Stellen Sie sich einmal vor, Sie schenken einer Bank Ihr Geld, damit die Bank es Ihnen dann ausleiht und Sie dafür Zinsen bezahlen. Eine absurde Konstellation. Doch genauso funktioniert unser derzeitiges Geldsystem. Wir Bürgerinnen und Bürger haben den Banken, ohne es zu bemerken, die Herstellung von elektronischem Geld überlassen und zahlen ihnen Zinsen, damit das benötigte Geld über Kredite in Umlauf kommt. Anstatt selbst das notwendige Geld zu erzeugen und auszugeben, müssen sich unsere Staaten bei den Banken verschulden.
Der Ökonom Richard Werner, der an der Universität von Southampton Internationales Bankgeschäft lehrt, hat 2012 in Frankfurt eine Umfrage mit 1.000 Bürgern durchführen lassen. Es wurde die Frage gestellt: „Wer erzeugt und verteilt das Geld?” 84 Prozent der Befragten dachten, dass entweder die Zentralbank oder die Regierung das Geld in Umlauf bringe und darüber entscheide, wer es bekommt. Auf die Frage „Würden Sie einem System zustimmen, in dem die Mehrheit der Geldmenge durch meist private, auch profitorientierte Unternehmen produziert und verteilt wird und nicht durch staatliche Organe?“ antworteten 90 Prozent mit: „Nein, das wollen wir nicht.“ – Leider funktioniert unser heutiges Geldsystem aber genau so.
Die Zentralbanken erzeugen den geringsten Teil unseres Geldes, nämlich nur das Bargeld, also die Scheine und Münzen. Daneben gibt es den größeren Teil des elektronischen Geldes. Es liegt auf unseren Girokonten und wird auch Giralgeld oder Buchgeld genannt. Giro kommt aus dem Italienischen und bedeutet „Kreis“, „Drehung“ oder „Umlauf“. Dieses Giralgeld macht den allergrößten Teil des existierenden Geldes aus und wird von den Banken produziert. Im Euroraum waren von 2008 bis 2012 im Durchschnitt 4.676 Milliarden Euro im Umlauf, von den Statistikern auch „Geldmenge M1“ genannt. Diese bestand aus 864 Milliarden Bargeld der Europäischen Zentralbank (EZB) und 3.811 Milliarden Giralgeld der Banken. Die Banken stellten also 81 Prozent aller Euros her – und damit fast all unser Geld!
Die Banken sind aus einem einfachen Grund scharf auf die Geldherstellung: Sie ist eine stetig sprudelnde Einnahmequelle. In dem Umfang, wie sie selbst Geld erzeugen, können sie Kredite vergeben und dafür Zinsen kassieren, ohne dass ihnen Kosten entstehen. Oder sie kaufen Aktien, Wertpapiere oder Häuser und bezahlen das mit selbst erzeugtem Geld.
Wie Staaten verschwenden
Anstatt das Geld selbst herzustellen, erlauben unsere Staaten also den Banken, das Geld zu produzieren – um es sich von diesen Banken gegen teure Zinszahlungen wieder zu leihen. Man glaubt es kaum. Aber so ist es: Damit überhaupt genügend Geld in Umlauf kommt, müssen sich die Staaten dieses Geld von den Banken leihen und dafür Zinsen bezahlen. Das ist ein Hauptgrund dafür, warum die Staatsschulden so gigantisch hoch sind. Diese Zinsen könnten sich die Staaten sparen, wenn sie das Geld wieder selbst herstellen und verwenden würden.
Die Gegenwart sieht anders aus: Im Euroraum verschwenden die Staaten jährlich etwa 170 Milliarden für Zinszahlungen. Das entspricht der Wirtschaftskraft von ganz Portugal. In Deutschland sind es jährlich 42 Milliarden Euro. Auf 20 Milliarden Euro taxiert der Generaldirektor der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, Jacques Diouf, die jährlichen Kosten, um Hunger und Unterernährung auszurotten.
Doch statt den Welthunger zu beseitigen, werden heute Banken subventioniert. Kein anderer Wirtschaftszweig erhält eine derartig große staatliche Unterstützung. Dass Bergbauern, die die Landschaft pflegen, unterstützt werden, kann man nachvollziehen. Aber warum brauchen Banken dauerhafte Subventionen durch den Steuerzahler? Vielleicht weil so eine kleine Gruppe von Bankangestellten durch Bonizahlungen abwegig viel Geld verdienen kann? Es ist jedenfalls nicht erstaunlich, dass die Profiteure der Bankgewinne ihr Privileg der Geldherstellung eisern verteidigen und viel tun, um es aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten.
