Mildtätigkeit ist nicht mein Ansatz

Was geht Die Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) über einen Job, der nicht vergnügungssteuerpflichtig ist, und eine Sozialpolitik, die sich nicht in Symbolpolitik erschöpft

FREITAG: Sie sind seit Januar 2002 Berliner Sozialsenatorin - wie hat sich Ihr Bild von der Stadt in diesen zwei Jahren verändert?
HEIDI KNAKE-WERNER: Mir ist vor allem klar geworden, wie groß hier die sozialen Unterschiede sind. Der Anteil der wirklich Armen und Bedürftigen ist deutlich größer als in anderen Großstädten. Das bezieht sich besonders auf Migrantinnen und Migranten. Und auf eine erschreckend hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen, die wirklich in Armut aufwachsen.

Hat Berlin überhaupt den Hauch einer Chance, diese Probleme zu lösen und zugleich seine Hauptstadtfunktionen auszufüllen?
Ja, aber wir müssen dazu die Unterstützung vom Bund einklagen. Kosten für Polizei- und Sicherheitsmaßnahmen, die das Land Berlin für hauptstädtische Funktionen durchführt, werden zwar zum Teil erstattet, aber es gibt viele andere Dinge, die wir vorhalten und an denen sich der Bund kaum beteiligt, im Kulturbereich zum Beispiel. Hier ist der Bund viel stärker gefordert.

Sonderrechte für Berlin durchzusetzen, dürfte im Moment sehr schwer sein. Die Bundesregierung verfolgt - schon seit längerer Zeit - einen Kurs, der den finanziellen Handlungsspielraum der Länder und besonders der Kommunen begrenzt und ihnen gleichzeitig immer mehr Pflichtaufgaben zuweist. Sollte nicht die PDS den Protest und die Unzufriedenheit weiter Teil der Bevölkerung in die Parlamente tragen statt die Konsequenzen eines prinzipiell falschen Kurses zu exekutieren?
Wir exekutieren nicht die falsche Politik. Im Gegenteil, wir haben im Bundesrat die Gesundheitsreform ebenso wie die Rentenkürzungen und Hartz-Gesetze abgelehnt. Aber uns fällt die Bundespolitik mindestens in zweifacher Weise auf die Füße. Die Steuergesetzgebung entzieht uns die Mittel, die wir dringend brauchen, um unsere öffentlichen Aufgaben wahrnehmen zu können. Und gleichzeitig werden mit der Sozial- und Arbeitsmarktgesetzgebung Fakten geschaffen, die uns belasten. Wenn die Menschen kein Dach mehr über dem Kopf haben, gehen sie verständlicherweise nicht zum Bundeskanzler, sondern stehen bei uns vor der Tür. Wenn die Sozialhilfeberechtigten ihre Gesundheitskosten nicht aufbringen können, gehen sie zu den städtischen Sozialämtern.

Das ist normal ...
... aber gleichzeitig auch reichlich absurd: Die Bundesregierung verschärft die Armut im Land, und wir müssen Lösungen finden, obwohl wir dafür - dank der Bundespolitik - immer weniger Mittel haben. Deshalb sage ich auch in meiner Funktion so deutlich wie es nur geht, dass ich diese Politik der Umverteilung von Unten nach Oben prinzipiell falsch finde. Dennoch nutzen wir die Handlungsmöglichkeiten, die es trotz schlechter Rahmenbedingungen in Berlin noch gibt. Wenn Kürzungen vorzunehmen sind, dann so sozial gestaffelt, dass die Schwächsten verschont bleiben. Diejenigen, die am meisten der öffentlichen Hilfe bedürfen, müssen sich darauf verlassen können. Dafür steht die PDS im Berliner Senat.

Der Anteil des Landeshaushalts, der nicht durch frühere Verpflichtungen oder neue Gesetze gebunden ist, dürfte minimal sein. Insofern werden Sie bei allem guten Willen doch zwangsläufig zur Managerin eines Kurses, den auch Sie ablehnen.
Der variabel einsetzbare Teil des Haushalts meiner Senatsverwaltung ist in der Tat sehr klein. Auch deshalb kann man sich in diesem Job kaum Meriten verdienen. Trotzdem versuche ich, aus den begrenzten Mitteln das Beste zu machen. Wir haben die Regelsätze für die Sozialhilfeberechtigten erhöht und viele von ihnen wieder ins Erwerbsleben integriert. Seitdem ich im Amt bin, gibt es Wohnungen für Flüchtlinge, gibt es keine Chip-Karten oder Sachgutscheine mehr, sondern Bargeld. Das sind zumindest kleine Highlights.

