Walter Benjamin, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm, ist im Berliner Stadtteil Charlottenburg aufgewachsen. Ihm zu Ehren wurde im Jahr 2000 ein neu gestalteter Platz in der Nähe des Kurfürstendamms benannt. Längs der Anlage erheben sich die Leibniz-Kolonnaden und eine mit Sandstein verkleidete Lochfassade, die um die Jahrtausendwende nach Entwürfen des Architekten Hans Kollhoff gebaut wurden. Die Gestaltung ist aktuell Gegenstand eines medialen Skandals, den der Architekturtheoretiker Stephan Trüby gemeinsam mit Redakteuren der „Zeitschrift für Architektur und Urbanismus“ ARCH+ angestoßen hat.
Antisemitischer Code
Kollhoffs Bebauung sei „eine Architektur, die nicht nur stilistisch, sondern auch programmatisch eine Verneigung vor dem italienischen Faschismus darstellte“, schreibt Verena Hartbaum dort. Der Vorwurf ist nicht neu. Aufgrund ähnlicher Kritik hatte sich bereits der Baubeginn um fast ein Jahrzehnt verzögert. Und er hat durchaus seine Berechtigung: Die Kolonnaden zitieren die Via Roma in Turin, die Mussolinis Chefarchitekt Marcello Piacentini 1936 errichten ließ. Der neue Skandal liegt aber tiefer, eingeritzt in die Granitplatten des Platzes. Dort hat Kollhoff ein namenloses, unscheinbares Zitat eingefügt: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“
Das Zitat stammt aus dem Cantos, dem Hauptwerk des US-amerikanischen Dichters Ezra Pound, der 1924 nach Italien ging und zu einem begeisterten Anhänger Mussolinis wurde. Heute dient der Faschist als Namenspatron der rechten Hausbesetzerszene des Casa Pound in Rom, das rechtsextremen Bewegungen in ganz Europa als Vorbild für erfolgreiche Stadtteilarbeit gilt. „Usura“ – der italienische Begriff für Wucher – ist ein kaum codierter Antisemitismus, zu dessen emsigen Lautsprechern Pound gehörte. Ist Kollhoff deshalb ein Antisemit? Diese Frage wird seit Erscheinen des Heftes aufgeregt diskutiert und mitunter schroff zurückgewiesen. Sie verfehlt allerdings die komplexe Kritik, die die Autoren unter dem Titel „rechte Räume“ entfalten. Das Problem mit Kollhoff und anderen konservativen Architekten ist, dass ihr Verständnis von guter Architektur allein ästhetische Kriterien gelten lässt und dabei vermeintlich unpolitisch bleibt, als ob die Auffassung von Schönheit keinen gesellschaftlichen Prägungen unterliege.
Im Sinne dieser „unpolitischen“ Ästhetik, die nur die Erscheinungsformen angreift, kritisiert Kollhoff die „Dekadenz“ der westlichen Gesellschaft. So will er das Pound-Zitat verstanden wissen, als Verweis „auf die im Konsumkapitalismus prekäre Situation des Architekten und die vage Möglichkeit, Architektur überhaupt noch schaffen zu können“. Jedoch unterscheiden sich seine Leibniz-Kolonnaden von der zeitgenössischen Investorenarchitektur nur durch höherwertigere Baumaterialien und eine elitäre Anliegerstruktur. In den ansässigen Gourmetrestaurants und Kanzleien wird Rendite durch distinktiven Konsum generiert, dafür müssen die Fassaden stimmen.
In jedem Gesellschaftssystem ist Architektur ein Machtfaktor, der die Nutzung des öffentlichen Raumes vorgibt. Städtebauliche Auseinandersetzungen sind deshalb auch ein Seismograf von gesellschaftlichen Strukturveränderungen und sozialen Kräfteverhältnissen. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang am Wechselspiel von geschichtspolitischen Interessen und der privatwirtschaftlichen Aneignung des öffentlichen Raumes, das sich in Dresden, Potsdam und Frankfurt am Main beobachten lässt. Trüby hält die populären „Altstadtrekonstruktionen“ in diesen Städten für ein „Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten“. Tatsächlich sind diese maßgeblich durch bürgerliche Eliten vorangetriebenen Projekte auch ein Einfallstor für rechtspopulistische Metapolitiker, wie der Junge-Freiheit-Autor Claus Wolfschlag unumwunden ausspricht: „Wer von Volk oder Heimat reden will, kann von der Architektur (in und mit welcher das Volk ja schließlich lebt) wohl nicht schweigen.“ Wolfschlag formulierte als Fraktionsmitarbeiter der Freien Wähler BFF (Bürgerbündnis für Frankfurt) im September 2005 einen Antrag, der zum Bau der Neuen Frankfurter Altstadt führte. Hinter seiner Forderung nach einer „Heilung der Wunden“ des Zweiten Weltkrieges steht ein geschichtspolitisches Programm. In der österreichischen Zeitschrift Neue Ordnung spekuliert er wenig später über ein Ende des „Schuldkultes“ und die „Wiedergewinnung architektonischer Identität“.
