Kutschma im Käfig

UKRAINISCHE STAATSKRISE Ausgang ungewiss

Je länger sich der Skandal um den Journalisten Georgij Gongadse hinzieht, desto unglaubwürdiger wird die Position von Leonid Kutschma. Wohl konnte niemand dem Präsidenten bisher stichhaltig nachweisen, Order zur Beseitigung Gongadses gegeben zu haben, doch scheint die Autorität des Staatschefs durch widersprüchliche Erklärungen und nicht enden wollende Untersuchungen der Staatsanwaltschaft bedenklich unterlaufen. Seine Popularitätsrate liegt derzeit bei dürftigen 15 Prozent, während Premier Viktor Juschenko, der sich gerade nachdrücklich mit seinem Staatschef solidarisiert hat, bei diesem Ranking auf mehr als 40 Prozent kommt (was ihn als potenziellen Nachfolger im Gespräch hält). Noch dementiert Kutschma eisern jeden Gedanken an Rücktritt. Die "Affäre Gongadse", beteuert seine Kanzlei gebetsmühlenartig, werde von dem in den USA inhaftierten Ex-Premier Lasarenko gesteuert.

Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass aus dieser Richtung tatsächlich Gelder für eine Anti-Kutschma-Kampagne fließen, wie es ebenso wahrscheinlich sein kann, dass jene Tonbänder authentisch sind, die ein Gespräch - unter Teilnahme des Präsidenten - über ein Komplott gegen Gongadse dokumentieren. Ohne Zweifel eine Staatskrise für das drittgrößte Land Europas, die sich noch zugespitzt hat, seit die US-Regierung dem Präsidenten faktisch eine öffentliche Rüge erteilte und ihn aufforderte, zu "demokratischen Regierungsformen" zurückzukehren. Eine Erklärung, die nicht nur in Kiew, sondern auch in Moskau heftige Gegenreaktionen auslöste. So drehte Dmitri Rogosin, der Duma-Sprecher für Außenpolitik, den Spieß um und meinte, Gongadse sei von den Kräften umgebracht worden, die Kutschma zum Rücktritt zwingen wollten, weil ihnen die neuerliche Annäherung der Ukraine an Russland nicht passe.

Bei alldem fehlt der ukrainischen Opposition nach wie vor das Druckpotenzial eines die Straße beherrschenden Bürgerprotestes, um eine Amtsenthebung zu erzwingen. Zum ersten Kutschma-Tribunal auf Kiews Prachtboulevard Kreschtschatik kamen gerade 5.000 Menschen, und das Urteil war eher kapriziös: Der Präsident - als Puppe in einem Käfig gefangen - wurde für schuldig befunden und zu einer lebenslänglichen Minimalrente von 52 Grivna (etwa neun Dollar) verurteilt. Noch am gleichen Abend suchte Kutschma per TV-Live-Debatte Kontakt zum Volk und versprach erneut gründliche Ermittlungen. Doch Zweifel sind angebracht, nachdem nun auch die schon lange kursierenden Korruptionsgerüchte wieder einen Schub erhalten haben. Ausgerechnet Mykola Melnytschenko, einst Sicherheitschef der Kiewer Administration, beschuldigte gegenüber der New York Times seinen ehemaligen Dienstherren, eine Milliarde Dollar für persönliche Zwecke unterschlagen zu haben. Leonid Kutschma decke seit Jahren einflussreiche Oligarchen, die Millionen Dollar auf von ihm kontrollierte Konten überwiesen hätten. Melnytschenko, der sich an einem geheim gehaltenen Ort in Europa aufhält, kündigte an, er wolle neue Tonbänder der Öffentlichkeit übergeben. Deren Echtheit wurde inzwischen vom Internationalen Presse Institut in Wien auf Bitte Melnytschenkos überprüft, konnte aber nicht eindeutig bestätigt werden.

Die Präsidialverwaltung, die mächtigste Institution im Land, kümmert sich unterdessen äußerst zielstrebig um das Lager der Pro-Kutschma-Parteien und die Loyalität der Medien. Nachdem das Parlament noch im Dezember den sofortigen Rücktritt des Innenministers, des Generalstaatsanwalts und des Geheimdienstchefs gefordert hatte, verbuchte Ende Februar ein Misstrauensantrag gegen Generalstaatsanwalt Michail Potebenko nur 111 statt der benötigten 226 Ja-Stimmen. Die Kommunisten als größte Parlamentsfraktion blieben der Abstimmung fern und stützten damit faktisch den Präsidenten. Für die Abdankung Potebenkos stimmten lediglich die Parlamentarier von Vaterland, der Sozialistischen Partei um den möglichen Kutschma-Erben Alexander Moros und der Mitte-Rechts-Fraktionen Ruch.

Den Spekulationen über die Kutschma-Nachfolge hat dieses Votum nichts anhaben können. Neben Premier Juschenko wird auch der Name von Vizepremier Oleg Dubin lanciert, ein Industrieller aus dem Donbass-Gebiet, der sich als Freund der Kutschma-Familie empfohlen hat.

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