Liebe, Tod und Teufel

Im Gespräch Der Regisseur Fatih Akin über Vorbilder, türkisches Kino und die Aufteilung der Welt in Orient und Okzident

Freitag: Ihr jüngster Film "Gegen die Wand" spielt in Istanbul und in Hamburg, wie die meisten Ihrer Filme.
Fatih Akin: Ja, aber noch einmal anders, gesteigert. Mein Film Im Juli zeigte den Blick von Moritz Bleibtreu, einen sehr deutschen Blick auf die Stadt, wenn auch nur in einer ganz kurzen Passage: den Bosporus, die Brücke und die ganze Schönheit. Jetzt habe ich versucht, den Blick der Leute in Istanbul einzufangen, zu zeigen, dass Istanbul auch eine extrem harte Stadt ist und auch eine extrem hässliche Stadt sein kann. Trotzdem spielt Gegen die Wand hauptsächlich in Deutschland, es ist eine deutsche Geschichte, weil es deutsche Figuren sind, nur mit türkischem Hintergrund. Den Leuten hier fällt es aber sehr schwer, das anzunehmen. Dazu noch gibt es drei verschiedene Perspektiven auf den Film: Die der Türken, die in der Türkei leben, die der Türken in Deutschland, der eben noch mal ganz anders ist, und die der Deutschen.

Sie definieren sich damit anders als noch vor zwei Jahren, wo es Ihnen darum ging, aus der Migranten-Ecke heraus und in den deutschen Mainstream hineinzukommen, um von da aus etwas zu verändern.
Ich habe den Mainstream erlebt, und der Mainstream schmeckt mir nicht. Mit Solino habe ich versucht einen Kunstfilm zu machen und bin voll in so einem kommerziellen Kram gelandet. Ich mag Solino sehr, das ist für mich ein sehr ehrlicher Film, aber das ist so nicht angenommen worden.

Zwei Filme von mir haben eine halbe Million Zuschauer gemacht; ich weiß jetzt, wie es ist im Mainstream. Meiner Meinung nach ist die Emanzipation vom Migrantenfilm erreicht. Also: Züli Aladag macht Elefantenherz, und das ist ein "deutscher Film". Da wollten wir immer hin. Man redet nicht von Elefantenherz als einem "türkischen Film" - diese Tür haben wir alle versucht aufzustoßen, und ich glaube, wir haben sie aufgestoßen. Filme wie Laufbursche (Yüksel Yavuz) - die in Deutschland gar nicht wahrgenommen werden - laufen in Cannes in der Reihe Un certain regard.

"Deutsch-türkisch" ist ja auch ein Label und für Sie nicht ohne Bedeutung. Es jetzt auf sehr verschiedene Filme heften zu wollen, könnte auch zu Beliebigkeit führen.
In Frankreich zum Beispiel reden die Leute nicht mehr über solche Unterscheidungen. Kassowitz´ Hass wurde nicht mehr als "Cinema Beur" definiert - gut der ist Jude, aber egal - sondern war eben ein französischer Film, der die Goldene Palme gewonnen hat. Das "Cinema Beur" gibt´s eben gar nicht mehr; es gibt ja auch kein "afroamerikanisches Kino" mehr in dem Sinne. Selbst Leute wie Spike Lee haben sich geöffnet, und Halle Berry spielt in Monsters Ball und gewinnt einen Oskar. Das sind Zeichen, dass sich diese Zuschreibungen zum mindesten im kulturellen Bereich auflösen.

Wie ist das mit den Vorbildern in Ihrem neuen Film? Sie arbeiteten gerne mit Zitaten aus dem Italo-Hollywood-Film. Setzt sich das fort?
Die ersten drei Filme waren ein extremer Lern- und Entwicklungsprozess für mich. Während sich Kurz und schmerzlos an New Hollywood orientiert hat - Cassavetes, der frühe Scorsese -, war Im Juli mehr an Emir Kusturica und an den französischen Abenteuerfilmen aus den Sechzigern angelehnt - Abenteuer in Rio mit Belmondo. Solino hat dann versucht, den Neorealismus wieder zu entdecken und zu benutzen. Jetzt versuche ich alles, was ich bisher gelernt habe, so zu benutzen, wie es mir liegt. Ich meine nicht "eine eigene Handschrift zu benutzen" - ob ich eine eigene Handschrift habe, müssen andere beurteilen - aber ich komme heute nicht mehr ans Set und sage: "Lass und das mal so versuchen, wie es Scorsese da und da gemacht hat", sondern versuche mehr, die Szenen zu begreifen: Was müssen wir erzählen - und wie müssen wir es erzählen, damit sich das auch vermittelt. Und ich versuche, frei von Ästhetik zu sein, und ein Bild nicht zu erschaffen um des Bildes wegen, sondern immer nur wegen der Geschichte.