Das sind keine neuen Ideen. Bereits vor 25 Jahren problematisierte ARCH+ im Themenheft Von Berlin nach Neuteutonia die revisionistischen Architekturdebatten, die im Zuge der Verlegung der bundesdeutschen Hauptstadt ausgetragen wurden. Damals erfolgte in den Planungsentwürfen für ein neues Zentrum und den Potsdamer Platz eine Rehabilitierung von schwerer, tektonischer und verdichteter Architektur, die sich an Leitbildern der „kritischen Rekonstruktion“ und historisierenden Gestaltungselementen wie Fluchtlinien, Traufkanten und der Parzelle als grundlegendem Strukturelement orientierte. Die neue Formensprache mit einer Referenz an den preußischen Stil war ein klarer Bruch mit der modernen Architektursemantik der alten Bundesrepublik, die durch den Rückgriff auf Glas und Beton sowohl ihre Westbindung als auch die Transparenz und Offenheit ihrer öffentlichen Gebäude und Institutionen unterstreichen wollte. Kollhoff, der in seinen damaligen Vorlesungen an der ETH Zürich den Baustoff Glas als „klapprig“ bezeichnete und – wie Pound – Bauten aus „solidem“ Stein forderte, begeisterte sich stattdessen für die Monumentalität der stalinistischen Architektur, wie sie die Berliner Karl-Marx Allee dominiert. Sie sei „Ausdruck eines kollektiven Interesses, das uns heute doch so offensichtlich abgeht“.
Ein ganz ähnlicher Machtanspruch wurde zur gleichen Zeit von revisionistischen Historikern wie Rainer Zitelmann und Karlheinz Weißmann im Sammelband Die selbstbewusste Nation erhoben. Geschichte sollte als Baukasten dienen, aus dem man sich zur nationalen Selbstvergewisserung selektiv bedient. Im beginnenden Umbau Berlins der 1990er Jahre ging es darum, die Macht der neuen Sieger der Geschichte über Grundeigentum und Gesellschaftsentwürfe sichtbar zu machen. „Offen gelassen wird da nichts. Da wird entschieden. Da wird erfüllt“, kritisierten Nikolaus Kuhnert und Angelika Schnell in ARCH+ damals den Gestus der neuen Berliner Architektur.
„Geschichte ist mir scheißegal“
Nicht immer braucht es aber ein offen nationalistisches Programm. Auch sich betont bürgerlich gebende Initiativen, die die Rekonstruktionsprojekte vielerorts begleiten, agieren strukturell populistisch. Unter dem Deckmantel des Bürgerengagements hat etwa die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V. (GHND) als Lobbyverband mit besten Beziehungen zur privaten Bauwirtschaft großen Einfluss auf die Entscheidungen der Stadtbaupolitik und die Architekturkritik in den lokalen Medien erlangt. Auf dem Höhepunkt eines Symposiums trat der rechtskonservative Architekt Léon Krier ans Mikrofon und äußerte schließlich einen Satz, der das Anliegen der Stadtrekonstruktion zur Kenntlichkeit entstellte: „Geschichte ist mir scheißegal. Hauptsache es ist schön.“ Kriers Ausgangspunkt ist ein angeborenes ästhetisches Gefühl, das vorgesellschaftlich gedacht wird. So, als gäbe es über alle Zeiträume der Menschheitsgeschichte hinweg die gleichen objektiven Kriterien für Schönheit, wie er in der Zeitschrift CATO, die dem Umfeld der Jungen Freiheit entstammt, immer wieder betont: „Die Konjunktur des Modernismus ist eine Konjunktur der Lüge und der Heuchelei, die aber vor der ästhetischen Urteilskraft des Individuums haltmacht ... In den wunderbaren Rekonstruktionen von Frankfurt, Dresden, Berlin und Potsdam manifestiert sich endlich wieder das spontane und von keiner Heuchelei verstellte ästhetische Urteil.“
Heute betreiben rechte Akteure unter dem Deckmantel unpolitischer Architektur eine entschlossene Metapolitik des Raumes. Gegen solche Vorstöße schrieb Walter Benjamin 1935 seinen Aufsatz über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, dessen Schlusssatz man Kollhoff ins Stammbuch schreiben könnte: „So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.“
Kommentare 15
die kalte pracht dieses "platzes"( eher ein durchgang von einem
nirgendwo zu einem anderen) läßt sich auch nicht möblieren.