Die aber kaum gesehen werden. Vielmehr erscheint Ihre Partei jetzt als Teil der Großen Koalition des Sozialabbaus.
Das mag so erscheinen. In den ersten zwei Jahren haben wir wohl auch versäumt, den Wert unserer Regierungsbeteiligung hinreichend deutlich zu machen. Die finanzielle Lage der Stadt ist miserabel, aber ohne uns wären die sozialen Konsequenzen viel gravierender. Es ist allgemein akzeptiert, dass man der nachfolgenden Generation keinen Schuldenberg hinterlassen darf, doch genauso schlimm ist es, ihr eine Fülle an dramatischen sozialen Problemen zu hinterlassen. Wenn es gelingt, hier ein Stück weit gegenzusteuern und - auch aus dem Amt heraus - Widerstand gegen weitere Einbrüche zu leisten, dann muss man diesen Job machen, auch wenn der nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig ist.

Wäre es nicht im Interesse größerer Glaubwürdigkeit sinnvoll, stärker auf symbolische Aktionen zurück zu greifen oder sie zu unterstützen? Warum beispielsweise beteiligen sich die drei PDS-Senatoren nicht an dem von FU-Professor Peter Grottian organisierten Bettelmarsch durch Berliner Villenviertel? Seinen Aufruf, schwarz zu fahren, wenn Sozialtickets gestrichen werden, darf man doch sympathisch finden.
Glaubwürdige Politik lässt sich nicht durch Symbolpolitik ersetzen. Das kritisiere ich auch an unserem Koalitionspartner. Die Position der SPD, verbilligte Monatstickets für Sozialhilfeempfänger abzuschaffen, war genau das falsche Symbol. Und statt Einsparungen haben wir Mehrkosten. Natürlich gibt es auch Symbole, die wichtig sind. Für mich etwa ist es selbstverständlich, am zweiten Januarsonntag zu den Gräbern von Luxemburg und Liebknecht zu gehen. Aber ich gehöre nicht zu denen, die sieben Tage in der Woche die Internationale singen. Und ich werde zunehmend wegen meiner Kompetenz akzeptiert, nicht wegen einer geballten Faust.

Aber bei Grottians Protestaktionen könnten Sie doch mitsingen.
Schwarzfahren als Protestform finde ich falsch, dennoch unterstütze ich das Anliegen der Protestierenden, und ich finde es richtig, dass Unzufriedenheit und Protest auf der Straße zum Ausdruck kommen. Ich betrachte solche Aktionen durchaus als Unterstützung für mein Bemühen um mehr soziale Politik. Aber das muss ja nicht für meine Koalitionskollegen gelten.

Haben Sie eine Philosophie für Ihre Sozialpolitik, mit der sie auch offensiv gegenüber Ihren Senatskollegen auftreten?
Ja, wir müssen in unserem Land über den Charakter von zukunftsfähiger Sozialpolitik diskutieren. Mildtätigkeit ist nicht mein Ansatz. Mir geht es um etwas völlig anderes. Es ist unerträglich, dass diese Gesellschaft sich erlaubt, einem Teil der Bevölkerung keinerlei Perspektive zu bieten. Eine Metropole wie Berlin, die interkulturell, aufgeschlossen, weltoffen sein will, kann es doch nicht zulassen, so viele Menschen ohne jede Entwicklungsmöglichkeit zu lassen. Leider gibt es dafür wenig Verständnis und zu selten Diskussionsbereitschaft. Manchmal habe ich schon das Gefühl, aus verlorenem Posten zu sein, auch wenn gesagt wird: "Ach, unsere Senatorin mit dem sozialen Gewissen und dem großen Herzen."

Was passiert in solchen Situationen? Wenn Sie solche Sätze hören, müssen Sie doch an die Decke gehen.
Natürlich gibt es Konflikte im Senat, besonders bei jeder Haushaltsentscheidung. Und in den vergangenen zwei Jahren waren wir permanent mit dem Landeshaushalt beschäftigt. Über 900 Millionen Euro für Sozialhilfe im Jahr erwecken Begehrlichkeiten bei meinen Kollegen. Leider haben wir die unangenehmen Stammtischdebatten, die es in der Öffentlichkeit immer wieder gibt, manchmal auch im Senat.

