Man weiß nicht mal, ob die Regierung etwas weiß

America´s new war Der Hamburger Friedensforscher Reinhard Mutz über das Recht auf Selbstverteidigung, die Rolle der NATO und die demokratische Pflicht zur öffentlichen Beweisführung

FREITAG: Was erleben wir zur Zeit in Afghanistan? Einen Krieg - oder wie würden Sie das bezeichnen?
REINHARD MUTZ: Afghanistan ist ein Staat, auch wenn den Machthabern die internationale Anerkennung als Regierung fehlt. Waffengebrauch zwischen oder gegen Staaten gilt üblicherweise als Krieg.

Welche Ziele verfolgen die Amerikaner in Afghanistan: Die Ergreifung Osama bin Ladens, den Sturz des Taleban-Regimes oder ist das doch der Anfang einer langjährigen Operation gegen den internationalen Terrorismus?
Ein legitimes Ziel wäre, dafür zu sorgen, dass die Anschläge vom 11. September gesühnt werden. Und mindestens ebenso wichtig wäre, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Ob dazu aber militärische Mittel überhaupt taugen, ist außerordentlich zweifelhaft. Daher ließen sich allenfalls Zwischenziele formulieren, die sich dann aber möglicherweise nur als Ersatz-Ziele herausstellen. Wenn am Ende die Taleban entmachtet sein sollten, wird man das vermutlich als Erfolg herausstellen.

Was verstehen Sie unter Sühne?
Dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und eine Wiederholung der Verbrechen verhindert wird.

Heißt das, die Verantwortlichen gehören vor ein Gericht?
Ja, natürlich.

Und wenn diese sich ihrer Verhaftung widersetzen?
Dann wäre es angesichts der Größenordnung des Verbrechens auch nicht kritikwürdig, sie physisch zu liquidieren. Das wäre aber immer noch eine gezielte Maßnahme gegen identifizierte Täter und keine kriegsähnliche Handlung gegen einen Staat oder ein Volk.

Sie meinen also, man sollte auf internationaler Ebene genau jene Instrumente anwenden und jene Verhältnismäßigkeit wahren, die in demokratischen Gesellschaften die innerstaatliche Strafverfolgung bestimmen?
Ja, das wäre völkerrechtlich legitim und auch dann noch legitim, wenn militärische Mittel dazu beitragen könnten. Aber ob das hier der Fall ist, ist eben zu bezweifeln.

Welche Rolle spielt die NATO. Es scheint, als wäre sie eine Art Hilfstruppe der USA.
Die NATO spielt genau jene Rolle, die ihr in diesem Fall zukommt: nämlich überhaupt keine. Terrorismusbekämpfung ist nun einmal kein Fall für ein Militärbündnis. Andererseits bedroht grenzüberschreitender Terror zweifellos die internationale Sicherheit. Hier wäre - gemäß ihrer Satzung - eigentlich die UNO gefragt. Aber die spielt - mangels eigener Handlungsfähigkeit - noch eine eher bescheidene Rolle.

Die UNO hat das Selbstverteidigungsrecht der USA anerkannt. Ist damit das, was jetzt passiert - einmal abgesehen davon, dass wir nicht wissen, was genau geschieht -, völkerrechtlich legitimiert?
Die Erklärung des UN-Sicherheitsrates hat Gewicht in der Frage nach der völkerrechtliches Deckung. Irgendjemand muss das Völkerrecht ja interpretieren, und dafür ist der Sicherheitsrat schon zuständig. Ich habe jedoch große Zweifel, ob Selbstverteidigung der passende Begriff ist. Das setzt nämlich einen anhaltenden, unmittelbar fortdauernden Angriff voraus. Und dies ist hier nicht der Fall. Deshalb kann es nur darum gehen, die Täter dingfest zu machen und mögliche Wiederholungen zu verhindern.

Wie sehen Sie Rolle der Bundesregierung in diesem Fall. Agiert Berlin souverän?
Da gibt es ein paar Fragen, die zu klären wären: Welche gesicherten Erkenntnisse über Schuldige liegen vor? Gegen welche Ziele richten sich die Angriffe genau? Welche Schritte folgen als nächstes? Und wie ordnet sich all dies in ein strategisch-politisches Konzept ein. Die deutsche Öffentlichkeit weiß darüber so gut wie nichts. Schlimmer aber ist: Wir wissen nicht einmal, ob die Bundesregierung etwas weiß! Wie bei diesem Informationsstand der Bundestag irgendwann einmal eine verantwortliche Entscheidung über eine deutsche Beteiligung treffen soll, ist mir ein Rätsel.

Offenheit ist schwierig in dieser Situation. Es besteht die Gefahr zu viel zu verraten, die Täter zu warnen.
Das sehe ich anders. Man muss nicht alle militärischen Details wie Zeitpunkt, Einsatzpläne undsoweiter veröffentlichen. Aber man kann sehr wohl seinen Verbündeten - und diese dann ihrer Öffentlichkeit - erläutern, welchen Stellenwert man welcher Maßnahme beimisst und worauf sich die Erwartung gründet, dass zum Beispiel militärische Mittel Erfolg versprechen. Soviel Kommunikation ist absolut möglich. Und wenn es dann eine stichhaltige und überzeugende Argumentation gäbe, würde dies auch den Rückhalt in den jeweiligen Gesellschaften stärken.

Wir wissen nicht genau, was uns noch bevorsteht. Aber vom Anfang auf das Ende geschlossen: Haben wir mehr internationale Sicherheit, mehr Kooperation zu erwarten oder eher weniger?
Das ist natürlich nur spekulativ zu beantworten. Man muss sich zunächst die Dimension des Anschlages bewusst machen. 6.000 Tote - das heißt 50.000 bis 100.000 unmittelbar Hinterbliebene: nahe Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen. Von dieser Gruppe geht ein immenser Druck aus. Nichts zu tun, könnte sich kein Präsident, keine Administration erlauben. Nur: Das Falsche zu tun, birgt noch größere Risiken. Und das militärische Vorgehen vergrößert ganz zweifellos die terroristische Gefahr.

Angesichts des Drucks, von dem Sie sprachen: Hat Sie die Reaktion der Bush-Administration in den Wochen nach dem 11. September überrascht?
Nein überhaupt nicht. Das ist ein sehr zielvolles und planvolles Vorgehen gewesen, um für die eigenen Vorhaben soviel internationale Unterstützung oder zumindest Duldung zu gewinnen wie möglich. Ob das aber ein neuer Multilateralismus ist, würde ich sehr bezweifeln. Zumindest wird sich das erst zeigen, wenn der politische Alltag zurückgekehrt ist - Stichworte: Raketenabwehr, Klimaschutz, Naher Osten. Die lange Liste offener Fragen ist ja nicht kleiner geworden. Und ob die Vereinigten Staaten da künftig wirklich kooperativer und multilateraler agieren werden, ist absolut offen. Aus dem Vorgehen der vergangenen Wochen lässt sich das jedenfalls nicht - weder positiv noch negativ - ableiten.

Das Gespräch führte Torsten Wöhlert

Dr. Reinhard Mutz ist stellvertretender Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (HIFS).

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