Es sind die Voraussetzungen gut, und die Bedingungen werden entsprechend hergerichtet. Es wird noch etwas dauern, auch wenn das Ergebnis wohl schon feststeht. Erstmals wird es in Österreich zu einer schwarz-grünen Koalition kommen. Die Wahrscheinlichkeit steigt von Woche zu Woche. Die von Sebastian Kurz türkis gefärbelte Volkspartei hat sich nicht nur schnell auf exklusive Gespräche mit den Grünen festgelegt, sie möchte dieses Modell offenbar als europäischen Prototyp für sich veranschlagen.
Ähnliches gilt für die Grünen unter ihrem Parteichef, Werner Kogler. Schnell waren die Misstöne aus dem Wahlkampf abgelegt, aktuell streut man sich nur noch Rosen. Man betont zwar die Schwierigkeiten, lobt aber immerzu die ausgezeichnete Atmosphäre. Ob die Grünen dieses Bündnis auf Bundesebene durch- und überstehen, wird sich weisen, aber dass sie wollen, ist augenscheinlich. Schließlich koalieren Grüne schon in vier Bundesländern mit der ÖVP und in lediglich einem (Wien) mit den Sozialdemokraten. Die schwarz-grünen Allianzen in Westösterreich funktionieren weitgehend friktionsfrei.
Aus dem Frischen schöpfen
Ganz verschwunden ist das Zerrbild der Grünen als Chaoten-Truppe. Jahrelang wurde von der ÖVP das rot-grüne Chaos beschworen, nun ist diese Chiffre sang- und klanglos untergegangen. Wer sollte es auch noch glauben? Was immer man von den Grünen halten mag, sie sind auf jeden Fall die mit Abstand seriöseste und unbescholtenste Kraft am politischen Markt, weitgehend korruptionsfrei und auch, was Ämter- und Postengeilheit betrifft, nicht im ungustiösen Vorderfeld angesiedelt. Es wird sowieso genug abfallen für die jetzt noch wenig in den Staatsapparaten verankerte Ökopartei. Während die SPÖ gezwungen ist, Parteiangestellte zu entlassen, werden die Grünen in den nächsten Monaten kräftig aufrüsten können. Qualifizierte Leute gibt es genug.
Die Grünen haben noch dazu einen ungemeinen Vorteil, sie müssen auf alteingesessene Bürokratien keine Rücksicht nehmen, sondern können, weil sie 2017 aus dem Nationalrat geflogen sind und dabei den gesamten Parlamentsapparat und den Großteil des Bundesparteiapparats verloren haben, nun völlig aus dem Frischen schöpfen. Der Mangel an Erfahrung sollte nicht überschätzt werden, außerdem haben sie mit Kogler, dem letzten verbliebenen Recken aus der Gründergeneration von 1986, einen, der eine Unmenge an Erfahrung konzentriert und diese, gestärkt durch den Wahlerfolg, auch auszuspielen versteht.
Passen Kurz und Kogler also gut zusammen? Das ist gar nicht die primäre Frage. Man wird sie sowieso zusammenpferchen. Dieser Eindruck entstand bereits am Wahlabend. Fast alle medialen Kommentare bestärken diese Sicht. Die Koalition wird regelrecht eingetrommelt. Kurz und Kogler würden sich schwertun, diesem Druck zu entfliehen, aber das wollen sie ohnehin nicht. Die Bevölkerung ist inzwischen mehrheitlich für ein Bündnis zwischen der Volkspartei und der Ökopartei. Auch unter Grün-Wählern ist es eine satte Mehrheit. Das ging zweifellos rasch. Es ist davon auszugehen, dass die Verhandlungen schon weiter gediehen sind, als ÖVP und Grüne in der Öffentlichkeit preisgeben. Sie selbst wollen das Gesetz des Handelns nicht verlieren und den Zeitpunkt bestimmen, wo Medium und Publikum informiert werden. Die Message Control funktioniert.
Auch wenn stets Inhalte beschworen werden, hat man doch den Eindruck, als ginge es in erster Linie darum, das Gesicht zu wahren. Es herrscht schlicht Pragmatismus. An und für sich betrachtet spricht auch wenig gegen dieses Bündnis, schon gar nicht die Programmatik, die notfalls situationselastisch aufbereitet wird, damit zusammenfindet, was sich finden möchte. Wir haben es hier mit keiner hybriden Konstellation zu tun.
Kleineres Übel
Werner Kogler betont ausdrücklich, dass die Konservativen fast dreimal so stark sind wie die Grünen. Das soll etwaigen Enttäuschungen vorbeugen. In beiden Parteien ist jedenfalls nicht mit Widerständen oder gar Turbulenzen zu rechnen. Hervorgehoben wird zwar immer wieder, wie schwierig es sei, die doch auseinander liegenden Positionen zu einem Regierungsprogramm zu verdichten, doch das ist eher der Rhetorik als der Realität geschuldet. Man wird können, weil wollen. Die Grünen wollen an die Regierung und die Türkisen wollen ihre Macht und ihren Einfluss in dieser weiter ausbauen. Das ist vereinbar.
Wer nun meint, die Grünen verkauften sich zu billig, der irrt. Der von Sebastian Kurz zu bezahlende Preis ist deren Marktpreis. Mehr gibt es nicht, und Kogler weiß das auch. Daher ist Tiefstapeln angesagt. Dieses „Ohne uns wäre die FPÖ an der Regierung“ wird reingehen. Das hat zwar überhaupt keine Perspektive, aber unmittelbar, solange auf der Ebene des kleinsten Übels gedacht wird, einiges an Überzeugungskraft. So geht einmal mehr die Zukunft in der Verantwortung unter. Aber solange nichts anderes in Sicht ist, ist dasselbe in Grün zweifellos eine Attraktion.