Bei vielen Ihrer Vorbilder, bei Scorsese und Coppola, auch im Neorealismus geht es letztendlich auch um Migration: Eine kleine Gruppe versucht, eine neue Heimat zu gründen und zu behaupten. Bei allen Härten gibt es dann auch immer diesen sehnsüchtigen Blick Richtung Heimat.
Wenn es denn ein gemeinsames Element in allen meinen Filmen gibt, dann ist es tatsächlich, dass alle Figuren die Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben haben. Das ist in Kurz und schmerzlos so, das ist in Im Juli, in Solino ganz extrem so - und das ist in Gegen die Wand so. Woher das kommt, weiß ich nicht. Ob das meine eigene Sehnsucht ist? Vielleicht. Ich weiß aber nicht, ob es eine kollektive Sehnsucht ist.

Es gibt einen Spruch von dem palästinensischen Dichter Mahmud Darwisch: Die Sehnsucht nach der Heimat ist schöner als das Ankommen.
Exakt. Wenn man dann ankommt, ist da erstmal so eine Leere.

Was für ein Istanbul zeigen Sie in "Gegen die Wand": ein realistisches oder einen traumhaft-exotisches?
Ich hoffe ein realistisches. Aber da muss man schon sehr aufpassen. Zum Beispiel habe ich Kurtulus in einer kleinen Nebenrolle besetzt, er spielt extrem gut, aber die Leute in Istanbul sagten mir: Man hört, dass er nicht von hier ist, von seinem Türkisch her. Also habe ich die Figur umgeschrieben. Es gibt einen Taxifahrer, wenn der das Türkisch nicht so drauf hat, muss er eben aus Deutschland sein.

Wie war die Reaktion auf "Solino", als er in der Türkei anlief?
Sehr gut, was mich total überrascht hat. Ich hatte das Gefühl, dass der Film dort besser ankam als in Deutschland, vor allem die Intellektuellen waren total begeistert. Das hat mir gut getan. Man hat den Film in der Türkei übrigens als "Mittelmeer-Kino" begriffen, das finde ich einen sehr schönen Ausdruck. Er umfasst noch mal ein anderes Gebiet, schließt auch Nordafrika, Tunesien, Marokko mit ein.

Öffnet sich denn die Türkei auch nach dahin? Fühlt man sich gerne als Teil von etwas Größerem?
Kinomäßig, kulturell gibt es schon ein großes Aufmachen. Gesellschaftlich wiederum sind die Leute schon sehr auf sich bezogen. Sie sind aber auch irgendwie Teil von gar nix: die arabische Welt wollen die Leute in der Türkei nicht annehmen, mir der können sie sich nicht identifizieren - eher können sie sich mit Europa identifizieren, aber das geht umgekehrt nicht. Dann sind sie beleidigt, und suchen noch westlicher als Europa nach Orientierung, dann halt nach Amerika!

Europa drängt die Türkei ab, und dort fühlt man sich dann auch abgedrängt. Und Menschen wie ich sagen sich dann: Herr Stoiber will die Türken nicht in der EU haben, dann will er auch mich nicht haben, dann geh´ ich auch nicht zum europäischen Filmpreis.

In dem Punkt sind Sie dann doch wieder ...
Ja, Türke ...

Was für eine Bedeutung hat das türkische Kino für Sie?
Eine große Bedeutung, es ist ein Schatz, aus dem ich immer schöpfe. Da gibt es Perlen zu entdecken, Kisten voller Gold ... Ganz vorne steht für mich Yilmaz Güney; der mit seinen Filmen alles verändert hat. Er ist ein extrem wichtiger Filmemacher gewesen, auch global gesehen: ein politischer Filmemacher, ein extremer Filmemacher - und ein "Mann des Volkes", heißt es. Das würde ich auch gerne bleiben wollen - so ein Filmemacher zum Anfassen, um nicht in irgendwelche Ecken der oberen Zehntausend abzudriften, weil diese Ecken auch langweilig sind.

