Was passiert mit Pop, wenn man das Schreiben und Sprechen darüber vergisst und verlernt? Dass der Musikjournalismus schon seit Jahren dahinsiecht, wenn nicht längst am Defibrillator hängt, klingt so innovativ wie die News, dass Kohlekraftwerke eventuell doch nicht zeitgemäß sind. Ein wenig überraschte dennoch die Nachricht, dass nun auch noch das letzte Zentralorgan Pitchfork dichtgemacht wird.
Die amerikanische Webseite wurde 1996 unter dem Namen Turntable gegründet, galt als Wegbereiter von vielen heute berühmten Acts, aber am Ende auch als zu mächtig, weil kaum noch Konkurrenz vorhanden war. Hinzu kam 2015 die Übernahme durch den Verlagsgiganten Condé Nast. Das passte irgendwie nicht, fanden viele, und sie sollten recht behalten: Im
sollten recht behalten: Im Januar gab die frühere Vogue-Chefin Anna Wintour, heute Global Chief Content Officer von Condé Nast, der Redaktion bekannt, dass die Seite aufgrund mangelnder Performance eingestellt wird und Teile der Redaktion in das Männermagazin GQ eingegliedert werden. Hier von einem Abstellgleis zu sprechen, wäre euphemistisch.Dabei war Pop mal so etwas wie die integrale Plattform dafür, die Welt und ihre Systeme zu analysieren, zu verstehen und zu kritisieren. Die Popkritik brachte im Laufe der Jahrzehnte eigene Idole hervor, die über ihre Disziplin hinaus relevant wurden. Hierzulande fallen darunter Namen wie Diedrich Diederichsen, Mercedes Bunz, Dietmar Dath, Wolfgang Tillmans und viele mehr. Unabhängiger Musikjournalismus war gewissermaßen schon immer ein Kampf um Leben oder Tod. Zum einen finanziell, zum anderen aber auch ideologisch. Nicht selten nahm man sich zu wichtig.Dennoch entstanden diskursive Entwürfe, die Frankfurter Schule, Poststrukturalismus, Postkolonialismus und Gesellschaftskritik zusammenbrachten und sich am Sound der Subkulturen und ihren sozialen wie ökonomischen Strukturen abarbeiteten. Das war wichtig und nachhaltig erhellend. Man könnte sogar sagen, dass ohne die Pop-Diskurse, die im späten 20. Jahrhundert in Magazinen wie Spex oder später De:Bug entstanden, die interdisziplinären Betrachtungen von Kultur und Kunst im Feuilleton, wie sie heute existieren, nicht möglich geworden wären.Die digitale Omnipräsenz von Musik ist zur komfortablen Selbstverständlichkeit geworden. Fans scheint es immer weniger zu interessieren, über Musik zu diskutieren und zu streiten. Bevor man in die Konfrontation geht, lassen sich Abermillionen Abzweigungen nehmen, die vor der Nase liegen. Allerdings ist es so diffus wie nie geworden, diese Abzweigungen zu finden, weil ebenjene Räume, in denen sonst über Musik gesprochen wurde, ziemlich dunkel geworden sind. Heute ist die Major-Musikindustrie so profitabel und mächtig wie nie zuvor. Es stört sie nicht, dass Popmusik im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr zur Funktionsware degradiert wurde. Populäre Streaming-Playlists bieten Soundtracks zum Kaffeekochen, Waldbaden oder für den Work-out mit Heavy Metal. Einordnungen und Kontexte existieren kaum noch – Hauptsache, es läuft auf Tiktok viral.Als Spotify Ende vergangenen Jahres 1.500 Stellen strich, waren darunter vor allem die jener Redakteur:innen, die bis dahin händisch Playlists bestückten. Sie entschieden zuletzt über Karrieren junger, unbekannter Talente. Diese Aufgabe soll nun durch Algorithmen erledigt werden. Das kann funktionieren. Aber jemandem mit Emphase und Leidenschaft erklären, weshalb dieses neue Album nicht nur gut, sondern auch wichtig ist, das werden sie auch in absehbarer Zeit nicht können. So wird nur das verschärft, was sich über Jahre abgezeichnet hat. Die meisten hören ob des undurchschaubaren Überangebots Oldies von The Beatles bis Nirvana oder beißen sich an hyperpopulären Fixsternen wie Taylor Swift oder Drake fest.Auch das kann Pop sein, inspirierend ist es nicht.