Doch diese Diskussion ist dringend nötig. Viele Probleme des bestehenden, sehr ungerechten Geldsystems könnte eine Vollgeldreform lösen. Der Name Vollgeld bringt zum Ausdruck, dass das elektronische Geld auf den Bankkonten vollwertiges, gesetzliches Zahlungsmittel ist und allein von der Zentralbank erzeugt wird – wie heute Münzen und Banknoten. Elektronisches Geld, das von einer Bank erzeugt wurde, kann sich in Luft auflösen, wenn die Bank bankrott geht. Vollgeld dagegen ist von der ganzen Volkswirtschaft gedeckt und stellt so das Geldsystem in den Dienst von Realwirtschaft und Gesellschaft.
Es wäre dies keine Revolution oder fundamentale Alternative zum bestehenden System, sondern ein naheliegender nächster Schritt. Mit den Geldmünzen haben wir bereits über Jahrtausende hinweg ein Vollgeldsystem. Erst in den letzten drei Jahrhunderten bildete sich das heute bestehende Bankengeldsystem heraus. Vor über hundert Jahren wurde den Banken verboten, Papiergeld selbst zu drucken. Seitdem dürfen nur noch Zentralbanken Geld drucken. Dasselbe streben wir nun mit dem elektronischen Geld an. Dann können Banken kein eigenes Geld mehr schaffen, sondern nur noch Geld verleihen, das sie zur Verfügung gestellt bekommen haben.
Damit endet die heutige unkontrollierte Geldschöpfung durch die Banken, was Finanzblasen sehr viel unwahrscheinlicher macht. Bürgerinnen und Bürger können ihr Geldsystem endlich wieder zu verstehen lernen und der Staat ist bei Bankenpleiten weniger erpressbar. Alle Gewinne aus der Geldschöpfung stehen ausschließlich der Allgemeinheit zur Verfügung; zwischen Banken und Unternehmen herrscht ebenso Wettbewerbsgleichheit wie zwischen Groß- und Kleinbanken.
Vollgeld: fünf Fragen, fünf Antworten
1: Was bedeutet Vollgeld?
Vollgeld ist das Geld, das die Zentralbank in Umlauf bringt. Das sind heute nur Münzen und Banknoten. Diese gesetzlichen Zahlungsmittel machen aber lediglich 19 Prozent der umlaufenden Geldmenge aus. 81 Prozent sind elektronisches Geld (Buchgeld), das die Banken per Knopfdruck selber schaffen, um damit ihre Geschäfte (unter anderen Kredite) zu finanzieren. Die meisten Leute glauben, Guthaben auf einem Girokonto seien echte Euros. Ein Trugschluss! Ein Konto ist bloß eine Forderung des Kunden, beziehungsweise ein Versprechen der Bank auf Geld, aber selbst kein gesetzliches Zahlungsmittel.
2: Was heißt Vollgeld-Reform?
Allein die Zentralbank soll elektronisches Geld auf Girokonten erzeugen können. Dann dürfen Banken kein eigenes Geld mehr kreieren, sondern nur noch Geld verleihen, das sie von Sparern, Investoren und der Zentralbank zur Verfügung gestellt bekommen.
3: Was sind die wesentlichen Vorteile des Vollgeldes?
Das Geld auf Zahlungskonten ist vollumfänglich sicher, da es Geld der Zentralbank ist. Bankenpleiten können ihm nichts anhaben. Finanzblasen werden verhindert, weil die Banken kein eigenes Geld mehr schaffen können. Der Staat wird aus der Geiselhaft befreit, weil er Banken nicht mehr mit Steuermilliarden retten muss (too big to fail), um den Zahlungsverkehr aufrechtzuerhalten. Die Finanzbranche steht wieder im Dienst von Realwirtschaft und Gesellschaft. Das Geldsystem ist kein Buch mit sieben Siegeln mehr, es wird wieder transparent und verständlich.
4: Was geschieht beim Vollgeld mit den Banken?
Die Banken bieten weiterhin alle Finanzdienstleistungen an (unter anderen Kreditvergabe, Zahlungsverkehr, Vermögensverwaltung). Nach der Vollgeld-Umstellung gibt es nur noch Zentralbank-Geld auf unseren Privatkonten. Das elektronische Geld ist damit genauso vollwertiges Geld wie heute Münzen und Banknoten. Die Banken können also nur noch mit Geld arbeiten, das ihnen von Sparern, Investoren und Zentralbank zufließt oder das sie selber besitzen. Banken haben keinen unfairen Vorteil mehr, da sie Geld nicht mehr selber aus dem Nichts erzeugen und verleihen können.
5: Welche Auswirkungen hat Vollgeld für Bankkunden?
Auf allen Konten, die dem Zahlungsverkehr dienen, befindet sich ab dem Zeitpunkt der Umstellung Vollgeld, also durch die Zentralbank geschütztes Geld. Die Bank muss diese Konten wie Wertpapier-Depots verwalten. Das Geld gehört den Kontobesitzern und geht nicht verloren, falls eine Bank pleitegeht, es wird aber nicht verzinst. Wer lieber Zins statt krisensicheres Geld möchte, kann der Bank aber nach wie vor sein Geld über ein Sparkonto oder andere Investitionen gegen Zins leihen.