Beliebiges (tourismus-bären u.a.) ist schon fehlgeschlagen.
ob eine benjamin-skulptur, auf seinem koffer sitzend,
aushelfen könnte?
Der Schritt von konservativ zu rechts-konservativ oder noch weiter wird von solcher Kritik doch etwas arg schnell genommen. Die neoklassizistischen Architekturen folgen ja sämlich älteren Idealvorstellungen, nämlich klassizistischen. Wären dann nicht sämtliche älteren Machtarchitekturen (und ihre Ästhetiken) diskreditiert? Müssten dann deren Ästhetiken zu meiden sein, indes doch wohl Form 'an und für sich' keine Schuld tragen kann? Und hat sich in Arch+ jemals jemand über den Antiklassizisten Koohaas erregt, der beispielsweise in China das gleichfalls monuentale Hauptquartier des Staatssenders CCTV entworfen hat?
Als Flaneur a.D. muss ich hier mal wiedersprechen. Ich finde die Kolonaden großartig. Eher als Mussolini fällt mir da De Chirico ein. Sie sind ein surrealistisches Element mitten im alten WestBerlin, für den, der sie nicht kennt, erscheinen sie völlig unerwartet. Großartig die möglicherweise gar nicht intendierte Leere des Platzes, aber sie ist nun einmal da. Das ist wahrer Urbanismus, den der bedeutet immer auch: Unbehaust sein, sich verlieren (siehe Walter Benjamin), wer die Alternative dazu will, kann sie so langsam überall in Berlin haben: Eine grässliche Mischung aus Globalisierung und Kiez. "Profite" werden freilich auch dort gemacht. Nein, das wahre Verbrechen an dieser Stadt geschieht wahrlich nicht an diesem Platz.
I agree with Michael Angele. The author of the article seems to overlook that ideologies have solid roots in their time. The aesthetics of Fascism is therefore not simply a product of Fascist ideology, but also the reverse: Fascism (like Stalin did in the Berlin Stalinallee) hijacked a style and the ideas behind it to make it its own and use it as its flagship aesthetics, but those ideas were there already. I have lived in Turin and walked through Via Roma's colonnade many times, and in other Italian cities where the same style has survived the war and the time, and it's important to notice how these buildings and urban arrangements provide now some of the most interesting tours.
Da haben Sie einen provozierenden Artikel geschrieben, Herr Schilk. Aber vielleicht sind Sie auch ein wenig über das Ziel hinausgeschossen.
Einiges spricht dafür, dass in unseren höchst modernen Zeiten sich Bürger, Bürgermeister, (Bau-)Stadträte, Bürgervereine, das Gewerbe und manche Architekten, sich auch wieder an traditionelle Architekturen der Macht erinnern und dazu zwangsläufig die Rückkehr zu vermeintlich "ewig" haltbaren Materialien, sowie zu schweren, endlosen Reihungen von klassischen Fassadenelementen gehört, die entsprechende Assoziationen nahelegen.
Kollhoffs Bau muss sich diese Kritik schon gefallen lassen, wie übrigens auch die Ergänzungs-Fassade des neuen Humboldt- Forums und die Gestaltung der dortigen Innenhöfe, von Franco Stella. Der bewusst gewählte steinerne, "ewige" Zitatspruch belegt, was Kollhoff durch den Kopf ging. Da gibt es kein Vertun.
Das gilt selbst dann, wenn eine solche Architektur in einem Viertel "auftaucht", die sie surreal wirken lässt, wie jene Formelemente in Bildern de Chiricos (Angele).
