Kunstblutbürgers Zwangsehe

Bühne "Romeo und Julia" ist ohnehin ein langweiliges Stück und der Stuttgarter Inszenierung von Catja Baumann fehlt das Wichtigste: die Poesie

Kein Balkon in Verona. Muss ja nicht sein. Stattdessen hängt Julia, bekleidet nur mit schwarzer Unterwäsche und Socken, kopfüber vom Ast eines schrägen, später dann mittels Gegengewicht gedrehten Baums. Romeo kann‘s nicht fassen und fängt an, spielerisch mit ihr zu raufen. Ich Tarzan, du Jane.

Machen wir uns nichts vor. Romeo und Julia ist ein langweiliges Stück. Man muss es nicht aufführen. Wenn man es tut, so interessiert nicht die Handlung, nicht ihr Fortgang und erst recht nicht ihr Ende, sondern Shakespeares Poesie, auch in einem von mehr oder weniger begabten Übersetzern mit Respekt vor dem Original geschaffenen Deutsch. Ohne diese Sprache bleibt von Romeo und Julia nicht mehr als von Beethovens Neunter, wenn man sie auf der Okarina bläst.

Die Konstante der in Mode gekommenen Bearbeitungen, die den Hit, nicht aber Shakespeare auf die Bühne bringen wollen, ist – wie originell – die Liebe plus Doppeltod aus Versehen (und keineswegs als geplanter gemeinsamer Selbstmord wie etwa in Lubitschs wunderbarem Film Eternal Love). Die Variablen sind die Gründe, derentwegen die Familien oder Kollektive, denen die beiden Titelfiguren angehören, verfeindet sind. Sie sind der Aufhänger für Aktualisierungen. In Stuttgart haben sie mit einem Bauprojekt in Verona zu tun. Lerche, ick hör dir trapsen. Da hält der supersmarte Tybalt eine Rede gegen den „Wutbürger“; seht her, man ist auf der Höhe des öffentlichen Diskurses! Romeo und Julia als Kabarett. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Wenn es nur besser wäre. Josef Hader, bitte um ein Gespräch!

In Leonard Bernsteins West Side Story funktionierte die Aktualisierung, weil Musik und die Choreografie von Jerome Robbins Shakespeares Poesie unter Beibehaltung der Struktur ersetzten. In Stuttgart können Jargon und platte Witzchen das nicht leisten. An den Schauspielern, die, wenn außer Betrieb, am Rand der flachen Bühne sitzen, liegt es nicht. Die geben ihr Bestes, unter vollem Einsatz, denn die Inszenierung von Catja Baumann drückt aufs Tempo, lässt sie die Dialoge wie aus der Pistole geschossen sprechen.

Schauspieler überspringen die Rampe und machen das Publikum an, das ohne Gage mitspielen muss. Wenn es aufgefordert wird zu jubeln, tut es denn brav mit. Wenn dann der Streit zwischen den Montagues und den Capulets zu einem blutigen Gemetzel eskaliert, vermag das keinen Schrecken auszulösen, weil die Zuschauer zuvor auf Kasperltheater eingestimmt worden sind. Schon wahr, der Umschlag vom Komischen ins Tragische kann eine Methode sein (unübertroffen in Jiri Menzels Film Scharf beobachtete Züge). Hier aber klappt das nicht. Wenn Romeo am Ende ganz naturalistisch Blut spuckt, glauben wir ihm keinen Tropfen. Es wirkt nur unfreiwillig komisch. Und man ist fast erleichtert, wenn Julia sich das Klappmesser ins Herz sticht, würgt, und alle drum herum durcheinander schreien.

Die Aktualisierung geht auch deshalb in die Hose, weil sie nicht konsequent ist. Papa Capulet verordnet Julia den Ehemann seiner Wahl, obwohl er nicht direkt ein Muslim ist. Man könnte ihn, wenn‘s denn sein soll, zum Muslim machen wie Ariane Mnouchkine den Tartuffe, oder man kann das Stück in der Zeit spielen lassen, in der es bei Shakespeare spielt. Aber wenn auf der Bühne Menschen von heute stehen, geht die Konstellation nicht auf. Die Zwangsehe ist unter Christen nicht mehr das Hauptproblem. Nicht in Verona, und nicht einmal in Stuttgart.

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