Das türkische Kino ist im Verhältnis betrachtet viel erfolgreicher als das deutsche: Im Wettbewerb in Cannes lief superlange kein deutscher Film mehr. Und schauen Sie sich das türkische Kino heute an: die produzieren sechs bis maximal zehn Filme im Jahr, und da ist immer einer, der den Sprung nach Cannes oder nach Venedig schafft, ob das nun Masumiyet ist oder Uzak. Das Kino in der Türkei ist stärker, wissen Sie, es hat eine eigene Identität, während das deutsche Kino erst so langsam zu sich findet. Ich würde jetzt gerne mal ein Jahr in der Türkei leben wollen und einen rein türkischen Film machen.

Für Türken?
Für die ganze Welt natürlich! Es gibt dort so unglaublich viel zu entdecken. Vielleicht kann ich ja einen deutschen Blick auf das Ganze werfen, vielleicht habe ich noch mal einen Blick, den die anderen dort nicht haben. Vielleicht wird der dann aber gar nicht angenommen, aber ich muss das ausprobieren. Das türkische Kino verfügt über sehr wenig Geld. Wenn ich erzähle, ich mach jetzt einen Low-Budget-Film für 2,5 Millionen Euro, dann sagen die: "Was? Das ist bei uns höchstes, höchstes Budget! 5 Millionen Mark! Was wir damit machen könnten!" Vielleicht sollte ich dort Filme machen, um zu lernen ökonomisch zu arbeiten.

Sie haben im Zusammenhang mit "Gegen die Wand" auch den 11. September und Ihre Wut erwähnt; können Sie das noch mal ausführen?
Seit dem 11. September erscheint die Welt so zweigeteilt in Gut und Böse. Es gibt den Orient und den Okzident, es gibt den Westen und den Osten, es gibt Moslems und Christen, schwarz und weiß, Tag und Nacht ... Jedenfalls wird das so ausgemalt von - Führungskräften in dieser Welt. Und darauf bin ich wütend, weil ich glaube manchmal, dass die Bösen sich als die Guten bezeichnen. Mit der Trilogie über "Liebe Tod und Teufel", an der ich arbeite und Gegen die Wand den ersten Teil bildet, versuche ich auch zu ergründen, ob das Gute auch wirklich gut ist. Ist der Teufel wirklich böse oder ist der Teufel nicht Che Guevara gewesen, der sich für die Menschen eingesetzt hat, der die Menschen aus dem Sklaventum Gottes befreien wollte, und für die Freiheit der Menschen gekämpft hat, und deshalb aus dem Paradies der Menschen verbannt worden ist ...

Der Teufel war der einzige Engel, der sich nicht verbeugen wollte vor dem Menschen ...
Ja, das ist Der Unbeugsame - ein Film mit Paul Newman, und wir lieben ja alle Paul Newman in dem Film, weil er immer wieder aufsteht. Über diese Verlogenheit jedenfalls bin ich total wütend. Auch in der türkischen Struktur gibt es diese Doppelmoral. Jeder beobachtet dich, jeder mischt sich ein. Wenn man dort in einem Restaurant mit einem Mädchen knutschen würde, würde gleich ein Kellner kommen und sagen: "Eh, reiß dich zusammen, benimm dich mal." Ich sage ja nicht, es muss gleich alles pornografisiert werden, aber bestimmte Gesellschaftsformen und -rituale empfinde ich als falsch und überholt. Und davon handelt auch Gegen die Wand, von dieser Wut über die Doppelmoral. Der Film ist eben auch Punk, hat viel mit Zerstörung zu tun, nach innen hinein, weil alles so destruktiv ist. Wir leben nicht in einer guten Welt; und darin unterscheidet sich Gegen die Wand von Solino und Im Juli, wo die Welt noch in Ordnung ist. Ich habe einfach kapiert, es ist nicht mehr okay. Jetzt muss ich halt solange solche Filme machen, bis es wieder okay ist, jedenfalls für mich okay ist ...

Das Gespräch führte Amin Farzanefar

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