Klar ist auch, dass diesen Ewigkeitsanspruch Staatsbauten und Infrastrukturen des Faschismus und des Nationalsozialismus zeigen sollten. Die Italiener näher am Modernismo und Neorealismus, den sie nicht als "entartet" stempelten, die Deutschen eher orientiert an einer Wunschantike schierer Größe und simpler Einfalt, die diese aufblähte und dehnte, obwohl das gar nicht in ihr lag.
Korrespondierend dazu, gab es auch am Bau ein seltsames Deutschtum fürs Land, in gar nicht originalen Regional- und Landhausstilen, oft mit erfundenem Fachwerk, sowie rustikabewehrte Tore und Ordensburgen, mit "Rittersälen" in denen bildlich gesprochen, ständig Fakeln brennen mussten, damit es hell blieb.
Nun, nach allem Vorgeplänkel, ich schreibe eben so, komme ich zu einer mir wichtigen Frage. Wie konnte Léon Krier unter den Verdacht geraten, weil er sich, unter anderem, auch für Rekonstruktionen und Schönheit in der Architektur aussprach?
Liest man in seinem Referenzwerk, "The architecture of community" (2009), findet man ziemlich am Anfang eine klare Botschaft für Architektur und Planung in der Demokratie:
>>Freedom of choice, freedom of expression and respect for the law are the precondition of a political democracy. Plurality of lifestyles, of beliefs, and therefore of styles of architecture and cities are its natural expression. There cannot be a “single democratic style,” any more than there can be a “single democratic party.”<<
In diesem ganzen Buch geht das so weiter, bezüglich des Nebeneinanders in der Architektur, bezüglich der Einbindung der Bürger, bezüglich der Differenz, statt der Gleichförmigkeit.
Krier ist häufig provokant. Aber er wehrt sich gegen die Konsumarchitektur und gegen die Machtarchitektur. Er schreibt dagegen an, eine Stadt idealtypisch nur in einem Stil sehen zu wollen, ohne Geschichte und ohne Bezüge des Neuen auf das Alte. Ganz wesentlich aber, schreibt er über Maß, Menschenmaß, Fußläufigkeit, für erkennbare Ein- und Ausgänge, Wege, gegen uniforme Fassadenabwicklungen, für öffentliche Plätze und eine feine Strukutrierung der Stadtviertel, mit Aufhebung der mittlerweile ebenfalls schon historischen Funktionstrennung in der Stadt. Er will keine Stadt aus lauter Suburbanität und Urban sprawl.
Und so fährt er dann fort:
>> It is an error to make democratic pluralism responsible for the chaotic appear-ance of our cities and countryside. In no way does it express the peaceful, or-ganized, conventional functioning of civil society, and neither does it facilitate its harmonious development.
Differences of opinion can be sorted out in violent confrontation or resolved in civilized debate. Instead of leading to a generalized disorder, a plurality of urban and architectural visions can be channeled to produce a plurality of towns and villages with very different structure, architecture and density, each with its own unity, harmony and specifi city.
The melting pot is not the only form of pluralism. We would not expect Picasso to paint like Balthus, nor Maillol to produce a Zadkine. Pluralism does not necessarily mean a confusion of styles, but rather a respect for differences. The exacerbation of disagreements, on the one hand, and the leveling out of differences, on the other, are avoidable extremes of democratic practice.<<
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ich bin froh, dass es solche offenen Räume in Berlin gibt, und auch, dass sie die Stadt ihrerseits nicht beherrschen. Historische Aufklärung ist aber richtig.
Kitsch, Schmalz, Pathos sind die Zutaten der Träume von schöner Architektur sowohl von Hitler, als auch Mussolini und Stalin. Der Rationalismus/Funktionalismus z.B. der Italiener und des deutschen Bauhauses sowie der sowjetischen Architekten war vorher schon stilbildend und modern bis futuristisch, später nannte man es International Style. Leider gibts zur Zeit einen schicken bis schicklichen Revanchismus am Bauhaus, der exemplarisch die Moderne der damaligen Zeit postmodern verwursten möchte und dem ganzen Laden erst eine Nähe, dann eine Affirmation zum Faschismus unterjubelt und am Ende, meine Einschätzung, dann wohl den Antisemitismus auspackt. Motto: KZs waren hochfunktional angelegt. Das Bauhaus als Brutstätte deutscher Vernichtungskunst. Was das ganze soll ist mir eh schleierhaft. Und dass in Berlin in neuerer Zeit bei Grossprojekten architektonisch fast nur Scheisse hingestellt wurde ist auch jedem klar, der noch ein wenig ästhetisches Verständnis mitbringt.
btw
An Kollhoff war und ist gar nichts international oder style. Wer Kollhoff architektonisch ernst nimmt, der findet auch Speer gut. Das angebrachte Zitat spricht eh Bände. Stella ist auch mittelmässiger Mainstream.
