Morde im Zwischenreich

SERBISCHE AGONIEN Das Land zerfällt, Milosevic bleibt, die Opposition hat keine Chance

Friedensbemühungen sind immer hektisch, Kriege und gewaltsame Konflikte werden dagegen in aller Ruhe vorbereitet: Es genügt, nichts zu tun und drängende Probleme sich selbst zu überlassen. Das - fast - tatenlose Zusteuern auf die nächste Katastrophe lässt sich zur Zeit in der Bundesrepublik Jugoslawien beobachten. Die angeblich so "rätselhafte Mordserie", der als letzter der Provinzpräsident der Vojvodina zum Opfer gefallen ist, hat die neue Lage nicht herbeigeführt; sie ist selbst kaum mehr als ihr Ausdruck. Natürlich ist Bosko Perosevic´ nicht von der Opposition umgebracht worden, schon gar nicht von "Otpor", dieser verzweifelten Studentenbewegung, die jetzt im Fadenkreuz von Polizei und Gesetzgebung steht. Sein Mörder war vielmehr ein 50-jähriger Mann aus seinem Heimatort, wo Perosevic´ vor zehn Jahren Bürgermeister war, und er ließ sich gleich am Tatort fassen.

In einem Staat, wo alle Entscheidungen hinter verschlossenen Türen fallen, herrscht an Motiven für Politikermorde nie Mangel. Wut ist nach zehn Jahren Elend auch genug vorhanden, es fehlt im Normalfall nur noch der Revolver, den der Mörder von Perosevic´ offenbar aufgetrieben hatte. Die früheren Morde dieses Jahres, am Chef der Fluglinie und am Verteidigungsminister, wurden dagegen von Profikillern verübt. Deren Branche floriert in Belgrad schon lange. Sämtliche Bandenhäuptlinge, die während des kroatischen und bosnischen Krieges ihr Geschäft unter der nationalen Flagge betrieben, sind seit 1992 internen Fehden erlegen; der letzte war im Januar der berühmte Arkan.

Töten hatte ein Jahrzehnt lang höchste Konjunktur. Nun findet das Morden im Zwischenreich von Kriminalität und Politik statt. Vielleicht hat der im Februar erschossene Verteidigungsminister einen krummen Waffendeal eingefädelt oder gerade verhindern wollen, vielleicht ist er auch als Vorsitzender des Automobilclubs den dort tätigen Geldwäschern in die Quere gekommen. Der Flugdirektor schließlich, den es im April traf, saß auf einer der größten Devisenquellen des Landes, und es gehört wenig Phantasie dazu, die Position für gefährlich zu halten. Dass die Toten "Vertraute von Milosevic" gewesen seien und nun ein geheimnisvoller Unbekannter umginge und einen nach dem anderen erledigte, ist die Illustriertenversion.

Die Reaktion des Regimes ist ebenso phänomenal wie die Morde selber. Die Arbeit der Ermittler stößt an jeder Ecke auf irgendein Tabu; jeder mittlere Schwarzhändler leistet schließlich "im nationalen Auftrag wichtige Arbeit" und kennt die nötigen Politiker. Die Sanktionen haben einen geschäftlich-politisch-kriminellen Komplex entstehen lassen. Wo es eine einzige Quelle für ausländisches Öl gibt, genügt eine einzige Bande, die hinter der Grenze die Tankwagen aufhält, "Steuern" eintreibt oder gleich den Vertrieb zu den Tankstellen übernimmt. Und wo ein einziger etwas zu sagen hat, genügt es, diesen einzigen zu schmieren.

Ein Kriminalkommissar, der da hineinstoßen wollte, wäre verrückt. Die Sanktionen wirken exakt so wie die Prohibition in den Vereinigten Staaten der Zwischenkriegszeit, und Belgrad wird folgerichtig zum modernen Chicago - nur ohne Demokratie, was alles noch schlimmer macht. So wird die wachsende Kriminalität auch nicht dem Elend und der Verzweiflung zugeschrieben, denn diese kommen in der Propaganda gar nicht vor. Es bleibt als bequemer Täter die Opposition, die eigentlich nichts tut, nicht einmal das, was sie sollte: nämlich das Elend und die Wut kanalisieren. Eben weil sie das nicht schafft, kann sie gefahrlos zum Opfer von Repression werden. "Studio B" wird geschlossen und Plakatkleber von "Otpor" werden verhaftet, nicht weil sie eine Gefahr wären, sondern weil sie eben da sind und sich anbieten. Die Repression ist keine "Strategie", Milosevic bereitet nichts vor. Getan wird immer nur das, was unter den Bedingungen zu tun gerade noch übrig bleibt.

Die Lage der serbischen Opposition ist verzweifelt, das aber nicht etwa, weil das Regime noch Zustimmung genießen würde, sondern weil schon fast alle die Lage für ausweglos halten. Zwei Jugendgenerationen haben sich in Demonstrationen, zuletzt in den "täglichen Massenprotesten" des Herbstes verbraucht. Im Winter wurde dem Volke vorgegaukelt, die serbische Opposition habe Einfluss auf die EU und die USA, und sie könne in "Verhandlungen" erreichen, dass die Sanktionen abgeschafft würden - eine grandiose Idee von trickreichen EU-Diplomaten, die in einer Blamage endete und die serbische Opposition noch zusätzlich schwächte. Die Parteiführer sind ratlos. Das ständige Schwanken zwischen Aktivismus und Arrangement, das den politischen Weg von Vuk Draskovic´ seit jeher auszeichnet, hat inzwischen auch seine Konkurrenten ergriffen. Man kann es ihnen nicht einmal vorwerfen. Zoran Djindjic´ hat lange darauf gesetzt, das Regime in demokratischen Wahlen auszuhebeln. Aber je näher das Ziel des Wahlsiegs rückt, desto geringer wird die Chance, dass solche Wahlen überhaupt stattfinden.

Jetzt, da die wichtigsten Medien verboten sind, politische Aktivisten zu Verhören auf die Polizei geladen werden, ist eine ansatzweise faire Wahl schon nicht mehr möglich. So wird aus dem friedlichen und legalen Weg ein bloßer Umweg in die Katastrophe. Andere Formen des Regierungswechsels sind weitgehend ausgeschlossen: Die Polizei ist trainiert und ausgerüstet, öffentliche Massenproteste im Zaum zu halten, ja, ganz zu verhindern. Das Militär ist nach häufigen Säuberungen neutralisiert. Generalstreiks lassen sich in einem Land, wo die Belegschaften einer ohnehin enorm geschrumpften Industrie schichtweise in Kurzarbeit null gehen, nicht mehr organisieren; das Land befindet sich de facto seit bald zehn Jahren in einer Art Generalstreik wider Willen.

Und für die diplomatischen Kunststücke, wie man einen aggressiven Delinquenten mit Angeboten, Drohungen und Versprechungen aus seinem Bunker holt, gibt es längst keinen Spielraum mehr. Seit Slobodan Milosevic in Den Haag unter Anklage steht, gibt es für ihn auf der Welt nur einen einzigen sicheren Ort, und der ist an der Spitze seines Staates. Normalerweise wäre das wenigstens die Aufforderung an seine Umgebung, mit der Auslieferung des Potentaten die eigene Haut zu retten. Da Den Haag aber dessen Umgebung gleich mit angeklagt hat und alle, deren Namen nicht veröffentlicht wurden, sich auf der "geheimen Liste" wähnen, entfällt auch dieser Ausweg. Nichts kann man tun. Alles wird eintreten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden