Freitag: In der ersten Ausgabe von "Frauen und Film" (FuF) war zu lesen: "Zu Beginn der Filmgeschichte standen die Frauen als Pionierinnen neben den Männern. Das wird jedoch nur in wenigen filmhistorischen Werken erwähnt. Die Frauen sind schnell ausgeschaltet worden."
HEIDE SCHLÜPMANN: Daran ist viel Wahres. Die Herausgeberinnen hatten Frauen wie Alice Guy und Luis Weber im Kopf, ohne dabei die ganze Bandbreite der Arbeit von Frauen in den frühen Jahren des Kinos zu kennen. Die Filmgeschichte zitiert immer Lumière und Méliès als die Väter des Kinos, lässt aber Alice Guy, die um die gleiche Zeit angefangen hat, Filme zu machen, aus. Am Anfang waren Frauen auch Regisseurinnen. Später hat, gerade in Hollywood, ein Regisseur die Arbeit von Frauen bestimmt. Marlene Dietrich zum Beispiel wird immer als Geschöpf von Sternberg bezeichnet. In der Frühzeit war die Position des Regisseurs nicht dominant. Die Schauspielerinnen haben ihre Rollen weitgehend bestimmt und konnten einen Film prägen. Asta Nielsen, die wir auch in unserer Jubiläums-Retrospektive zeigen, hat ihre Rollen völlig aus sich heraus entwickelt. In den Drehbuch-Skizzen stand nur "Das Kind stirbt. - Astas große Szene." Sie hat entschieden, welche Geschichte sie mag, unter Umständen auch, mit wem sie spielen will. Es gab keine festgelegte, männlich gestaltete Hierarchie. Und schließlich hat sich das frühe Kino viel enger im Zusammenhang mit einem Publikum entwickelt. Man wollte Frauen als Publikum gewinnen. Um 1907, als das Kino sesshaft wurde, entstanden kurze Geschichten, in denen Frauen im Mittelpunkt standen, ein Dienstmädchen, eine Hausfrau, eine Waise. Das zielte auf ein Frauenpublikum. Frauen hatten deshalb bei der Produktion von Filmen eine gute Position. Schauspielerinnen haben auch Regie geführt. Aber diese Filme sind zum größten Teil nicht überliefert.
Warum verloren die Frauen an Einfluss?
SCHLÜPMANN: Das ist mit der Industrialisierung der Filmproduktion und der Adaptierung des Kinos durch die bürgerliche Kultur und Politik verbunden. Das ging über den ersten Weltkrieg mit seinem massiven Propagandainteresse hin und wurde manifest in den 20er Jahren. Die Industrialisierung bedeutete größere Arbeitsteilung, auf Grund derer nicht mehr kollektiv, sondern in hierarchischen Strukturen entschieden wurde. Das beschreiben auch Männer, Oskar Meßter zum Beispiel. Der hat schon Mitte der 10er Jahre die Veränderung der Filmproduktion als Verlust beschrieben: Verlust an Spontaneität, Abenteuer, Beweglichkeit.
"Frauen und Film" wurde 1975 gegründet. Kam das Bedürfnis, Frauen und Kino als Thema aufzugreifen, aus der Neuen Frauenbewegung?
SCHLÜPMANN: Helke Sander war eine Protagonistin der Frauenbewegung. Sie hatte Film an der Hochschule für Film und Fernsehen in Berlin studiert. Sie und Claudia Alemann, mit der sie das Erste Internationale Frauenfilmfestival 1974 organisierte, waren als Filmemacherinnen in der linken politischen Szene sozialisiert. Sie hatten einen politischen Begriff vom Film. Andererseits waren sie gerade nach dem Abschluss der Hochschule mit dem Problem konfrontiert, als Frau in einer von Männern dominierten Filmszene zu arbeiten. Man merkt den ersten Heften an, dass Film hier einerseits als Mittel der Politik vertreten wird und es andererseits darum geht, sich als Filmemacherinnnen und mit einem Publikum von Frauen zusammenzuschließen, um gemeinsam stärker zu sein.
KAROLA GRAMANN: Es gab Ausschlussmechanismen für Frauen, die schlichtweg Zwecksexismen waren. Frauen wurden von der Kameraarbeit ausgeschlossen, weil die Kameras angeblich zu schwer waren. Deshalb wurden Strategien gebraucht, wie man dagegen angeht.
In den ersten Heften wird viel über die beruflichen Bedingungen von Frauen diskutiert, die beim Film arbeiten, nicht nur über Regisseurinnen. Es gab ein Heft über Cutterinnen.
