Meister des Konsenses

ROMANO PRODI Ein Mann für schwierige Fälle - und Kommissionspräsident im Wartestand

So richtig gelegen kommen Romano Prodi die europäischen Turbulenzen nicht. Denn wenige Monate nach seinem Sturz als italienischer Ministerpräsident bastelt er an einem Comeback: Zusammen mit dem ehemaligen Korruptionsermittler Antonio Di Pietro und etlichen prominenten Bürgermeistern hat er die Partei der »Demokraten« gegründet, die das römische Parteiensystem ein weiteres Mal durcheinanderwirbeln soll. In Umfragen zur Europawahl am 13. Juni erreichte die Neugründung sensationelle 16 bis 17 Prozent. Kein Wunder, daß Prodis Nachfolger, Bündnispartner und Konkurrent Massimo D'Alema (DS) ihn am liebsten weit weg sähe. Entsprechend eifrig bemühte er sich, Prodi nach Europa wegzuloben.

Daß Romano Prodi, 1939 in der norditalienischen Provinz Reggio-Emilia geboren, ein Mann für schwierige Fälle ist, hat er mehrfach bewiesen. Als anerkannter Wirtschaftswissenschaftler war er 1978/79 Industrieminister unter seinem christ-demokratischen Partei freund Giulio Andreotti. Zwischen 1982 und 1989 und noch einmal in den Jahren 1993/94 hatte er die Leitung der Staatsholding IRI inne, zu der namhafte Banken und Großbetriebe gehörten. Stolz bezeichnet er sich als »Architekt« der Privatisierung von 70 Prozent der ehemaligen Staatsbetriebe.

Mit diesem Renommee war Prodi 1996 der ideale Spitzenkandidat des Mitte-Links-Bündnisses Ulivo. An dessen historischem Sieg über den Rechtsblock hatte er entscheidenden Anteil. Während Silvio Berlusconi ihn als »Strohmann der Kommunisten« diffamierte, verkündete der damals parteilose Prodi seine sozialliberalen Überzeugungen. Sein 1995 in großer Auflage verbreitetes Manifest für den Wandel war das Programm für eine ziemlich große Koalition. Darin traf sich, so der Spitzenkandidat des Ulivo, »die soziale Sensibilität einer wirklich modernen Linken mit dem Liberalismus einer Mitte, die fähig ist, den Bedarf unseres Landes an Modernität effektiv zu interpretieren«.

Konkret hieß das: Oberste Priorität hat die Bekämpfung der Staatsverschuldung; soziale Leistungen an die Benachteiligten sind wünschenswert, solange sie »kompatibel« bleiben mit der »gebührenden Verpflichtung der Einzelnen gegenüber dem Staat und mit dem nötigen Ausgleich der öffentlichen Haushalte«. Das Wort »kompatibel« taucht in Prodis Programm überall dort auf, wo es um soziale Forderungen geht. Fast ebenso oft verwendet er das Reizwort »il modello tedesco« - richtungsweisend am »deutschen Modell« findet er unter anderem den Föderalismus, den Solidaritätszuschlag und den Aufbau Ost.

In seiner weitgehend skandalfreien Zeit als Regierungschef hat Prodi sich an sein Programm gehalten; Richtschnur seines Handelns waren die Konvergenzkriterien des Vertrages von Maastricht. Mit einigem Recht gilt er als derjenige, der Italien »nach Europa geführt« hat - durch eine strikte Sparpolitik, die bis Herbst letzten Jahres auch von der Rifondazione Comunista mitgetragen wurde. Ein weiterer Erfolg seiner Amtszeit war die lange umkämpfte Rentenreform; Prodi gelang der Kompromiß, den Berlusconi nicht zustande gebracht hatte, und das ohne größere soziale Spannungen.

Auch außenpolitisch orientierte Prodi sich an den realen Kräfteverhältnissen. Die ständigen deutschen Mahnungen, Italiens Grenzen gegen unerwünschte Einwanderer besser zu sichern, nahm er freundlich lächelnd hin: Italien sei sich der Verantwortung bewußt, die ihm »aus der Tatsache erwächst, daß seine Grenzen heute auch die Grenzen ganz Europas sind«. Die Taten, die er solchen Beteuerungen folgen ließ, konnten die europäische Führungsmacht allerdings nie ganz zufrieden stellen. Vielleicht ist Prodi deshalb aus Schröders Sicht auch »zu schwach« und damit nur zweite Wahl für den höchsten Posten der EU.

Immerhin ist der Kandidat stark genug, um Bedingungen zu stellen: Er will das Amt nur übernehmen, wenn er einstimmig und für fünf Jahre gewählt wird. Das ist nur scheinbar hoch gepokert. Prodi hat mit seiner neuen Partei ein weiteres Eisen im Feuer. Und ein glanzvolles Comeback ist in der italienischen Politik durchaus möglich.


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