FREITAG: h neun Jahren "neue bildende kunst" ist nun leider Ende 1999 das Aus Ihrer stets hervorragend gemachten Zeitschrift gekommen. Sie schafft den "Jahrhundertschritt" nicht. Wieviel Hefte haben Sie seit 1991 gemacht?
Matthias Flügge: Mit dem Heft, das gerade ausgeliefert wird, sind es 50 Ausgaben geworden.
Michael Freitag: Und was den "Jahrhundertschritt" angeht: Den überlassen wir doch lieber schlichten Gemütern wie Wolfgang Mattheuer, der damit bis ins Kulturforum der Grundkreditbank aufgerückt ist.
Sie schließen also originellerweise mit einem Jubiläumsheft. Auch der Anfang schien programmatisch. Das erste Heft wurde mit dem markanten Titelfoto geschmückt, das eine Mauerinschrift zeigte. Ihre Botschaft: "Der Starke zweifelt hinterher." Sind Sie jetzt
e zweifelt hinterher." Sind Sie jetzt in einer zweifelnden oder in einer verzweifelten Phase? M. Freitag: Beim Durchblättern von Fotos fiel mir neulich die damalige Aufnahme unseres Fotografen Ludwig Rauch in die Hände. Woraufhin ich mit leuchtenden Augen zu Matthias Flügge ging, um ihm mitzuteilen, dass man nicht neun Jahre älter werden musste, um einzusehen, dass dieser Spruch absolut schwachsinnig war. Damals gefiel uns das. Heute schließt sich ein Kreis. Wir neigen nicht mehr zu Sprüchen. "Der Starke zweifelt immer mehr."M. Flügge: Oder, um mit Franz Biberkopf zu sprechen: "Es ist aber in der Welt so eingerichtet, dass die dämlichsten Sprichworte recht behalten, und wenn ein Mensch glaubt, nu ist gut, dann ist noch lange nicht gut."Sie wussten seit einiger Zeit, dass Ihre Zeitschrift zumachen wird. Hatten Sie zwischendrin Hoffnungen, es könnte weitergehen? M. Flügge: Wir wollten nie zumachen. Nach dem Einstellungsbeschluss durch unseren Verleger haben wir nach anderen Verlagen gesucht - leider ohne Erfolg.Woran ist das gescheitert? M. Flügge: Wenn man die Medienlandschaft betrachtet und den Markt für Kunstzeitschriften, kann man relativ schnell sehen, dass der Ort für ein anspruchsvolles Konzept, das von sinnlichen Reizen und dominant vom Werk auszugehen versucht, sehr exklusiv geworden ist. Wir haben ein Magazin gemacht, das sich dem Magazinmarkt stellen musste und sich ihm mit dieser Konzeption teilweise verweigerte. Wir wollten eine Zeitschrift ohne Kunstanzeigen, um uns möglichst von diesen ganzen Korruptionsgeschichten des Kunstbetriebes frei zu halten. Das ist uns nicht gelungen, weil wir wegen der Zentralisierung des ganzen Werbemarktes nicht mehr in der Lage waren, kommerzielle Anzeigen ins Blatt zu bekommen, was uns anfangs noch durchaus gelang.Beim Lesen der letzten Hefte der "neuen bildenden kunst" fällt ein härterer Ton in den Texten auf. Sind das Produkte der Ernüchterung? M. Flügge: Ich glaube, dass das eine durchgängige Tendenz in unserer Zeitschrift war. Larmoyant waren wir nie, auch wenn wir uns stets bemühten, an bestimmte Zusammenhänge und an schon einmal Gewuss tes zu erinnern. Wir wollten die Erstarrung der Kunst in ihren systemischen Bindungen aufbrechen, einerseits durch Beispiele anderer Kunstszenen, andererseits durch Analyse und kritische Berichterstattung.M. Freitag: Das gehört zur Selbstbehauptung einer Zeitschrift, die Reflexion in den Mittelpunkt stellt. Es ist eben so, dass man Kontur nicht nur zeigen, sondern sie auch vor dem Ausradieren bewahren muß. Wir wussten immer, dass dieser Status nicht so einfach zu halten sein würde, und haben doch bis zum letzten Augenblick gehofft, einen neuen Partner finden zu können.Wie hat sich Ihre Leserschaft auf die beiden Hälften Deutschlands verteilt? M. Flügge: Eigentlich ziemlich gerecht. Unsere stärkste Klientel hatten wir mit einem knappen Viertel der Leserschaft in Berlin. Wir haben auf die internationalen Strömungen reagiert und, im Gegensatz zu anderen Zeitschriften, auch den Osten Europas einbezogen. Am Anfang hat den einen daran das Internationale als das Westliche nicht gepasst, den anderen das Östliche als das Provinzielle. Das machte die Sache nicht einfacher, aber aufregend.M. Freitag. Dafür