Marinus in Köln

Ausstellung Drei Briefe von zunehmender Dringlichkeit schickte die deutsche Gesandtschaft um den Jahreswechsel 1939/40 an das Außenministerium Luxemburgs. Die ...

Drei Briefe von zunehmender Dringlichkeit schickte die deutsche Gesandtschaft um den Jahreswechsel 1939/40 an das Außenministerium Luxemburgs. Die Schreiben galten der auch in Luxemburg beliebten französischen Zeitschrift Marianne. Sie war berühmt für ihre Fotomontagen, die Hitler, Stalin und Mussolini genauso aufs Korn nahmen wie die politische Naivität des Westens gegenüber Nazideutschland. Aufgrund von "boshaften Hetzartikeln" und "bildlichen Darstellungen des Staatsoberhauptes des Deutschen Reichs, die ihn verhöhnt und herabgewürdigt haben", so hieß es im dritten und letzten Brief der deutschen Gesandtschaft, sei "ein augenblickliches Verkaufsverbot" der Zeitschrift "unumgänglich". Erfolg hatte die Mahnung nicht. Luxemburgs Außenminister ließ Hitlers Diplomaten abblitzen, Marianne erschien vorerst weiter.

Bis zum Juni 1940. Dann marschierte die Wehrmacht in Paris ein, Frankreichs linke Presse wurde verboten, die Redaktionsräume der Marianne durchsucht. Dem Schöpfer der berühmten Fotomontagen aber kamen die Nazis nicht auf die Spur. Seine Arbeiten waren aus dem Archiv verschwunden. Zum Glück, trugen sie doch auf der Rückseite einen verräterischen Stempel: "Marinus. 14, Rue Saint-Louis-en-l´Ile, Paris (4 E)".

Jahrzehntelang war nicht bekannt, wer sich hinter dem Pseudonym Marinus verbarg. Im Kölner Museum Ludwig wird dieses Geheimnis nun für ein breiteres Publikum gelüftet. Es handelt sich um den in Frankreich lebenden Dänen Jacob Kjeldgaard, Jahrgang 1884. Der Künstler schuf zwischen 1932 und 1940 über 250 Fotomontagen, meist Titelbilder für Marianne. Während der Besatzung lebte er zurückgezogen weiterhin in Paris und starb dort 1964 vollkommen vergessen.

Erstmals werden in der Ausstellung die Original-Montagen und zahlreiche Ausgaben der Zeitschrift Marianne gezeigt sowie aufschlussreiche Parallelen zu John Heartfield gezogen. Marinus steht künstlerisch auf gleicher Stufe mit dem Dada-Pionier. Und auch wenn sich die beiden wohl nie begegnet sind, muss sich Marinus an Heartfield orientiert haben. Darauf deuten nicht nur Ähnlichkeiten im Werk. Die große Heartfield-Ausstellung 1935 in Paris (da war Heartfield mit der Arbeiter Illustrierten Zeitung schon im Prager Exil) kann an Marinus nicht unbemerkt vorüber gegangen sein.

Dennoch: Die Unterschiede zwischen den beiden Künstlern sind beachtlich, wie schon die titelgebende Fotomontage von Marinus Hitler blind und Stalin lahm verdeutlicht. Hier der deutsche Kommunist Heartfield, dessen Kritik sich auf Hitler konzentrierte - dafür steht die Fotomontage Der Sinn des Hitlergrußes ("Millionen stehen hinter mir") oder die Röntgenaufnahme ("Adolf, der Übermensch: Schluckt Gold und redet Blech"). Dort der links-intellektuelle Däne, der von seiner Kritik die Sowjetunion nicht ausnahm. So entstand nach dem Hitler-Stalin-Pakt eine Arbeit, die Hitler als Balalaikaspieler mit Hammer und Sichel zeigt. In der Fotomontage Die schlechten Hirten bringen Hitler, Goebbels, Göring und Stalin dem Jesuskind ihre Gaben: einen Panzer, eine Flasche Propaganda-Gift, ein Bombenflugzeug und ein Karl Marx-Porträt.

Es ist verdienstvoll, dass Marinus durch die Schau dem Vergessen entrissen wird. Erinnert sein Werk doch daran, dass Kunst und Journalismus nicht neutral sein müssen, um wahrhaftig zu sein.

Hitler blind und Stalin lahm. Marinus und Heartfield. Politische Fotomontagen der 1930er Jahre. Museum Ludwig Köln. Noch bis 19. Oktober. Der Katalog ist im Steidl Verlag erschienen und kostet 39 Euro.

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