Heutzutage denken ja viele, wir Russen hätten einst frei innerhalb des sozialistischen Lagers herumreisen und zum Beispiel jederzeit, sobald wir Lust dazu verspürten, einen Abstecher in die DDR machen können! Das ist ein großer Irrtum: Im Lager herrschten Lagergesetze, und Bewegungsfreiheit war allenfalls für die eigene "Zone" vorgesehen. Als ich 1975 als junge Germanistik-Studentin auf eine Einladung von Freunden hin nach Ostberlin fuhr, begleitete mich die Hälfte meines Instituts zum Zug (und holte mich auch wieder ab): Es war eine Sensation! Im Anschluss hatte ich für Monate genug Erzählstoff zum Thema: "wie die dort leben".
Einer der vielen Eindrücke war zum Beispiel: Ein schön gedeckter Tisch, versammelt sind die Freunde der Freunde, di
reunde, die Verwandten der Verwandten, die Nachbarn der Nachbarn - so gastfreundlich empfangen also die Deutschen die Reisende aus dem fernen Moskau. Sie heben die Gläser und prosten mir freudig zu: "Nasdarowje!" - "Was für wunderbare Menschen", dachte ich, "sie haben extra für mich sogar ein paar Worte russisch gelernt, nicht ganz richtig zwar, aber nett!"Dann komme ich nach Leipzig, auch dort ist der Tisch bereits gedeckt, der Wein eingeschenkt und was höre ich? "Nasdarowje!" In Dresden: "Nasdarowje!". In Rostock: "Nasdarowje!" Und langsam dämmert es mir, dass hier ein Irrtum vorliegt, der sich geheimnisvollerweise über das ganze Territorium bis hin nach Wernigerode verbreitet hat. Besonders seltsam schien mir das angesichts der Tatsache, dass doch in den Schulen der DDR alle Russisch lernten!Wie groß aber war erst mein Erstaunen, als sich nach der Perestrojka die Grenzen öffneten und ich den gleichen "Trinkspruch" auch in ganz Westdeutschland hörte! Es handelte sich also um kein lokales, sondern um ein gesamtdeutsches Phänomen. Weshalb man sich unter russischen Germanistik-Profis mittlerweile auch gerne folgendermaßen zuprostet: "Wie die Deutschen zu sagen pflegen - Nasdarowje!"Die Sache ist nämlich die, dass es diesen Trinkspruch unter Russen gar nicht gibt. Der Ausdruck "Na sdarowje!" ist bei uns in erster Linie die Erwiderung auf ein "Danke" und bedeutet so etwas wie "Gern geschehen" und wird außerdem noch verwendet, um jemandem guten Appetit zu wünschen in der Art von "Lass es dir schmecken".Geläufige Trinksprüche sind bei uns zum Beispiel "Auf unsere Begegnung!" oder "Auf uns". Oder auch, unter Freunden, "Los geht´s!". Mit diesen Worten ist übrigens Gagarin in den Kosmos aufgebrochen. Man sagt auch: "Sa wasche sdarowje!", was übersetzt bedeutet: "Auf Ihre Gesundheit!" Ansonsten ist es bei uns gar nicht so wichtig, was gesagt wird, wichtig ist das Anstoßen und die Hauptsache ist das Trinken.Woher also dieser Irrtum, der sich nicht nur im mündlichen Deutsch, sondern auch in so manchem Sprachführer niedergeschlagen hat? Die Deutschen sind von der Überzeugung, dass "doch jedes Kind weiß, dass das so heißt" nicht mehr abzubringen. Und die Russen lächeln in der Regel ihren deutschen Bekannten freundlich zu und denken gar nicht daran, sie zu verbessern. Manche glauben, der Fehler stamme ursprünglich aus einem Russischlehrbuch der Vorkriegszeit und gehe auf eine inkorrekte, zu wörtliche Übersetzung des "Auf Ihre Gesundheit" zurück. (Denn "sdarowje" ist die Gesundheit und "na" eine Präposition, die manchmal mit "auf" zu übersetzen ist.) Aber nach erfolgter Recherche muss ich bekennen, dass die wahre Herkunft dieses Fehlers immer noch ein Geheimnis bleibt.Aber ist nicht die ganze Welt voll von Geheimnissen? Zum Beispiel jene durchsichtigen Behältnisse mit einer rätselhaften Speise in Gelee und der Bezeichnung "Russische Eier", die ich in deutschen Supermärkten sah. Ganz ehrlich, nirgendwo im gesamten Russland - Sibirien und die Tschuchotka eingeschlossen - hat jemals jemand Eier so zubereitet. Oder auch der "Kaffee russische Art": Welcher Russe würde seinen Wodka in den Kaffee schütten? Wodka trinkt man bei uns zu Salzgurken und Brot und Kaffee kocht man "auf orientalische Art", das heißt mit Zucker und Satz. Oder auch der "Russische Salat" aus klein geschnittenen Kartoffeln, Rindfleisch, grünen Erbsen: Bei uns denkt man, das sei französisch und nennt ihn "Olivier". Und Borschtsch ist übrigens das ukrainische, nicht das russische Nationalgericht.Andererseits heißt bei uns seit ewigen Zeiten ein mit Glasur überzogenes Blätterteiggebäck "Berliner"; in Deutschland musste ich entdecken, dass es am ehesten den so genannten "Schweineohren" entspricht. Woher also "Berliner"? Ein weiteres Geheimnis.Aber es gibt Schlimmeres. Diese Missverständnisse werden das Verhältnis von Russen und Deutschen kaum nachhaltig beeinträchtigen. Ich habe beschlossen, mir von den "Russischen Eiern" nicht weiter die Laune verderben zu lassen und kann mir sogar vorstellen, eines Tages einen "Kaffee russische Art" zu probieren! Auch bin ich gern bereit, weiterhin mit deutschen Freunden, ob in Berlin oder Moskau, auf "Nasdarowje" anzustoßen - wenn es ihnen so gefällt. Schließlich meinen sie es ja nur gut.Aus dem Russischen übersetzt von Barbara Schweizerhof"Sport" sollte im Freitag nicht fehlen, doch immer auf dieselbe Stelle eingezwängt, bleibt er ein wenig unbeweglich. In loser Folge wird sich daher an dieser Stelle künftig der Sportplatz mit alltäglichen "Plätzen" anderer Art abwechseln.