Ich empfehle jedem sich mal mit der modernen Architekturgeschichte und deren Formensprache auseinanderzusetzen. Und dazu Adornos Vortrag zum "Jargon der Eigentlichen" kann auch nich schaden^^.
Übrigens halte ich die Casa del Fascio (später del Popolo) in Como (Giuseppe Terragni) für einen der besten modernen Bauwerke überhaupt. Bin ich deswegen Faschist?
Sechs Millionen Euro für die Garnisonkirche!
Ezra Pound = Faschist, Usura = kaum codierter Antisemismus. Statt halbwegs kenntnisreich zu reflektieren, wird in dieser "Debatte" mit Holzhammer-Gleichungen denunziatorisch eine klebrige "Kontaktschuld"-Sauce ausgegossen.
Dem Faschisten das Wort geredet und sich eines antisemitischen Codes aus DEN cantos bedient hätte sich dann zum Beispiel Allen Ginsberg (Schreibheft 27). Und auch das folgende Gedicht, geschrieben 1968, fällt nach dieser einfältigen Weltsicht stante pede unter Faschismusverdacht. (Verfasser wird auf Nachfrage gerne genannt, auf jeden Fall kein "Faschist"):
monolog drei
was noch zu sagen wär über dies land und uns –
wiederholungen seit jahrhunderten monotone wiederholungen
aber die letzte frage ist noch nicht gestellt die letzte
antwort noch nicht gegeben manchmal erscheint es mir
als hätte sich nichts geändert nach all den zeiten
vielleicht auch gelingt es uns das aussterben der saurier
zu verhindern
es ist schwer überprüfbar inwieweit dieser landstrich
einem ort ähnelt aus einem canto von ezra pound
(usura is a murrain) wo denn
liegt dieser ort – hier nicht –
wer weist das nach
es gelingt nicht dem labyrinthischen gang der gedanken
bis zuend zu folgen – sesam öffne dich –
was hier fehlt auch das kann möglicherweise
ein ding der unmöglichkeit sein alle möglichkeiten
sind nicht überdenkbar – vielleicht
ist dies die letztmögliche antwort –
usura ist die räude –
wo aber liegt dieser ort
das ist nicht die letzte frage die
der letzten antwort harrt aber
vielleicht ist sie die letztmögliche
öffne dich – im norden grönlands
ist ein menschenleben undenkbar unter
normalen bedingungen welche bedingungen sind normal –
hier ist es zu kalt für die liebe – öffne dich –
die letzte antwort ist noch nicht gegeben – das ist
ein ding der unmöglichkeit.
Vielleicht, literaturliebende(r) Mynona, haben Sie die Kritik Wolfgang Hilbigs an Pounds klarem Zuschreibungsversuch im "Canto XLV " in seinem Prosagedicht "monolog drei" noch gar nicht entdeckt? - Ist doch Hilbig, oder?
Dieses Gedicht lässt sich schon deshalb nicht zur Akzeptanz oder Relativierung von Kollhoffs Zitat anführen.
Pound ist ästhetisch verführerisch, weil er alte und neue Sprachen, sogar mit unterschiedlichen Zeithorizonten, beherrscht und daraus eine hochartifizielle Lyrik produziert.
Aber es gilt für ihn, dass er spätestens seit 1941 kaum eine öffentliche Gelegenheit ausließ, gegen die "Wuchernationen", nach ihm jüdisch unterwandert und beeinflusst, und die Juden selbst zu hetzen. Er war aggressiver Antisemit und überzeugter Faschist.
Wir wissen das ja auch von einigen wenigen anderen Intellektuellen und Künstlern, die uns trotzdem ästhetisch oder mit ihrer Philosophie erreichen. Heidegger lebte mit seinem persönlichen und aktiven Bekenntnis zum Nationalsozialismus sogar gegen sein Hauptwerk "Sein und Zeit" und selbst gegen seine philosophischen Vorstellungen nach der "Kehre".