Vom Vollgeld profitiert fast jede und jeder. Natürlich gibt es aber auch Verlierer: Die Investmentbanken müssten auf das einträgliche Geschäft der Börsenspekulation mit selbst erfundenem Geld verzichten, der Eigenhandel wird so stark eingeschränkt. Wenn in Folge der Vollgeldreform Staatsschulden getilgt werden, müssten die Banken auf das einträgliche Geschäft der Staatsfinanzierung mit selbst erfundenem Geld verzichten. Die bisherigen Inhaber von Staatspapieren müssten anderweitige Anlagemöglichkeiten suchen, womöglich riskantere. Da es weniger Auf und Ab an den Finanzmärkten gibt, haben Spekulanten weniger Chancen auf schelle Gewinne. Das Bankgeschäft wird insgesamt langweiliger und ist nichts mehr für Boni-Jäger.
Dadurch ist Schluss mit der Umverteilung von Arm zu Reich, wie sie die Inumlaufbringung von Geld durch verzinsliche Kredite heute nach sich zieht. Seit Jahrzehnten werden in den meisten Industrieländern die Reichen reicher, während die Einkommen der Armen stagnieren. Einkommen aus Kapitalanlagen nimmt zu, Einkommen aus Arbeit ab. Eine aufgehende Einkommensschere zerstört auf Dauer den sozialen Frieden. Das bestehende Bankengeldsystem ist dafür eine wichtige, aber meist übersehene Ursache. Heute kommt Geld nur in Umlauf, wenn der Staat Zinsen bezahlt, die vor allem den oberen Einkommensschichten zufließen, in Deutschland jährlich 42 Milliarden Euro.
Wie Bahn und Telefon
Wenn diese Zinszahlungen wegfallen, ergeben sich zwei Wirkungen. Erstens werden die Reichen um diese Summe nicht noch reicher. Zweitens kann der Staat die eingesparten Zinsen für Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen verwenden und so zur Schließung der Einkommenskluft beitragen. Bevor der Staat weitere Steuern einführt oder erhöht, um Geld von oben nach unten zu befördern, ist es viel sinnvoller, zunächst einmal damit aufzuhören, Steuergelder von unten nach oben zu transportieren.
Außerdem entlastet eine Vollgeldreform die Realwirtschaft von überzogenen Renditeerwartungen. Der Ökonom Niko Paech schreibt: „Um die ökologisch ruinöse Wachstumsorientierung europäischer Konsumdemokratien zu durchbrechen, ist ein anderes Geldsystem vonnöten. Dazu zählt auch, die willkürliche Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken zu unterbinden. Denn die unkontrollierbare Vergabe beliebig vieler und hoher Kredite zählt zu den Treibern jener Investitionsdynamik, die permanentes Wachstum auch dann erzeugt, wenn dieses nicht der Befriedigung zuvor artikulierter Bedürfnisse, sondern allein der Profitmaximierung dient. Das Recht auf Geldschöpfung darf nur bei der Zentralbank liegen.“ Vollgeld macht Schluss mit dem zerstörerischen Wachstumszwang.
Oft landen gute und richtige Ideen auf dem Wartebahnhof der Weltgeschichte. Es gibt gute Gründe, warum das mit dem Vollgeld nicht passieren wird.
So wird es ohne Vollgeld keine Staatsentschuldung geben: Die Schulden der Eurostaaten wachsen Jahr für Jahr. Alle Sparbemühungen helfen nichts. Denn die Staaten sitzen in der Schuldenfalle und können die Zinsen für alte Schulden nur durch neue Schulden bezahlen. Außerdem ist eine Tilgung im derzeitigen Geldsystem nicht möglich, da sonst das für die Wirtschaft notwendige Geld verschwinden würde. Die Situation ist wahrlich aussichtslos. Die einzige Rettung: Die Einführung von Vollgeld samt Tilgung von 60 Prozent der Euro-Staatsschulden.
Überhaupt sind die Vorteile einer Vollgeldreform so gewaltig, dass sie über kurz oder lang kein Politiker mehr wird ignorieren können. Berechnungen der Vollgeld-Initiative in der Schweiz zufolge bringt sie den dortigen Bürgerinnen und Bürgern 300 Milliarden Franken zusätzlich, im Euroraum sind es fünf Billionen Euro. Solche Gewinne, ohne dass jemand unter ihnen leidet, hauen einen um. Geld wird krisenfest, Finanzblasen gehören der Vergangenheit an, es gibt endlich eine Lösung für das Problem ungezügelter Finanzmärkte: Es ist sehr schwer, gegen Vollgeld zu sein. Wenn ein Produkt so große Vorteile hat, setzt es sich durch – auch gegen anfängliche Ignoranz. Das war schon bei der Erfindung der Bahn oder des Telefons der Fall.
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