kamen bei der Abschiedsmeldung die Bestürzungsrufe aus allen Richtungen.Also ein ermutigender Abgang? M. Flügge: Es ist sowieso ein Abgang eher im theatralischen Sinne: Man geht an der einen Seite von der Bühne ab und kommt an der anderen wieder herauf. Wir wollen nächstes Jahr einen Relaunch versuchen. Ein anderes Blatt, was nicht mehr so bunt sein wird. Eine Zeitschrift wie die neue bildende kunst hat in zehn Jahren sowieso eine eigene Dynamik entfaltet. Die opulente Ausstattung, die wir uns immer geleistet haben und mit unserem Verleger auch leisten konnten, haben wir anfangs als einen östlichen Nachholbedarf empfunden, später als verkaufstaktische Überlegung. Zum Schluss war uns diese Opulenz für die spröder werdenden Inhalte nur noch hinderlich.Die Texte waren oft eine ironische Brechung dieser Opulenz ... M. Freitag: Es war eine gewollte Spannung aus Bild- und Textanmutung.M. Flügge: Aber die Form hatte Rückwirkungen auf den Inhalt. Das ist der entscheidende Punkt. Wir wollen bei unserem neuen Projekt nicht die sinnliche oder informative Qualität des Bildes verlieren, sie jedoch auf das Informative beschränken und dem Text wieder mehr Bedeutung geben, ohne in Diskurssprache zu verfallen.Für denjenigen, der an Texten über Kunst interessiert ist, eine frohe Botschaft! Hat Ihr Verleger den Glauben an das Blatt verloren oder war es sowieso zwischen Ihnen und ihm nur eine Kommunikation per Fernbedienung? M. Flügge: Überhaupt nicht. Dem Verlag schwebte ursprünglich die Einbindung in ein globales System von Kunstzeitschriften vor. Das konnten wir so nie nachvollziehen. Schließlich hatten wir hier eine spezifische Situation, die wir bei aller internationalen Ausrichtung nicht aus dem Auge verlieren wollten und die in Australien sicher auch nicht nachvollziehbar war. Andererseits hatten wir viele Freiheiten und sind nie ferngesteuert worden.Was war die Motivlage von Gordon + Breach für ein derart riskantes Projekt ohne Gewinnaussichten? War es nach dem Fall der Mauer eine expansive Neugier? M. Flügge: Expansive Neugier auch. Der Verlag hat seit den sechziger Jahren exakte Wissenschaften aufgelegt, ein sehr abgegrenztes Marktsegment; er wollte mit uns aus dieser spezialistischen Enge heraus.Verschwindet mit dem Ende Ihrer Zeitschrift nicht auch eines der letzten Podien des Ost-West-Kunststreites? M. Freitag: Uns ging es immer um die Grundprobleme der aktuellen Kunst, darin war die Ost-West-Diskussion nie von prinzipieller Vorrangigkeit. Sie war ein, freilich unerschöpfliches, Reservoir an Vorkommnissen, auf die man reagieren konnte, weil sich an der damit oft verbundenen Dämlichkeit auch Grundsätzliches finden ließ. .M. Flügge: Wir dachten nie in diesen Kategorien, was uns mancher auch zum Vorwurf gemacht hat. Wir haben das eher ironisiert, weil wir dachten, dass die Westkunst in ihrer Scheinprosperität einer Neubewertung ebenso bedarf wie die Ostkunst. Wir wollten die Dinge nüchtern gegenüberstellen und nach ihrem Aufeinanderbezogensein und nach ihren jeweils anderen Voraussetzungen fragen. Da musste man auch nach Osteuropa schauen, um zu sehen, was zwischen Moskau und Berlin läuft.Das ist das Traurige. Ihre Konzeption scheint zerstört. M. Freitag: Wir hatten keine Konzeption, sondern eine Funktion.M. Flügge: In Stockholm gibt es gerade eine sehr gute Ausstellung After the Wall mit osteuropäischer Kunst aus postkommunistischer Zeit. Eine kraftvolle, hochinteressante Geschichte, über die wir im letzten Heft berichten werden. Wir hatten den England-Hype, den aus Skandinavien und hierzulande die Überdrehungen postmoderner Selbst referenzialität. Das Problem der Authentizität ist jedoch momentan in Europa schwer wahrnehmbar. Deshalb hat diese chaotische Stockholmer Schau den Mut gehabt, die Dinge gewissermaßen hart in den Ausstellungsraum zu stellen. So wurde die übliche Geschmeidigkeits- und Diskurskunst vermieden. Deshalb wohl kommt sie sonst in den Medien nicht vor, und in Berlin werden wir sie auch nicht