Lauschangriff 17/03

Kolumne Die Plattenindustrie hat neuerdings und immer öfter gute Gründe, Klassik-CDs mit unbekannten Werken oder unbekannten Komponisten zu veröffentlichen. ...

Die Plattenindustrie hat neuerdings und immer öfter gute Gründe, Klassik-CDs mit unbekannten Werken oder unbekannten Komponisten zu veröffentlichen. Die jahrelange Strukturkrise der Branche verdankt sich nämlich nicht zuletzt dem Umstand, dass die Kundschaft, spätestens seit der Umstellung von Vinyl auf CD, mit den Standardwerken versorgt ist. Einen Kaufanreiz bietet nur mehr Neues und Unbekanntes, wobei das Neue die wenigsten kennen, weil es eben neu ist; während es sich beim Unbekannten offenbar um Musik handelt, über welche Zeit und Publikum - oft zurecht, seltener zu Unrecht - erinnerungslos weggegangen sind.

Ragendes Beispiel für einen auf rätselhafte Weise und komplett zu Unrecht Vergessenen ist Norbert Burgmüller (1810-1836). Schon vom Geburtsdatum her zwischen allen Stilen sitzend, ist er, zusammen mit Genies wie Hölderlin oder Jacob Michael Reinhold Lenz, Kleist, Grabbe (der ein enger Freund Burgmüllers war) oder Büchner, einer von verblüffend vielen, die in der kurzen, hitzig-stickigen Spanne zwischen Klassik und Romantik zu früh Vollendeten wurden schon deshalb, weil sie jung - und allesamt mehr an ihrer Zeit, als an einer Krankheit - starben.

Beethoven, Schubert, Mendelssohn (ein weiterer Freund) - vorbei an solch geradezu unüberholbarer Zeitgenossenschaft fand Burgmüller ins Eigene. Zwar sprechen aus seinen zwei, jetzt erstmals auf CD erschienenen Streichquartetten Geist und Formenkanon der Epoche. Aber in schönster Jugendfrische und ohne irgendwo epigonal anzudocken, schlug der gerade einmal 15- und 16-Jährige in beiden Kompositionen einen Ton an, in dem ein durchaus individueller Bogen sich von Mozarts dialogischer Dramatik über Seitenblicke auf Beethoven, Schubert und Weber bis zu Brahms´ formgepanzerter Empfindsamkeit spannt. Burgmüllers Leistung und die der anderen auf Hochniveau Unvollendeten besteht darin, einen Klassizimus furios verfehlt zu haben, der, so formvollendet wie gedankenstreng, am Ende eigentlich nur langweilig war (Musikproduktion Dabringhaus und Grimm/Naxos MDG 336 0994-2).

Aber keineswegs alles ist gut, nur weil niemand es kennt. Die sogenannte Neue Musik ist nicht immer so neu wie sie tut. Immerhin hat mit ihr die "ernste" Musik (E-Musik) das Abenteuer der Aktualität zurück und mit der Aktualität die Offenheit der Frage nach der Qualität einer Komposition. Bei der Siebten von Beethoven kann sich das Publikum bestenfalls um die Interpretation streiten. Beim Piano Concerto der US-Amerikanerin Sheila Silver (Naxos 8.557015) oder dem Cello Konzert Nr. 2 des Spaniers Leonardo Balada (Naxos 8.557049) muss man sich aufs eigene Urteil verlassen oder wenigstens auf den Geschmack oder das Gefühl. Alle drei sagen mir in beiden Fällen, dass es sich hier um postmodern aufgeplusterte Ausflüge in eine Art "Avantgarde" handelt, die viel vom musikalischen Kunstgewerbe hat.

Toru Takemitsu dagegen, obwohl erst 1996 im Alter von 66 Jahren gestorben, ist schon ein Klassiker. Man könnte ihn kennen, denn von ihm stammt die Musik zu den letzten beiden Filmen Akira Kurosawas. Auf der neuen Takemitsu-CD (Naxos 8.555859) mit überwiegend Flötenmusik, die man detto - für fünf Euro fällt Neugier eventuell ja leichter - beim Budget-Label Naxos verkosten kann, geht es ums Wasser, als Regen, als Meer. Vor allem geht es bei Takemitsu um Klang, bei jedem einzelnen Ton, egal ob auf der Flöte geblasen oder von 50 Geigen gestrichen. Die Kunst, Klänge aus Stille heraus zu destillieren und sie, als Räumlichkeit, der Stille zurück zu geben, hat Takemitsu bei der japanischen Tradition gelernt. Er hat indes auch in Europa - bei Claude Debussy, Olivier Messiaen, John Cage - gut zugehört.

Wer sich wie Takemitsu auf die Kunst und Wirkung des Klangs orientiert, liebt Kargheit und Reduktion. Wie in der alten japanischen Musik gibt es in Takemitsus Kammermusiken keinen Rhythmus, nichts zerteilt die Zeit, die Musik breitet sich aus in der Stille, es entsteht Ruhe, Gelassenheit. "Unter keinen Umständen sollten wir zulassen, dass die Trauer unser Leben lähmt", sagte Takemitsu 1980. "Für jeden ist der Tod unvermeidlich. In der Trauer, die mich erfasst, sehe ich nicht die Leere, sondern den klaren blauen Himmel."

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden