Lauschangriff 15/03

Kolumne Die Krise der Schallplattenindustrie ist die Krise der fünf Branchenriesen. Ob der gegenwärtige Erfolg des Online-Music Store von Apple auch für die ...

Die Krise der Schallplattenindustrie ist die Krise der fünf Branchenriesen. Ob der gegenwärtige Erfolg des Online-Music Store von Apple auch für die Klassik eine Lösung bringt, wird sich zeigen (Freitag 29/03). Von der Situation, so viel ist sicher, profitieren die Kleinen, die noch auf herkömmliche Weise arbeiten. Indes, betroffen von den Krisenfolgen, etwa vom dramatischen Fachlädensterben oder der schwindenden Kaufkraft vor allem mittlerer Käuferschichten, sind auch sie.

Umso besser, dass es sie gibt. Wie anders kämen den Nichtkonzertbesuchern unter den Freundinnen und Freunden der Klassik heute so ausgefallene Interpretationen des Klavierwerks von Franz Schubert zu Ohren, wie sie beispielsweise der Franzose Alain Planes beim rührigen Label Harmonia Mundi France vorführt: Pedalarm, unelegant, unsubjektiv und ergo nicht "romantisch" - trotzdem gefühlvoll, technisch souverän; ein mit den Früchten nachdenklicher Zeitgenossenschaft üppig bewachsener Weg zu Schubert (Sonaten D. 537, 575 und 784; HMC 901789). Oder das kleine holländische Label Channel Classics, das sich sogar Orchesteraufnahmen leistet und das Publikum mit auf historischen Instrumenten und gegen den Strich des gemütvoll Beschwingten gespielten Evergreens wie Schuberts Rosamunde-Musik beglückt (+ Sinfonie Nr. 5; Anima Eterna Orchestra, Jos van Immerseel; CCS 4292).

Bei den kleinen Labels schrumpft allerdings etwas zurück ins Reale, das sich - seit den Tagen von Karajans Größenwahn - wie Blei auf die Bilanzen gelegt hatte: Die ins Irrationale gewachsenen Gagen der Stars. Immer mehr von ihnen, bei Kleinlabels gelandet, sind heute bereit, sich an den Produktionskosten ihrer Aufnahmen zu beteiligen. Woraus die englische Firma Avie Records ein Radikalkonzept strickte: Avievermarktet nur noch, komplett bis zum Coverdesign, von den Interpreten finanzierte Produktionen, deren Rechte dann allerdings bei den Künstlern bleiben.

Klaus Heymann, in Honkong residierender Naxos-Chef und Vater der Idee Billig-Label, arbeitete von Anfang im Sinn solcher Logik: Er bot appel-und-ei-mäßige Bezahlung gegen weltweite Verbreitung per Niedrigpreis und Globalvertrieb. Sein heute riesiger Katalog, ein übrigens beachtlicher Beitrag zur Demokratisierung des musikalischen Weltkulturerbes, wird täglich reicher besonders an Rarem. Beispielsweise eine jüngst erschienene CD mit Orchesterwerken von Charles Ives, obenan die hoch romantisch experimentierende Dritte Sinfonie, finster fein gearbeitete Schattenstücke wie Unanswered Question und Central Park in the Dark und die frisch fröhlich avantgardistische Version eines Country Band-Marsches (Naxos 8.559087).

Neben immer neuen, vielleicht nicht immer ganz notwendigen, oft allerdings auch begeisternden Bereicherungen des Klassikkatalogs und neben Auswertungen historischer Aufnahmen (Toscanini-Edition, Immortal Performances u.v.a.) hat Naxosauch eine Reihe interessanter anderer Labels im inzwischen mindestens majorgroßen Vertrieb. Unter ihnen Hänssler Classic, eine Größe unter den Nichtmajors; im Programm Dirigenten wie Helmuth Rilling, Roger Norrington und Michael Gielen. Hänssler arbeitet seit Jahren mit dem SWR zusammen, die Rundfunksender sind schließlich für die Zukunft der Klassik ein immer noch nicht voll ausgespielter Trumpf. Auch Gielens neueste CD, eine schlank und strukturbetont und zugleich eindringlich gespielte, zugleich sinnreiche Kopplung der Kindertotenlieder und des Adagio der 10. Sinfonie Gustav Mahlers mit zwei Frühwerken Anton von Weberns, ist eine Kooperation mit dem SWR (Cornelia Kallisch, SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg; hänssler/naxos 93.062). Eine Hänssler-CD mit den zwei Mozart-Klavierkonzerten K 271 und 459 stammt aus den Tiefen der noch nicht annähernd gesichteten und genutzten Rundfunkarchive. Clara Haskil musiziert die Leidensfähigkeit und Lebensfreude in Mozarts Musik mit einer nur ihr eigenen Kombination von Zurückhaltung, Eleganz und Bedeutungstiefe. Carl Schuricht, der Dirigent, interagiert mehr als dass er das orchestrale Bühnenbild liefert zu Haskils inkommensurable Art, den gerade für Pianisten unendlich schwer zu treffenden Mozartton einfach drauf zu haben (Radio-Sinfonieorchester Stuttgart; Hänssler 93.079).

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