SCHLÜPMANN: Die Frauenfilmbewegung wollte nicht allein die großen Regisseurinnen der Filmgeschichte wieder ins Bewusstsein holen. Der Ansatz von "Frauen und Film" war, die Autorschaft des Films breiter zu fassen. Jeder Film wird von einer Gruppe von Leuten gemacht, die sich hinter dem Regisseursnamen verbirgt, und darin ist viel Frauenarbeit, zum Beispiel eben am Schnitt.
Frauen, die in der Literatur- oder Kunstszene arbeiten und einen feministischen Anspruch artikulieren, gelten heute oft als unprofessionell. Viele weisen deshalb von sich, Feministinnen zu sein. Trifft das auch auf den Film zu?
SCHLÜPMANN: Das begann in den 80ern. In den 70ern wollten die Frauen kämpfen. Feminismus war ihr Kampfbegriff.
GRAMANN: Meine Haltung ist nach wie vor feministisch. Der Begriff Feminismus ist mit dem Anspruch verbunden, etwas zu ändern. Dabei bleibe ich. Und gegen eine Eingemeindung des Begriffs feministische Filmarbeit als "Frauenfilm" haben wir opponiert. Wir haben einen Beitrag zur Kritik des Frauenfilms geleistet.
SCHLÜPMANN: Es gab schon immer Filmproduktionen, die von Männern für Frauen gemacht wurden, eben "Frauenfilme". Der Ausgangspunkt von "Frauen und Film" war nicht "Frauenfilm", sondern feministische Filmarbeit, die für Frauenemanzipation eintritt. Wir wurden als Feministinnen diskriminiert, aber wir haben das aufgegriffen und nicht getan, als wären wir nicht da. Heute gibt es viele jüngere Frauen, die ein politisches Interesse haben, das aber nicht allein im Feminismus steckt. Schon deshalb muss man sich überlegen, ob Feminismus noch der geeignete Kampfbegriff ist. Dass es inzwischen eine akademisch integrierte feministische Filmtheorie gibt, kommt hinzu.
Helke Sander hat 1975 in ihrem Manifest geschrieben: "Feminismus ist keine Frage des Themas". Welche Filme, in denen andere als Frauenthemen eine wesentliche Rolle spielen, werden denn überhaupt als feministisch wahrgenommen?
SCHLÜPMANN: Mir fällt ein wenig bekanntes Beispiel ein: die Filme von Hille Köhne. Aber im Grunde sind fast alle Experimentalfilme wenig bekannt, und Hille Köhnes Arbeiten in den achtziger Jahren gehören dazu. In Kingkong und Na gut, schlachtet alleGummibärchen gibt es kein sozialkritisches Thema, das sich ausdrücklich auf Frauen bezieht, in Kingkong ist nicht einmal eine Frau zu sehen. Diese Filme treffen etwas, was schon in den 70er Jahren für feministische Filmarbeit wichtig war - neben den dokumentarisch-politischen Filmen: Feministische Filmarbeit hat einen Bruch mit den Formen des klassischen Kinos versucht. Daher müssen nicht sichtbar eine Frau und ihre Probleme im Zentrum stehen, es geht darum, eine andere Sicht auf die Welt zu zeigen. Auch das wiederum ist nicht erst eine Auffassung des Feminismus, sondern wurde von linken Filmkritikern ebenso vertreten. Sie ging davon aus, dass der ganze Apparat des Kinos, die Kamera insbesondere, ein Instrument ist, in dem sich Herrschaftsstrukturen sedimentiert haben. Man muss deshalb mit dem der Kamera eingeschriebenen Blick brechen.
GRAMANN: Das hat zu der pointierten Position geführt, dass ein Film, der die Formen des herrschenden Kinos übernimmt, nicht emanzipatorisch sein kann. Laura Mulvey hat das auf den Punkt der Zentralperspektive oder Renaissanceperspektive gebracht.
Und wie kann eine andere Perspektive aussehen?
GRAMANN: Laura Mulvey hat den Film Riddle of the sphinx gemacht, über die Rolle der Mütter in der Gesellschaft. Darin wird eine Kameraperspektive durchgehalten, die sich in Hüfthöhe befindet, also auf Arbeitshöhe der Frauen und in der Höhe, in der Kinder auf der Hüfte getragen werden.