Was der Prototyp so hergibt oder anrichtet, wird genau zu beobachten sein. Noch sind die Konturen recht diffus. Der bulgarische Politologe Ivan Krastev meint, dass österreichische Modell könnte als Koalition der Generationen zum „Laboratorium für ganz Westeuropa werden“. Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist jedenfalls begeistert. Viele Augen sind auf Wien gerichtet, schier verblüfft gibt man sich über die Wandlungsfähigkeit des ehemaligen und zukünftigen Kanzlers der Republik. Uns verblüffen eher die Verblüfften als Kurz. Der ist so, und das geht so.
Kommentare 4
Dass Kurz mit allen kann: geschenkt. Dass Kogler und Co. sich nicht entblöden, mit einem Neoliberalen wie Kurz, der keine sozialen Skrupel kennt, ins Bett zu steigen, mit einem Mann und seiner Partei also, die zusammen mit den Faschisten der FPÖ massive Kürzungen im Sozialbereich, also die Umverteilung von unten nach oben durchgezogen haben, ist das eigentlich Schlimme. Dass diese dabei Menschen, die auf soziale Transferleistungen angewiesen sind, ausgespielt haben gegen Geringverdiener, die von ihren Arbeitseinkünften so gerade noch leben können, stört die Grünen, wahrscheinlich inzwischen, wie schon lange in Deutschland, die eigentliche Partei der Besserverdienenden, offensichtlich nicht im Geringsten. Kurz´restriktive Geflüchtetenpolitik werden sie widerspruchslos mittragen, ihre diesbezüglichen - deutschen - Vorturner sind ja immerhin Ministerpräsdent in BW und Oberbürgermeister in Tübingen. Kapitalismuskritik als Momentum grüner Politikansätze ist passé. Jetzt dürfen sie mitspielen im Spiel um Posten und Macht um der Macht, statt der richtigen Ideen, willen.
Bleibt nur noch die Frage, wann die österreichischen Grünen dem ersten Auslandskriegseinsatz des Bundesheeres zustimmen werden.
Chapeau
Guten Abend Herr Schandl! Ich lese Ihre Beiträge auch gerne, weil Sie die schreibende Ironie drauf haben und mir dann doch nicht das Lachen im Hals stecken bleibt.Danke gerne gelesen.Ich merke immer wieder, daß deutsch sprechende Flachzangen überall zu Hause sind und eine neue Partei gründen, Interviews geben und nicht mal stammeln, wenn sie lügen und am Teleprompter steht- seriös aussehen-reden-gucken- denke an deine Rethoriklektion.
Auch in Deutschland steht wohl eine schwarz-grüne Koalition bevor, die Österreicher könnten also in der Tat Nachahmer finden, denn dieses Bündnis passt in unsere Zeit.
Die Sozialdemokraten sind gespalten in der Frage der Wirtschaft. Viele können sich nicht zu einer Bejahung der Marktwirtschaft durchringen (aber ebensowenig zu einer Ablehnung), weil dies bedeuten würde, alle Aspekte der Wirtschaft politisch abzubilden. Man müsste ggf. unternehmerfreunliche Politik machen oder gar Sozialleistungen kürzen, wenn die Situation es erfordert, und kann sich nicht nur auf das beliebte Verteilen von Sozialgeschenken beschränken, wie es Frau Nahles vorschwebte und vielleicht auch ihren Nachfolgern im Parteivorstand.
Die Grünen haben kein Problem, den Kapitalismus zu befürworten und können dennoch eine andere Unternehmenskultur etablieren. Der Widerspruch, in einer wohlstandskritischen Wohlstandsgesellschaft einen Mittelweg zu finden, zwischen Wirtschaftswachstum und Innovation einerseits, Konsumverzicht und Bescheidenheit andererseits, haben die Grünen gelöst: Umwelttechnik, regenerative Energien, alternative Antriebe etc. vereinen Hightech, Wachstum, Nachhaltigkeit ohne an moralische Decken zu stoßen.
Der neue "grüne Deal", die Ökologisierung der Ökonomie - oder umgekehrt - das Wachstum durch innovative Umwelttechnik ist das große wirtschaftspolitische Thema auch der Konservativen. Kapitalismuskritiker, die die Sozialdemoktarie lähmen, bleiben vorerst außen vor und werden in den kommenden Jahren voraussichtlich wenig an der politischen Gestaltung beteiligt sein.
Ich bewundere immer wieder Ihre Sprachgewandtheit, besonders, da ich immernoch nicht verstanden habe, wieso das Österreichische darin so deutlich aufscheint. Seis drum. Ich komme noch dahinter ;-)
Die Wandlungsfähigkeit der Grünen mag verwundern, der Clou ist aber, wie Sie scharfsinnig erkennen, die Anschlussfähigkeit der Konservativen. Das Modell scheint geradezu ideal, um die gegenwärtigen Widersprüche ins Fahrwasser des Kapitals zu lenken. Die Sozialdemokratie schaut derweil weidwund zu und fragt sich vergebens, was denn zu verraten wohl noch übrig bliebe.
Es ist natürlich abzusehen, dass diese Allianz nur auf Zeit bestehen kann. Wer im kommenden Hauen und Stechen Oberwasser gewinnt, bleibt abzuwarten.
Sicher ist dieweil, dass keiner der Partner viel auf Widerstand gibt. Der wird aber kommen. Wer wird den dann organisieren? Vermutlich niemand. Dann schlägt womöglich die Stunde der FPÖ.