Nachhilfe für Videoten

DURCHDACHTES SAMMELSURIUM Im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) gibt es jetzt ein "Museum für Neue Kunst"

No No No", sagt das wütende Männchen, das der amerikanische Künstler Bruce Naumann in seiner Video-Installation herumspringen läßt; und "Nein", sagte zunächst auch die baden-württembergische Landesregierung, als die Idee eines Sammlermuseums aufs Tapet kam. Kein Geld da. Sammler aber wollen umworben und geehrt sein, am liebsten wollen sie, dass der Staat ihrer wichtigen Kollektion einen Palast baut, sonst sind sie böse und gehen fremd.

Andererseits sind betuchte Leute oft auch schnell pleite. Der Musical-König Rolf Deyhle zum Beispiel wünschte sich für seine mäßige Jahrhundertwende-Sammlung ein eigenes Haus, von einem "schwäbischen Louvre" in Stuttgart war die Rede, heute ist ein Großteil der Sammlung versteigert. Übrig blieben jene Sammler, die sich auf Gegenwartskunst spezialisiert haben: Fröhlich, Weishaupt, Grässlin. Und der Tübinger Kunsthallen-Profi Götz Adriani kam auf den schönen Gedanken, diese Sammlungen an das Karlsruher ZKM anzudocken, die letzten zwei Lichthöfe des riesigen Baus standen ja leer. Sie wurden für schmale 24 Millionen Mark renoviert (ein Museums-Neubau hätte zwischen 150 und 180 Millionen gekostet), und nun gibt es da zwei weite, kathedralenhohe Höfe dieser ehemaligen Munitionsfabrik, wo man ständig wie in einem alten Hallenbad über drei Stockwerke hinweg schauen kann und wo Adriani mit sicherer Hand die Kunst der Gegenwart arrangiert hat.

Nichts ist es also mit musealer Kontemplation und Alleinsein mit einer Werkgruppe. Dafür wird die Spannweite zweier Künstlergenerationen deutlich: im Parterre hängen die gespachtelten Farb-Orgien des Gerhard Richter, ein Stock höher sieht man die bunten Jesusse von Andy Warhols Abendmahls-Persiflage, noch eins höher blickt man auf Asta Grötings skulpturale Verdauungswege und Gotthard Graubners Riesenkissen neben Martin Kippenbergers wilden Bildverweigerungen.

Böse Zungen behaupten, das Ganze sei ein Sammelsurium; andererseits muss man wohl akzeptieren, dass Adriani den Besucher eben nicht didaktisch an der Hand nimmt, sondern einfach herausragende Werke der Gegenwart nebeneinander stellt. Er zeigt, was wichtig ist und Einfluss hat; das beginnt mit den frühen Skizzen und Gouachen des Joseph Beuys, die so schöne Titel haben wie "Das große Zahnbluten", und endet überraschenderweise eben bei den versprengten Menschenteilchen und Leerräumen des Jean-Michel Basquiat und Kippenbergers "I hate you"-Flüchen - zwei Künstler, die in Karlsruhe eine absolute Aufwertung erfahren.

Zentral sind die Video-Installationen des Bruce Nauman, Diagnosen des entfremdeten Menschen, der verzweifelt mit dem Mund schlabbert oder genormte Sätze ausstößt; auch sein riesiger, stählerner Musical-Chair ist zu sehen. Dann die wütend ins Material gekratzten Botschaften des Cy Twombley, ein Seestück von Gerhard Richter, Warhols doppelter Goethe und seine geklonte Marylin Monroe; die wiederum steht neben Giovanni Anselmos "Torsione", einer Skulptur aus Stein und Leder. Was das alles miteinander zu tun hat? Das muss man schon selber herausfinden.

Andererseits werden durchaus Verklammerungen sichtbar: Rosemarie Trockel zeigt uns ihre schwarzen Endlosstrümpfe und verfremdeten Herdplatten, daneben stehen Imi Knoebels kubische Schrankpakete. Salopp gesagt: Frauen, wehrt euch, macht Kunst. Eins weiter Farbfelder von Morris Louis, der einen "Italian Spring" in bracchiales Grün taucht. Frank Stellas bunte Geometrie-Eistüten stehen neben dem strengen Joseph Albers, Roy Lichtensteins vibrierende optische Halluzinationen - er nennt das "Perfect Painting" - neben Sigmar Polkes frühen gepunkteten Tapeten.

Der oberste Stock ist vor allem der Skulptur gewidmet, Don Flavins Leuchtröhren, die Schildkröte von Mario Merz, Jannis Kounellis "Letto con fuoco" - ein Bettgestell neben einem wärmenden Bunsenbrenner. Museumsleiter Adriani will die Dauerausstellung immer wieder aus den Beständen der Sammler verändern und der ZKM-Experimentierwerkstatt für neue Medien somit eine kunstgeschichtliche Basis geben. Die Video-Künstler aus dem ZKM, so sagt er, die können ja rüberkommen und sich anregen lassen.

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