Statt Öffnung (Hilbig!), in und auf der Lichtung stehend, auf den sich beständig verändernden und erweiterten Horizont blickend, gab es zweimal eine persönliche und da ganz bewusste Abwendung, hin zur Herrschaft, zur Macht und zur eindeutigen und aggressiven Entschiedenheit, die nicht ohne Exklusion anderer ausgehen konnte. In dieser Spaltung, sind sich Pound und Heidegger sehr ähnlich.
Und da schreibt man dann, als Architekt antik und robust anmutender Kolonnaden und arg simpler, wiederholter Wandabwicklungen, nicht einfach ein solches Zitat auf den Walter- Benjamin- Platz. Da zitiert man nicht aus einem Canto, der ausschließlich christliche und katholische Kunst, Heilige und Kirchenväter verherrlicht und alles andere zur "(Tier-) Seuche" (murrain) erklärt.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Werter @Columbus, bravo, es ist Hilbig. Und - "die letzte Antwort ist noch nicht gegeben" - seine Kritik hab' ich wohl gelesen. Nur ist's eben ein kritisch-reflektierender Umgang, keine fraglose und pauschale "Einordnung" von "Usura" als antisemitischer und daher tabuisierter Formel. Und Kollhoff? Nun ja, er hat zunächst einmal nicht "einfach ein solches Zitat auf den Walter-Benjamin-Platz geschrieben". So hieß der Platz damals noch gar nicht. Sondern - was Kollhoff als "Marketing" kritisierte, Leibniz-Kolonnaden. Das hätte zur Chronistenpflicht der Architekturhistoriker und -kritiker gehört. Und die dürften auch genauer & näher hinschauen auf Kollhoffs "arg simple, wiederholte Wandabwicklung", denn dabei wird einem halbwegs geschulten Auge (ohne ideologische Scheuklappen) der Unterschied zu "usura", etwa den billigen International Style-Kopien und Klonen, nicht entgehen. Aber, wie wußte doch der politisch reflektierte Filmästhet: mal vu, mal dit. Beziehungsweise: Vorher schon "gewusst", was "man" zu sehen hat.
Beste Grüße
mynona
allein schon die -->kolonnaden(wikip.):
die historische schwere der arkaden überwindend,
aber historisch-abgetan: abweisend genug.
imposanz statuierend statt bürger-nahen zu-gang.
von einer von bejamin gepriesenen passage mit gläsernem dach
so weit entfernt wie von einem publikum-stimulierenden
-->platz(wikip.)
die "offenheit" von stadt-räumen hat ihre bestimmten widmungen:
als stell-, park-, verkehrs-, markt-, fest-platz.
hier, an diesem "platz"
mit natur-zitaten in blumen-kübeln
ist öde, langweile, ab-hängen von fuß-lahmen touristen,
allgemeines des-interesse dominierend.
nur zu sommers-zeiten tummeln sich kinder an den wasser-spielen.
zu addieren: ein platz zur ewigen ruhe: der fried-hof.
Um seinen Begriff von "usura" übers Schlagwortniveau hinaus zu weiten und dem Ansatz von Kollhoff halbwegs gerecht zu werden hätte der werte @Felix Schilk einfach mal ins Freitag-Archiv schauen sollen, Ausgabe vom 7.10.2005:
"Zwei weitere Begriffe, oder besser: Werte sind für den neuen Traditionalismus zentral. Der eine, "Einfachheit", ist keineswegs so eindeutig, wie es scheint. Als Illustration kann man die Haustür eines alten Bauernhauses bemühen, die der neue, solvente Besitzer sorgfältig und teuer restauriert in den ursprünglichen Zustand der Einfachheit. Sollte uns hier der alte Mies van der Rohe grüßen: "Lasst uns einfach bauen, koste es, was es wolle"? So bleibt die Frage, ob nun Bild oder Substanz gemeint sei, ob also die Häuser "einfach" sein müssten, damit sie Bescheidenheit signalisieren oder damit sie - weil kostengünstiger - möglichst vielen zugute kommen. Geht es um die Ästhetik des Einfachen oder um BILLIGE PRODUKTIONSMETHODEN? Der andere Begriff heißt "Konvention". ... Wo Konventionen erodieren, müsse Architektur [so Kollhoff] die "Rest-Konstanten gesellschaftlichen Zusammenlebens" bewahren helfen. Damit sind vor allem die gesellschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Werte gemeint, die dem hektischen Großreinemachen der zwanziger Jahre zum Opfer fielen. "