sehen.Was würden Sie heute anders machen bei einem Neuanfang als 1991? M. Flügge: Das kann man nicht vergleichen. Der Henschel Verlag hatte damals die bildende kunst geschlossen, und wir standen vor der Tür. Jeder gewitzte Mensch hätte aufgegeben. Wir haben nach dem Lust- und Lernprinzip weitergemacht. Wir wollten nie das Zentralorgan der ewigen DDR-Kunst-Werte sein. Unsere damalige Idee hieß: Wir machen eine zweijährige geordnete Auflösung des geistigen Haushalts, und bis dahin muss sich was Neues, Spannendes ergeben haben. Sonst machen wir zu. Mit neun Jahren haben wir nie gerechnet.M. Freitag: Mit 300.000 Mark Anschubfinanzierung von der Stiftung Kulturfonds und ohne einen Computer haben wir in feuchten Redaktionsräumen angefangen und fanden das angemessen abenteuerlich gegenüber dem, was draußen los war.Nach zwei Jahren hatten Sie auch gute westdeutsche Autoren, die an ein Zeitschriftenprojekt andockten, das sie als unüblich betrachteten. M. Flügge: An Zuspruch hat es nie gemangelt. Aber wir hätten mehr investives Kapital gebraucht. Heute fließen enorme Gelder, um ein Magazin am Markt zu platzieren. Dem ist der Verlag leider nicht gefolgt. Die Zeitschrift ernährte sich selbst, aber leider nicht ihre Produzenten. Vielleicht hätten wir anders die notwendige Abonnentenzahl erreicht. Wir wollten jedoch nie Sprachrohr einer pressure group sein, weder die eines bestimmten Kunstbegriffs noch eine der Galerien.Dennoch ist ein geistiges Hinterland nötig, eine pressure group der Leser, die sich ihre Zeitschrift nicht nur halten, sondern erhalten wollen. M. Freitag: Wir sind Solidarität gegenüber misstrauisch, die uns bei Gleichgesinnten aufgehoben sieht.Was würden Sie als größte Leistung Ihrer Zeitschrift bezeichnen?M. Flügge: Dass wir, von den Verunsicherungen des Anfangs abgesehen, eine bestimmte Kompetenz erworben haben.Wie würden Sie den Zustand des kulturellen Bewusstseins in diesem Land bewerten? Was verstehen Sie unter dem Begriff der Freiheit von Kunst? M. Freitag: Die Begriffe waren nur klar, wo sie ideologiegestützt waren. Da sie das nicht mehr sind, fielen sie zurück in den Zustand der Ungeklärtheit von Angebot und Nachfrage. Freiheit der Kunst ist heute eine Kategorie der neoliberalen Auffassung von Marktwirtschaft: Du bist so frei, wie die anderen dich lassen.M. Flügge: Es gibt ja Leute, die sagen, solche Zeitschrift wie unsere muss es gar nicht mehr geben, weil wir es mit einer Gesamtkultur zu tun haben, die den gesamten öffentlichen Raum kulturalisiert, so dass eine Trennschärfe zwischen den Gattungen nicht mehr benötigt wird. Das haben wir nicht mitvollzogen. Wir haben für das, was die bildende Kunst ästhetisch konstituiert, letztlich auch eine spezielle Art der Sprache zu gebrauchen versucht. Was ein verstärktes Bewusstsein dafür schaffen sollte, dass die Entwicklungsschritte innerhalb einer systemischen Verkrustung von Kunst verdammt klein sind. Manch einer meint, Kunst heutzutage sei des Kaisers neue Kleider. Ein Ressentiment. Der Künstler ist nicht nackt, sondern er bedient sich aus der Altkleidersammlung.Ist bildende Kunst überflüssig geworden? M. Flügge: Nein. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, was Künstler machen sollen. Unser Problem ist, dass wir nicht auf dieser Vermittlungsebene operiert haben, sondern immer versuchten, einen Schritt weiter zu gehen und das Obsolete der Begegnungsformen mit Kunst auch zu reflektieren. Das haben uns viele Leser übelgenommen. Es goss sich in den kristallinen Satz: Ihr seid ja viel zu intellektualistisch. Wir haben permanent gegen das Prinzip verstoßen, nicht klüger sein zu sollen als die Leser.M. Freitag: Aber wir sind ja auch die Leser unserer Zeitschrift. Und warum sollten wir jemandem die Schmerzen ersparen, die wir beim Redigieren erlitten?Wie muss Ihr eventuell im nächsten Jahr erscheinendes neues Blatt werden? M. Flügge: Persönlicher.M. Freitag: Unpersönlicher.Das Gespräch führte Detlev Lücke
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