Mit dem Markt gegen die Klimakatastrophe?

Dokument der Woche Eine Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen ist auf verschiedenen Wegen möglich. Doch nur einer führt weg vom fossilen Energieregime

Wie die Emission von Treibhausgasen eingedämmt wird, ist eine Frage politischer Entscheidungen. Im Kyoto-Abkommen hat man sich vor allem auf das Anreizsystem des Marktes festgelegt - ein falscher Weg, wie Elmar Altvater und Achim Brunnengräber im neuen Attac-Buch Ablasshandel gegen Klimawandel? meinen, dessen Vorwort der Freitag vorab veröffentlicht.

Der Klimawandel bedroht uns alle, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Wir müssen sehr schnell, schneller als es in den Klimavereinbarungen heute angestrebt wird, eine Reduktion der Emission von Treibhausgasen erreichen - und dies in einem Ausmaß, das nach allen Verbrauchsprognosen der fossilen Energien fast ausgeschlossen scheint. Notwendig wären 50 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2050, wenn die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre unter der kritischen Grenze von 550 ppm (parts per million, Teile von einer Million) gehalten werden soll. Doch wie könnte dies erreicht werden?

Es gibt nur vier Wege: Auf dem ersten wird eine Erhöhung der Energieeffizienz angestrebt, um pro Einheit Sozialprodukt weniger fossile Energie zu konsumieren. In der Energie- und Klimapolitik gilt dieser Weg als eine Art "Königsweg", da auf ihm am wenigsten Widerstand zu erwarten ist. Denn von einer Effizienzsteigerung beim Energieeinsatz können, so scheint es, alle nur gewinnen. Der zweite Weg führt in den globalen Süden. Dort finden sich erstens Senken, die CO2 binden könnten, zum Beispiel aufgeforstete Wälder. Doch wird in ganz andere Projekte investiert, weil zweitens Klimaschutz dort preiswerter zu haben sei. So minimierten in Asien oder Südamerika anstatt in Europa durchgeführte Projekte die globalen CO2-Vermeidungskosten. Dies käme letztlich dem Klimaschutz zu Gute, weil mit dem gleichen Aufwand mehr CO2-Reduktionen zu haben seien. Das meinen die Befürworter. Auf dem dritten Weg wird das emittierte CO2 bei der Verbrennung abgeschieden, eingefangen und in Kavernen der Erdkruste gespeichert (Carbon Capturing and Storage, CCS). Nur der vierte Weg führt fort vom fossilen Energieregime in die Welt der erneuerbaren Energieträger und zu Strukturen, die den Energieverbrauch nachhaltig senken. Die noch vorhandenen fossilen Reserven bleiben in der Erde.

Welcher Weg beschritten wird, ist eine Frage politischer Entscheidungen. Diese können auf Anreizsysteme, auf Gebote und Verbote aber auch auf Aufklärung und politische Bildung abzielen. Im Kyoto-Abkommen hat man sich vor allem auf das Anreizsystem des Marktes festgelegt.

Der Markt Dein Freund und Helfer? Es ist paradox, dass internationale Klimapolitik seit etwa einem Jahrzehnt den Eintrag von Kohlendioxid und anderer Treibhausgase in die Atmosphäre vor allem mit Instrumenten des Marktes begrenzen will. Denn ein Markt für CO2 existiert gar nicht. CO2 hat keinen Gebrauchswert, mit dem Bedürfnisse befriedigt werden könnten, im Gegenteil, es ist schädlich; der Stoff lässt sich also nicht in eine Handelsware verwandeln. CO2 hat auch keinen Wert, der als Marktpreis ausgedrückt werden könnte. Im Gegenteil, es handelt sich um einen Unwert, den man möglichst scnell loswerden möchte - wenn es denn so einfach wäre. Also bietet es sich eigentlich an, die CO2-Emissionen ordnungsrechtlich, mit gesetzlichen Geboten und Verboten, mit Grenzwerten und technischen Auflagen zu unterbinden, nicht aber Marktmechanismen eines zunächst gar nicht existenten Marktes zu bemühen.

Doch sehen die marktmäßigen Instrumente des Klimaschutzes sehr elegant aus. Sie passen in das Weltbild einer globalen liberalen Ordnung, in der Markt vor Planung, Wirtschaft vor Politik und privater Sektor vor öffentlichen Gütern und Staat rangieren. Dessen Charme sind auch viele Umweltbewegte, Globalisierungskritiker, Vertreter von grünen und linken Parteien und die Mehrzahl der Umweltökonomen verfallen. Sie lassen sich von der versprochenen List einer Idee faszinieren: Preissignale und Gewinnanreize sollen so gesetzt werden, dass die Verfolgung individueller Interessen zu einem für alle, ja für die Gesamtheit der sechs Milliarden Erdenbürger optimalen Ergebnis führt, nämlich zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um den Prozentsatz, der klimapolitisch notwendig ist - ohne Gebote und Verbote, staatliche Bürokratie, in aller Marktfreiheit.

