Liebe ist viel verlangt

Von wegen Macht der Gefühle Beim "Käthchen von Heilbronn" am Deutschen Theater in Berlin lodern die Flammen der Feuerprobe vom Video

"Was ist Wahrheit?" ist die Frage, mit der das Deutsche Theater in Berlin Nicolas Stemanns Inszenierung von Kleists Käthchen von Heilbronn ankündigt. "Weiß nit", antwortet Katharina Friedeborn im Dialekt ihrer Heimat, wann immer sie auf ihre ebenso besinnungs- wie bedingungslose Liebe zu Friedrich Wetter, Graf vom Strahl, angesprochen wird. Wüsste sie es, wäre sie nicht eine der befremdlichsten und faszinierendsten Figuren der dramatischen Literatur, sondern eine peinliche Gestalt aus einem Kitschroman.

"Ein großes historisches Ritterschauspiel" nannte Heinrich von Kleist sein Drama mit dem Doppeltitel Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe und war damit schon vor 200 Jahren hoffnungslos unzeitgemäß. Dem Imperativ der Zeit "Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen" setzt er ein wirres, jede Logik sprengendes Märchen entgegen, das ein verstörendes Schlaglicht auf jene "Gefühl" genannte Schattenseite der Aufklärung wirft. Auf die "Feuerprobe" gestellt sieht sich deren unbegreiflichstes, die Liebe - mit ihr das Theater, das sich ihrer annimmt.

Acht Schauspieler nur und keine Pause listet das Programmheft auf, und schon vorab stellt sich die Frage, was vom "großen Ritterschauspiel" übrig bleiben mag: Die Rüstungen sind in die Logen und hinter Plexiglas verdammt. Seinen Richtern tritt Friedrich (Frank Seppeler) gleichwohl nicht frei von Skrupeln entgegen. Einen ersten Versuch sich zu rechtfertigen, bricht er ab und verlässt die leere Bühne (Katrin Hoffmann), bis er die "unterirdische Höhle", in der das Femegericht tagt, erneut betritt. Ehe er sich den Beschuldigungen von Käthchens Vater Theobald (Horst Lebinsky) stellt, räsonieren Kläger und Beklagte, Briefe Kleists zitierend, unisono darüber, dass "Liebe" viel verlangt und ohne Vertrauen in sie nichts sei.

Doch nicht nur die Aufforderung, zumindest letzteres aufzubringen, ergeht ans Publikum: Wo die Räte des Kaisers und Mitglieder des Femegerichts stumm bleiben, ist ihm auch die Rolle des Richters vorbehalten - weshalb auch dessen ungläubige Rückfragen ungefragt bleiben. Unglaublich ist in der Tat, was Theobald darüber zu berichten hat, was an und in seiner Tochter Käthchen (Inka Friedrich) vorgegangen ist, seit sie dem Ritter Strahl in der heimischen Waffenschmiede begegnet ist. Doch ist nichts als die "Wahrheit", dass sie im selben Moment, da sie in sein Gesicht sieht, den "Verstand" verliert und ihre Bestimmung im Gefühl findet, das ihr die wundersame Macht eines Cherubims verleiht.

Dessen Flügel trägt jedoch ihr Widerpart Kunigunde von Thurneck (Aylin Esener), als Friedrich sie aus der Gewalt des Burggrafen von Freiburg (Thomas Schmidt) befreit. Auch Käthchens Text legt die Regie ihr in den Mund, ehe sie sich zur Musik von Moody Blues aus dem Engelskostüm schält und Friedrichs Mutter (Christine Schorn) Lügen straft, die ihren Sohn vor dem Hybrid zu warnen sucht. "Und der Silversternachttraum spricht für sie?" befragt sie skeptisch seine Heiratsabsichten. "Was soll ich´s bergen: ja!" erwidert er im Brustton der Überzeugung.

Um zu erkennen, dass er diesen Traum "in Wahrheit" mit Käthchen teilt, braucht es nicht weniger als jenen Traum, den Käthchen unterm Holunderbusch träumt. Den hat sie jedoch schon eine halbe Stunde zuvor als Topfpflanze über die Drehbühne getragen. Friedrichs Bekenntnis, "verliebt wie ein Käfer" zu sein, gerät entsprechend prosaisch, sodass keiner der Umstehenden seinen Beteuerungen Glauben schenken mag. Die "emotionale Lähmung" der Figuren, von der das Programmheft spricht, ist derart umfassend, dass auch die reale "Feuerprobe" sie nicht lösen kann: Die Flammen, denen sich Käthchen in himmlischer Unbedarftheit aussetzt, um weltliche Güter zu retten, zündeln kalt und wenig bedrohlich vom Video.

Immerhin geht mit der Hochzeit jener Teil des Traumes in Erfüllung, der sich auf Erden am ehesten realisieren lässt. Ob sich dadurch auch der Traum von der Macht der Liebe erfüllt, bleibt offen, und vorsorglich fleht Käthchen den lieben Gott und alle Heiligen um Beistand an. Schließlich muss sie, um künftig Friedrichs Frau, des Kaisers Tochter und Prinzessin von Schwaben zu heißen, ihren Namen ablegen, und wer weiß schon, ob die veränderte Wirklichkeit die "Feuerprobe" besteht: "Liebe" ist viel verlangt und ohne Vertrauen in sie nichts. Ein "Friedeborn", und sei es auch ein märchenhafter, waren in diesen knapp zwei Stunden im Deutschen Theater jedenfalls weder die Liebe noch Das Käthchen von Heilbronn.

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