Liebeskultur

Arts Club Die Kulturpolitik sucht neue Begründungen

Etwas mulmig war mir doch. Mit drei Neonazis in kurzen Hosen und Muskel-T-Shirts stand ich Mitte Mai stumm auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Die Sonnenbrille ins gegelte Haare geschoben zupften sie souverän die Schleife an dem Blumengebinde zurecht, das sie auf das Grab Bertolt Brechts gelegt hatten. Kameras surrten. Die denkwürdige Szene war sicher nicht ganz das, was sich der slowenische Philosoph Slavoj Z?iz?ek vorgestellt hatte, als er vergangene Woche auf dem Berliner Kongress der Kulturpolitischen Gesellschaft die Kultur der "Begegnung" zur neuen Leitidee der Kulturpolitik ausgerufen hatte. Eigentlich hatte er mit der Forderung, dem "ausgeschlossenen leidenden Anderen direkt die Hand zu reichen" die Ausgegrenzten in der Dritten Welt gemeint. Der Handschlag dagegen, mit dem mich der Düsseldorfer Sonnenbanknazi Thorsten Lemmert begrüßt hatte, war kalkuliert. "Die kommen aber hoffentlich nicht rein" rief er, wie um seine prompte Läuterung zu demonstrieren, als ihm Rezzo Schlauch bei einem eigens arrangierten Besuch für die Protagonisten von Christoph Schlingensiefs "Hamlet"-Projekt erklärte, wo im Reichstag die Republikaner säßen, würden sie ins Hohe Haus gewählt. Es war wie aus dem Bilderbuch der Kulturtheoretiker. "Kunst hat Macht" hatte der Vorsitzende der Kulturpolitischen Gesellschaft, der Essener Kulturdezernent Oliver Scheytt, beim Empfang von Johannes Rau im Schloss Bellevue beseelt gerufen. Die Kunst verändert, ja sie verbessert die Menschen. Zu schön, um wahr zu sein.

Z?iz?eks Formel von der "authentischen Arbeit der Liebe" war eine geradezu fundamentalistische Attacke auf Kultur als eine Form der Selbstbeobachtung und des Vergleichs. Mit der er bei der Woche der Brüderlichkeit hätte landen können. Schlingensiefs neuester Streich war zwar ein Beispiel für die heilsame Kraft des Handauflegens mit Kultur. Doch ob Z?iz?eks zwiespältiges Bedürfnis nach Echtheit und Unmittelbarkeit als kulturpolitische Maxime taugt? Am Tarifrecht im bundesdeutschen Stadttheater dürfte sich der furiose Denker damit vermutlich die Zähne ausbeißen. Und mit den viel einschneidenderen Umwälzungen vor denen die Kulturpolitik steht, dürfte man damit ebenso wenig fertig werden, wie mit Johannes Raus sehr schlichter Formel "Kultur muss unter die Leute". Immigration, Individualisierung, neue Medien und zersplitterte Öffentlichkeiten sprengen den Kanon der Schimäre Leitkultur und die kollektiven Formen und Gehäuse ihrer Aneignung langsam aber sicher auf.

Z?iz?eks essentialistische Verve ist nur ein Indiz für einen backlash, der (noch) in den Katakomben des kulturpolitischen Diskurses grummelt. Auffällig anders als der selbsternannte Kanonsprengmeister Gerard Mortier forderte der marxistische Philosoph eine "Prise Elitarismus". Das emanzipatorische Erbe der Klassiker drohe unter der Inflation von trash und pop verschüttet zu werden. Wo doch Nicolaus Schafhausen seinen Kunstverein in Frankfurt gerade erst notdürftig zum arts club umgebaut hat. Und der Prototyp des kunstverdunkelnden Kulturlobbyisten, der Vorsitzende des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, verstieg sich zu der extravaganten These, "Kultur für Alle" grenze die Hochbegabten aus. Gewiss wäre es an der Zeit, liebgewordene Klischees überprüfen. Das vom prinzipiellen Gegensatz Kunst, Macht und Markt beispielsweise. Beim Sommerfest einer Berliner Literaturagentur konnten sich letzte Woche gar nicht genug Künstler um den mächtigen Frank Schirrmacher scharen. So findig wie heute viele Künstler stets neue Stipendien aufspüren, sind sie zu Experten der regionalen Wirtschaftsförderung geworden. Und ihre Fähigkeit, den Menschen etwas zu verkaufen, was sie an sich gar nicht brauchen, macht sie, wie Boris Groys sarkastisch anmerkte, eigentlich zur prototypischen "Avantgarde der Ökonomie".

Gewiss darf die neue Bundeskulturstiftung auch Spitzenförderung betreiben. Und ein paar mehr Theater-GmbHs sind auch keine Sünde wider den Heiligen Geist. Doch schon der Hilfeschrei, bei möglichst vielen Menschen Kreativität und Sensibilität als Hilfsmittel gegen die Virtualisierung zu schulen, zeigt, dass der egalitäre Grundauftrag der Kulturpolitik keineswegs überholt ist. Um "Kultur für alle" unter veränderten Bedingungen weiter zu entwickeln, braucht man Entwürfe. Und nicht nur ein gutes Herz. Liebe allein ist noch keine Kunst. Schon Ovid schrieb in seiner Ars amatoria: erst "Kunst gibt der Liebe Bestand".

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