SCHLÜPMANN: Normalerweise schaut man mit der Kamera und vergisst, dass sie den Blick vorgibt. Die Experimentalfilmszene der 70er war politisch, und man hat den Begriff einer Politik der Form gegen denjenigen Dokumentarfilm vertreten, der lediglich auf politisch wertvolle Inhalte achtete. Heute gibt es keine Experimentalfilmszene mehr.
Wurde in den 70er und 80er Jahren die Zeitschrift breiter aufgenommen?
SCHLÜPMANN: "Frauen und Film" ist in den 70ern nicht breiter, aber in der Frauenbewegung rezipiert worden. In den 80ern haben wir feministisches Publikum verloren, aber im Bereich der Filmkritik Publikum gewonnen.
Die Zeitschrift hat auch die Konflikte der Frauenbewegung erlebt, zum Beispiel die Pornographie-Diskussion.
SCHLÜPMANN: In der Pornographiediskussion sind wir in der Tat in Streit mit einem Teil der Frauenbewegung geraten. Statt für "PorNo" waren wir in "Frauen und Film" für "Sex am Arbeitsplatz", und das hat uns Ärger eingetragen.
GRAMANN: Das war aber die zweite Welle. Am Anfang zog auch "Frauen und Film" heftig gegen Pornographie zu Felde anlässlich des Films Die Geschichte der O. Damals wurde eine verkürzte Kritik an der Pornographie propagiert. 1981, als wir eine Ausgabe über Pornographie gemacht haben, war klar, dass wir uns als Frauen auch für Pornographie interessieren und sie als ernstzunehmendes Genre diskutieren. Lesen wir keine Pornographie? Haben wir keine Lust an diesen Bildern? Ähnlich war es mit den Hollywood-Filmen. Wir haben zugegeben, dass wir am "Verbotenen" Lust haben.
SCHLÜPMANN: Nur weil das Kino von der Männersexualität dominiert ist, wollen wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und dagegen ein Kino setzen, das nichts mit Lust zu tun hat, sondern lieber ein Kino, das mit unseren Lüsten und Begierden verbunden ist. Frauen gehen gern ins Kino. Will man uns das austreiben?
GRAMANN: Da kommt auch ein enger Begriff dazu, mit wem man sich im Kino identifiziert. Ich finde es großartig, wenn Frauen sich mit Clark Gable identifizieren, anstatt immer die "ausgebeutete" Position einzunehmen. Bin ich jetzt die, die als Clark Gable Vivian Leigh begehrt, oder bin ich Vivian Leigh, die Clark Gable begehrt, oder sitze ich im Kino und sehe, dass Vivian Leigh ein Opfer ist?
SCHLÜPMANN: Wir haben das Konzept der Identifizierung angezweifelt. Das Kino ist ein Ort, in dem das Fließende der Sinne zur Geltung kommt, das etwas von der kindlichen Wahrnehmung hat. Das ist mit dem Hinweis auf das Vorsprachliche im Kino schon früh thematisiert worden. Filme, die als patriarchal angegriffen wurden, haben auch andere Seiten. Und Frauen können spielend die Strukturen unterlaufen.
Welche Fragen drängen heute?
SCHLÜPMANN: Die Rettung des Kinos. Im Moment scheint das Kino zu erliegen. Es kann doch nicht heißen: Wenn es das Digitale gibt, brauchen wir die Zelluloidprojektion nicht mehr. Auch die Malerei ist nicht durch die Fotografie verschwunden; alle schauen sich noch die Mona Lisa an. Aber es scheint so, als würde sich binnen kurzem niemand mehr einen Film von Joseph von Sternberg ansehen, geschweige denn die wunderbaren Filme, die in den 10er Jahren entstanden sind, oder einen Film aus den 70er Jahren. Allerdings, die Malerei ist nicht die gleiche geblieben, seit es die Fotografie gibt.
Rettung des Kinos meint auch Rettung des Orts Kino?
SCHLÜPMANN: Der Ort gehört zu den Filmen unbedingt dazu. Sie entfalten ihre Ästhetik in diesem dunklen Raum, in dem das Licht auf die Leinwand fällt. Deswegen feiern wir das Jubiläum der Zeitschrift auch im Kino, mit einer Filmretrospektive.
Die Fragen stellte Ulrike Gramann
Heide Schlüpmann ist Mitherausgeberin der Zeitschrift "Frauen und Film" und lehrt Filmwissenschaft an der J.W.Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Karola Gramann, Filmwissenschaftlerin, arbeitet seit 1979 für "Frauen und Film", war von 1983 bis 1986 Mitherausgeberin und ist Kuratorin der Filmretrospektive.
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