Lassen wir die Berliner Misere mal beiseite. Gibt es nichts Positives, woran die Stadt für Ihre künftige Entwicklung anknüpfen könnte?
Tourismus, Medien, Wissenschaft - das sind Stärken, die auszubauen wären. Aus meiner Sicht hat auch der Gesundheitsbereich in Berlin ein beträchtliches Entwicklungspotenzial, besonders dort, wo sich Wissenschaft, Gesundheit und wirtschaftliche Interessen bündeln, wie etwa in Berlin-Buch. Gleichzeitig leidet auch der Gesundheitsbereich unter festgefahrenen Strukturen und Fehlern der Vergangenheit. So wurden von unserem Vorgängersenat zehn mehrheitlich verschuldete Kliniken in das landeseigene Unternehmen Vivantes zusammengepackt und mit einem Schuldenberg von 140 Millionen Euro und ohne Eigenkapital in die Unabhängigkeit entlassen. Der Ratschlag "Verkauft doch eure nicht betriebsnotwendigen Grundstücke, dann bekommt ihr euer Eigenkapital" wurde ihnen noch mit auf den Weg gegeben - und das in einer Situation, in der man in Berlin wegen der Marktlage kaum noch Grundstücke verkaufen konnte. Hirnverbrannter geht es eigentlich nicht. Ich muss nun mit dem Finanzsenator darum streiten, dass wir unser Landesunternehmen auf eine solide Basis stellen und die Privatisierungsforderungen von Schwarz bis Grün abwehren. Eine Botschaft können wir uns sicher nicht leisten: Ein Land, das sich gezwungen sieht, eine Bankgesellschaft mit Milliarden Euro abzusichern, verweigert sich möglicherweise seinem eigenen Gesundheitsunternehmen, das zum großen Teil die medizinische Versorgung Berlins sichert.

Kein Wunder, dass sich Mitglieder und Wähler bei solchen Entscheidungen von der PDS abwenden.
Besonders bei unserer Klientel im Westen, haben wir unendlich viele Probleme durch diese Regierungsbeteiligung. Das liegt an Informationsdefiziten, aber auch daran, dass es unterschiedliche Konzeptionen politischen Handelns gibt. Bei manchen haben wir aber auch an Akzeptanz gewonnen durch einen anderen Politikstil. So entscheide ich beispielsweise fast alles nach Beratung mit den Betroffenen. Betroffene zu Beteiligten zu machen - diese Maxime versuche ich mit Leben zu erfüllen. Das wird durchaus zur Kenntnis genommen, auch von Verhandlungspartnern wie etwa den Berliner Krankenhauschefs, die gerade uns von der PDS sehr reserviert gegenüber standen.

Als Sie vor genau zwei Jahren antraten, war Ihnen da schon klar, wie prekär die Lage der schwer angeschlagenen Stadt ist? Anders gefragt: Waren Sie überrascht von der Dimension der sozialen Konflikte und damit auch vom Arbeitspensum, das Sie zu leisten haben?
Ich habe hier im Büro noch nicht übernachtet und bis jetzt immer den Weg nach Hause geschafft. Das ist auch bitter nötig, um sich zu Hause über das politische Alltagsgeschäft auszutauschen und auch mal auszuheulen. Ich hatte vorher noch nie eine solche Verwaltung geleitet, aber mir war schon klar, dass es schwierig werden würde. Selbstverständlich war mir die dramatische Finanzlage der Stadt nicht bis ins Detail bekannt. Insofern war das schon ein Sprung ins kalte Wasser, mit allen Facetten, die so etwas hat. Aber ich schaffe es, jeden Tag von Neuem.

Das Gespräch führten
Lutz Herden und Hans Thie

Heidi Knake-Werner

Die promovierte Sozialwissenschaftlerin begann ihr politisches Engagement Anfang der siebziger Jahre in der SPD und war unter anderem Stadträtin in Oldenburg. 1981 wechselte sie zur DKP, die sie 1989 wegen mangelnder Reformbereitschaft der Partei wieder verließ, um sich ein Jahr später der PDS anzuschließen. Für die Sozialisten zog sie 1994 erstmals in den Bundestag ein. In der Legislaturperiode 1998-2002 war sie stellvertretende Vorsitzende der PDS-Fraktion und seit Oktober 2000 deren parlamentarische Geschäftsführerin. In das Amt der Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin wurde sie am 17. Januar 2002 gewählt.



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