Der Markt als Freund des Klimas - das passt ins Weltbild der liberalen Ordnung

Da aber ein Markt für Verschmutzungsrechte nicht existiert, muss dieser geschaffen werden. Es muss etwas zur Handelsware gemacht werden, das eigentlich nicht handelbar ist. In der neoliberalen Vorstellung ist dies ein politischer Kunstgriff, der jedoch den Dingen ihre eigentliche Natur gibt, nämlich Handelsobjekt von Privaten zu sein. Das "Machen" eines Marktes durch "Kontextsteuerung" ist freilich voraussetzungsvoll. Zwar wird die Atmosphäre, in der die Treibhausgase ja abgeladen werden, nicht privatisiert, und CO2 wird kein privater Vermögenswert. Wohl aber werden Rechte zur Verschmutzung der Atmosphäre politisch durch den Staat konstruiert ("allowances"). Diese werden dann an CO2-Emittenten gemäß einem nationalen Allokationsplan vergeben - fast kostenlos wie bislang in der EU oder gegen einen durch Versteigerung ermittelten Preis. So soll es möglicherweise ab 2012 auch in der EU geschehen, sofern nicht Lobby-Interessen dies verhindern. Also wird auch die Knappheit des Wirtschaftsgutes Verschmutzungsrecht künstlich, das heißt politisch festgelegt, durch Obergrenzen der Emissionen ("cap") nämlich. Der "grüne Klimakapitalismus" ist also nur deshalb so charmant, weil er durch und durch politisiert ist.

Die CO2-Verursacher verfügen nun über ein individuelles ökonomisches Recht auf Verschmutzung der Atmosphäre. Sie erhalten eine politisch zertifizierte Ware, die sie handeln können, wie Speckseiten, Ölfässer, Weihnachtsschmuck oder Aktien und Optionsscheine. Diese Art und Weise der Problemlösung ist tief in das kapitalistische Gesellschaftssystem und die Vorstellung der Naturbeherrschung eingelassen. Doch funktionieren Zertifikatemärkte nicht wie Wochenmärkte, auf denen man nicht nur einkauft, sondern auch gern ein Schwätzchen hält. Sie haben globale Reichweite, sie sind vermachtet, sie unterliegen der harten Standortkonkurrenz und werden in die Machenschaften auf Finanzmärkten und in deren Krisentendenzen hineingezogen. Die Preisbewegungen auf einem Kunstmarkt wie dem für Emissionszertifikate sind erratisch und extrem volatil. Der Wert von Zertifikaten auf dem Markt hat nichts mit Kosten von Arbeit und Kapital zu tun und da es keine zuzuordnenden Kosten gibt, erfolgt die Preisbildung auf dem Zertifikatemarkt außerhalb von Raum und Zeit. Auf einem geschichtslosen Markt schwanken die Preise der Zertifikate wie Schilfrohr im Winde. Daher überrascht die hohe Volatilität nicht.

Bei den marktbasierten Lösungsansätzen steht die neoliberale Property-Rights-Schule Pate, die über die Ausweitung von privaten Verfügungsrechten neue Märkte zu konstituieren trachtet, nicht zuletzt um den öffentlichen Sektor zurückzudrängen. Die Natur - hier die Atmosphäre - wird als Aufnahmemedium für Abfallstoffe und Emissionen begriffen. Als solches ist sie in der fossilen Ökonomie physikalisch notwendig. Also können durch politischen Akt handelbare Verschmutzungsrechte geschaffen und an eine Gruppe von Akteuren kostenlos oder gegen Entgelt zugeteilt werden. Sie haben nun das in handelbaren Zertifikaten verbriefte "Recht" auf eine bestimmte Menge an Emissionen. Hierbei kann es große Unterschiede in der Gestaltung wie der Funktions- und Wirkungsweise geben.

Der Kunstgriff des Emissionshandels ist zwar faszinierend. Doch die Gewissheit, die notwendige Reduktion der Emission von Treibhausgasen mit marktbasierten Instrumenten erreichen zu können, ist Zweifeln gewichen. Denn die empirischen Erfahrungen mit dem Emissionshandel (vor allem mit dem europäischen Cap-and-Trade-System) sind enttäuschend. Die marktbasierten Instrumente sollten (auf dem ersten der oben bezeichneten vier Wege) über eine Effizienzsteigerung beim Energieeinsatz die Emissionen senken und auf dem zweiten Weg - mit Hilfe von Clean Development Mechanism (CDM) und Joint Implementation (siehe Kasten) - dafür sorgen, dass Klimaschutz erstens billiger wird und zweitens die Kohlenstoffsenken genutzt werden, durch die CO2 der Atmosphäre entzogen werden könnte. Die bisherigen CDM-Projekte leisten dies völlig unzureichend.

Wenn dem Marktmechanismus nicht vertraut werden kann, sind Umweltsteuern sowie ordnungsrechtliche Regelungen ein probates Mittel. Darüber hinaus muss - auf dem vierten Wege - ein sozial-ökologischer Umbau in Richtung einer solaren Gesellschaft, die sich weniger marktbasierter Instrumente bedient, als dass sie erneuerbare Energieträger nutzt, zum wichtigsten umweltpolitischen Ziel werden.

Es ist die Botschaft dieses Readers, dass alle vier Wege gangbar sind. Zielführend, nämlich weg vom fossilen Energiesystem zu kommen und Klimaschutz Wirklichkeit werden zu lassen, ist vor allem der vierte Weg.

Elmar Altvater und Achim Brunnengräber (Hrsg.): Ablasshandel gegen Klimawandel? Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik und ihre Alternativen; Reader des Wissenschaftlichen Beirats von Attac, VSA Hamburg 2008, 192 Seiten, 14,80 Euro.

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