Kubikdeutsch

Gemeinplatz Kolumne

Als ich neulich in Kalkutta zum Frühstück eingeladen war, hatte der indische Gastgeber extra Bier gekauft. Ich habe es aus Höflichkeit getrunken - und unversehens den Beweis geführt: Deutsche trinken Bier zum Frühstück. Wer schon mal Frank Zander morgens im Flugzeug beobachtet hat, weiß das. Wer es immer noch nicht glaubt, gehe zum Frühschoppen ins "Hofbräuhaus" in Los Angeles oder zu "Zum Schneider" (Bavarian Indoor Biergarten, East Village, Manhattan). Der Ballermann-Effekt, deutscher als deutsch, deutsch im Quadrat, kubikdeutsch. Und nach dem zweiten Hefeweizen die brennende Überzeugung, dass die Weißwurscht als solche de facto deutsches Kulturgut ist.

Seit vier Jahren lebe ich in Amerika. Und welcher Genius hat gleich noch gesagt, "Kunst zeigt den Deutschen, wer sie sind"? Jedenfalls hab ich hier gelernt, mich für meine Pünktlichkeit zu entschuldigen: "Sorry, ich bin Deutsche", sage ich und werde verstanden. Am Anfang war das ironisch gemeint. Am Anfang war vielleicht auch Rammsteins schnarrendes Nazi-R ironisch gemeint, oder Gunter von Hagens´ frankenstein-verbrämter Beuys-Look. Dann ist es zum internationalen Dauerbrenner verkommen, Rammstein zum Katalysator der "Neuen Deutschen Härte", und Gunter von Hagens zum "kontroversen Entertainer" (sagt eine amerikanische Internetseite).

Pathos ist Deutsch. So was lernt man im Ausland. Wenn ich einem amerikanischen Freund eine CD zusammenstelle, dann wähle ich nicht die deutsche Musik aus, die mir gefällt, sondern die, die deutsch genug klingt, um die Idee meines Freundes zu treffen. Da hilft man gern. Und richtet Flurschaden an.

Das Deutschen-Klischee in der Welt ist ungebrochen. Man sieht das zum Beispiel an der Liebe zu deutschen Autos. Der BMW führt den Kosenamen "Beemer". Mercedes wird "Merc" oder "Benz" genannt. Volkswagen heißt "Folkswaggon" oder "Vee-Dub", der Porsche wird "Porsch" gesprochen und der Golf heißt in den USA "Rabbit", tatsächlich, viele Golfs haben sogar anstelle des Namenszugs zwei kopulierende Hasen am Heck. Ein bisher ungelöstes Rätsel für mich. Sollten wir zusätzlich zum Häusle baue, Auto putze, Rechthabe, Pünktlichseie auch weltweit fürs gewissenhafte Rammeln bekannt sein?

Good Bye Lenin, das war ein Film, der den Amis das Gefühl gab, endlich auf geschmackvolle Weise zu erfahren, wie es früher in der DDR war (lustig). Das befriedigt sie viel mehr als meine Schilderungen aus dem Osten Deutschlands. Differenziertheit lässt sich schlecht unter dem Label "deutsch" zusammenfassen. Der Film liefert alles für die Neue Welt Interessante aus dem Sozialismus, rund um den Mauerfall, ostdeutsche Tristesse, Plattenbau-Romantik - verallgemeinerbare Comedy. Das ist das Rezept: Keine Experimente. Im Höchstfall Ironisierung, aber in Maßen. Deutsche Künstler, Gastronomen, Fotografen, Modemacher, die im Ausland Erfolg haben, wissen das.

Sogar der Österreicher Hitler und die Schweizerin Heidi werden uns (wohlwollend) auf die Fahnen geschrieben. Hitler in Indien (Mein Kampf gehört zu den Dauerbrennern beim Buchverkauf am Straßenrand) und den Arabischen Staaten ("Wir mögen die Deutschen, weil sie die Juden weggemacht haben" ...), Heidi in Japan.

Letzte Woche erst erklärte mir eine an Europa interessierte New Yorker Freundin, sie hätte Lola rennt gesehen und fände es typisch ostdeutsch wegen der "puffy Faces" (verquollene Gesichter), der "merkwürdigen Architektur", "russischen Haarfarben" und des "unterirdischen Hip Hop". Man lernt nie aus.

Allein durch Zuspitzung wird ein Klischee kreiert. Auslandsdeutsche in ihrer (heimwehbedingten?) Zuspitzung tragen erheblich zur internationalen Deutschtümelei bei. Nur die Bedienung des Deutschland-Klischees bringt den Erfolg. Nur der Erfolg bringt Ruhm. What the heck? Eine Faszination für faschistische Ästhetik à la Riefenstahl ist ja noch lange kein Faschismus.

Ich war sprachlos, als ich im Deutschland-Regal von "Kim´s Video" am St. Marks Place im East Village, Manhattan, Jud Süß und Der Ewige Jude sah, zwei Filme, für die ich mich in zehn Jahren ekstatischer Filmliebhaberei nicht hatte qualifizieren können, weil sie entweder nur mit Kommentaren oder nur für Cineasten-Klub-Mitglieder gezeigt werden oder ausverkauft sind oder nicht richtig angekündigt werden (das Risiko: Ich könnte, als genetisch potenzielle Täterin, im Stechschritt aus dem Kino marschieren, das Horst-Wessel-Lied auf den Lippen). Und hier standen sie einfach so im Video-Regal? Zwischen Wenders, Fassbinder und Schlöndorff?

Das Adam-Clayton-Powell-Denkmal vor Clintons Bürogebäude in Harlem, Manhattan, könnte von einem Künstler der Neuen Leipziger Schule stammen. Es hat eine Ahnung von "Sakko und Jacketti" (Marx-Engels-Denkmal in Berlin-Mitte) und Wladimir Iljitsch Lenin mit einem Hauch Wut über den verlorenen Groschen (Beethoven), aber es zeigt das, was in Amerika - und vielleicht auch in der restlichen Welt, da verlassen mich meine statistischen Angaben - die "deutsche Idee" genannt wird, heroischen Realismus.

Auch ist der Kleidergeschmack des amerikanischen Wilden Westens durchaus mit dem Kleidergeschmack der DDR zu vergleichen. Und so gibt es gewisse wunderbare weltweite kulturelle Kurzschlüsse - mit dem Nebeneffekt, dass ein Deutschland-Trend erzeugt wird, der mit Deutschland ebenso wenig zu tun hat wie Königsberger Klopse.


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