und noch weniger Zeit hat, und nicht schön umworben, sondern zuverlässig bedient werden möchte.

Gerade in Deutschland hat diese Discounter-Kultur dazu beigetragen, die Lustfeindlichkeit und Miefigkeit, die man hierzulande für einen Ausdruck gelebter Demokratie hält, im Alltag zu verankern. Zugleich aber waren die Supermärkte immer auch Ausdruck eines zwar kargen, aber allgemeinen Wohlstands, einer Lebensform, die man als Aldi-Kultur bezeichnet hat, und der zu verdanken ist, dass ehemalige Luxusgüter wie Bioprodukte endlich breit verfügbar geworden sind und dabei ihre ideologische Überhöhung weitgehend eingebüßt haben.

Mit seiner Mischung aus Billigproduktion und bürgerlicher Warensammlung stand Woolworth für den Übergang vom Warenhaus zum Supermarkt, sein Niedergang war wohl unvermeidlich. Das Versprechen eines besseren Lebens für alle geht dabei endgültig verloren. An seine Stelle treten einerseits protzige Konsumtempel wie das Berliner Lafayette oder groteske Unternehmen wie Manufactum, die völlig unbrauchbare Waren im Angebot haben, und andererseits auf den Hund gekommene Discounter, deren Mitarbeiter kaum noch besser gestellt sind als die Obdachlosen, die sich davor versammeln. Insofern bedarf es keiner aufwändig organisierten Marx-Seminare, um zu erkennen, was bald auf uns alle zukommt. Es reicht ein Spaziergang durch den eigenen Kiez.

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