Militäroperationen folgen einer eigenen Logik. Es kann schnell ein Punkt erreicht sein, an dem die politischen und militärischen Umstände die Dynamik antreiben und die ursprüngliche Intention der Kombattanten überlagern. Als sich zuletzt nach tagelangen Luftangriffen auf den Gazastreifen nahe der Grenze israelische Panzer und Bodentruppen für eine Invasion sammelten, war klar: Entweder die Hoffnung schwindet, dass sich ein ausufernder Krieg vermeiden lässt. Oder: Weil gerade das so ist, gibt es Chancen für einen baldigen Waffenstillstand.
Es ist verführerisch, die jüngste Militäroperation der Israelis mit jener zu vergleichen, die vor vier Jahren gegen den Gazastreifen gestartet wurde und über die ich aus Israel und später aus Gaza berichtet habe. Bemerkenswert waren seinerzeit die Einmütigkeit in einer mobilisierten israelischen Gesellschaft und die vermeintliche Klarheit der Ziele – die letztlich nicht erreicht wurden.
Vieles hat sich seither verändert. Die wieder aufgerüstete Hamas hat die Lektionen aus dem vorangegangenen Konflikt gelernt. Sie war sich dessen bewusst, dass sie in einem Bodenkrieg nur auf wenig Pardon rechnen durfte. Umso mehr verspürte sie wenig Anreiz, sofort nachzugeben. Sie war sich auch durchaus des Schreckens und des Schadens bewusst, die sie mit ihren auf Israels Städte gerichteten Raketen verbreiten konnte. Zwei Monate vor den israelischen Wahlen konnte deren Einschläge nichts anderes sein als ein Politikum.
Israel einst wohl gesonnene Staaten – darunter die Türkei und Ägypten – sind enger an die Hamas gerückt. Und der konnte schwerlich entgehen, welche Gelegenheit ihr der israelische Angriff bot, die arabische Solidarität zu schüren.
Damit hat sich auf israelischer Seite der Handlungsspielraum rapide vermindert. Premier Benjamin Netanjahu musste schnell begreifen, selbst wenn er eine begrenzte Operation geplant hatte, begab er sich doch in die Gefangenschaft seiner eigenen Eskalationslogik. Mit anderen Worten, diese Kampagne der israelischen Streitkräfte umgab von Anfang an eine Aura der Inkohärenz. Netanjahus Führungszirkel verschickte dementsprechend konfus wirkende Botschaften. Gerade als Kabinettsmitglieder gelobten, die zweite Phase, also den Bodenkrieg, voranzutreiben, berichtete die Jerusalem Post von einem Telefonanruf des Premiers bei Präsident Barack Obama, bei dem beide der Zeitung zufolge über „Deeskalation“ berieten.
Anruf bei Obama
Das Problem für den Analysten besteht darin, beurteilen zu können, was Netanjahu anstrebte. Wenn es nicht der Sturz von Hamas war, blieb nur die Möglichkeit, deren Waffen zu zerstören und deren Schlagkraft zu vermindern. Doch zeigten Israels Krieg gegen den Libanon 2006 wie der Einmarsch in den Gaza-Streifen Ge 2008/09, dass dies nur begrenzten Nutzen verspricht. Tatsächlich gingen Hamas wie Hisbollah daraus nach ihrer Wiederbewaffnung mit mächtigeren Arsenalen hervor.
Netanjahus bevorzugte Taktik während seiner langen Karriere bestand stets darin, die Dinge nicht geschehen zu lassen, sondern sie zu verhindern. Diesem Prinzip folgte er besonders beharrlich in seiner gereizten Beziehung zu Barack Obama, wodurch der Friedensprozess fast zum Stillstand kam. Dies hat nun wiederum zu der Beschuldigung geführt – vorgebracht zu Beginn der Gaza-Bombardements von Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde –, Israels wolle seine Bemühungen untergraben, in diesem Monat eine diplomatische Aufwertung bei der UNO zu erlangen. Konkret ging es um den so genannten Vatikan-Status als beobachtender Nicht-Mitgliedsstaat mit der Betonung auf Staat. Fraglich, ob Netanjahu das untergraben wollte oder stattdessen eher die Dynamik der israelischen Innenpolitik – das Land wählt im Januar eine neue Knesset – maßgebend war.
Ob Israels Regierungschef das nicht gründlich durchdacht hat oder ob sein Denken von einer anderen Agenda gefärbt ist, lässt sich im Moment schwer ergründen. Nur soviel steht außer Frage: Obwohl die Unterstützung für Israel in Washington und den EU-Hauptstädten stark bleibt, wächst in einem durch den Arabischen Frühling gewandelten Nahen Osten die Unterstützung für die Bevölkerung des Gazastreifens wie für Hamas. Das gilt für die Regierungen Tunesiens, Ägyptens und der Türkei – allesamt US-Verbündete. Auch Katar ist aufgebracht und verlangt, dass Israel „bestraft“ wird. Das Land ist ebenfalls ein Partner der USA und betätigt sich als wichtiger regionaler Akteur. Vergangenen Monat erst hatte der Emir von Katar bei einem Besuch in Gaza angeboten, dort heftig zu investieren. Der türkische Premier Tayyip Erdogan seinerseits stellte den israelischen Angriff als Vorwahl-Trick dar.
Obwohl die Konsequenzen kurzfristig nicht offensichtlich sein mögen, Netanjahus Eskalation hat die US-Nahostpolitik verkompliziert und Israel weiter isoliert. Im Weißen Haus seien bereits die Sorge und die Furcht laut geworden, schreibt die New York Times: Alles, was jetzt geschehen sei, treibe die Palästinenser enger zur Hamas und beschädige Israels Ruf in der Region weiter. Schließlich wurde auch Ägyptens Präsident Mohamed Mursi, der sich bislang populistischer Gesten enthalten hat, dazu getrieben, diese ausgerechnet gegenüber Israel zu machen. Das heißt, in einer Zeit wachsender regionaler Instabilität und fehlenden internationalen Engagements wurde etwas Gefährliches entfesselt Was da augenblicklich an Emotionen und Ressentiments freigesetzt wird, kann nicht so einfach wieder eingefangen werden.
Peter Beaumont ist Nahost-Kommentator des Guardian Übersetzung: Steffen Vogel
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