Ohnmacht und Sündenfall

AFRIKA Ein OAU-Friedens gipfel, der nicht stattfindet

»Die bis zum heutigen Tag durchgeführten Konsultationen ergaben keine Zustimmung zur Durchführung eines OAU-Sondergipfels«, so kurz und prägnant der amtierende OAU-Präsident Blaise Compaoré aus Burkina Faso Ende vergangener Woche. Die Teilnehmer des Gipfels sollten in Ouagadougou (Burkina Faso) am 30./31. März Wege zum Konfliktabbau in Kongo (Kinshasa), Sierra Leone und im Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea erörtern.

Die Absage des Gipfels ist mehr denn je ein Indiz für die Zerrissenheit des afrikanischen Lagers - gegenwärtig befinden sich Angola, Guinea-Bissau, Kongo (Brazzaville), Kongo (Kinshasa), Sierra Leone und der Sudan im Kriegszustand, verdeckte Kriege werden in Burundi, Rwanda, Somalia, Uganda und im Tschad geführt, mit Sezessionsbestrebungen sind Senegal (Casamance) und die Komoren (Anjouan) konfrontiert, offene Grenzprobleme bestehen zwischen Äthiopien und Eritrea ebenso wie zwischen Kamerun und Nigeria. Andere Länder wiederum sind Opfer zunehmender innerer Gewalt. Daß diese Krisen sich eher noch ausbreiten werden, das erscheint eine weitaus realistischere Erwartung als die Hoffnung, sie könnten tatsächlich eingedämmt werden. Die Metastasen der Gewalt sind in Afrika allgegenwärtig - die vom südafrikanischen Vizepräsidenten Thabo Mbeki beschworene »Afro-Renaissance« mit ihrem Credo, Afrika den Afrikanern, scheint ferner denn je. Statt dessen gewinnen im Denken vieler Führer militärische Kategorien wieder an Dominanz über politische Handlungsweisen. Machtteilung ist eine weithin unbekannte Größe.

Was wurde aus dem großen Aufbruch in Richtung Demokratisierung von 1990? »Nationalkonferenzen«, an denen Vertreter von Staats- und Oppositionsparteien, des Militärs, der Uni versitäten, der Berufs verbän de und verschiedener Religionen teilnahmen, prägten seinerzeit das politische Gesicht Afrikas. Erstmals trat Anfang 1990 in Benin eine solche Konferenz zusam men, später in Côte d'Ivoire, Gabun, Kongo, Madagaskar, Mali, Niger, Togo, Tschad und Zaire. Mehr als einmal drohten diese Konsultationen an den Problemen der Vergangenheit zu scheitern; den noch fanden die Teilnehmer zu einem Konsens für die Zukunft. Der politischen Stim mung folgend, wur den die »Nationalkonferenzen« zu verfassungsvorbereitenden Gremien, während nach altem Muster »ge wählte« Parlamente zurücktraten und Übergangsregierungen gebildet wurden. Diesem Prozeß gaben die afrikanischen Staats- und Regierungs chefs auf dem 26. OAU-Gipfel im Juli 1990 ihren Segen. Der Wandel in Südafrika wurde zum Höhepunkt dieser Entwicklung und ein Beispiel für politische Toleranz. Nicht zuletzt die Außenpolitik Nelson Mandelas versuchte in ihrem Bemühen um Menschenrechte und Demokratie, Konsens und Kompromiß ein Gleichgewicht zwischen moralischen Ansprüchen und den Geboten der Realpolitik zu finden.

Trotz aller Rückschläge haben die mit alldem ausgelösten Entscheidungen - besonders im subsaharischen Afrika - einen irreversiblen Charakter. Heute beanspruchen in vielen der über 50 Länder dieses Kontinents politischer Pluralismus sowie Presse- und Meinungsfreiheit einen völlig anderen Stellenwert als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Afrika sieht sich nach wie vor einem tiefgreifenden Transformationsprozeß unterworfen - angestoßen von den Industrieländern, aber auch als Resultat eigener Entwicklungsoptionen. Dieser betrifft soziale Strukturen, ethnische Bindungen und Wertorien tierungen. Zugleich bleibt extreme Armut, für die auch Westeuropa und die internationalen Finanz- und Handelsorganisationen Verantwortung tragen, der beste Nährboden für Krieg und Gewalt. Was Entwicklungszusammenarbeit schuf, ging nur zu oft über Außenhandel, Mißwirtschaft und Korrup tion der reichen Eliten Afrikas und anderswo wieder verloren. So ist die angolanische Rebellenorganisation UNITA wegen ihres Krieges gegen die Regierung in Luanda zwar offiziell weltweit geächtet, doch die von ihr gelieferten Diamanten finden wohlwollende Abnehmer in Antwerpen, Tel Aviv und New York.

Der längst fällige OAU-Friedensgipfel wird vorerst nicht stattfinden. Vielleicht waren es Vorbehalte gegenüber der Uneigennützigkeit von Blaise Compaoré oder offene Fragen mit Blick auf die Debatte über Blauhelmeinsätze in Kongo (Kinshasa), die zur Absage dieser Konferenz führten. Doch neue Anläufe zu einem solchen Treffen werden folgen, auch weil es dazu keine Alternative gibt. Derzeit stehen die diversen Hinterlassenschaften der Kolonial- und Nachkolonialzeit weiterhin auf dem Prüfstand. Gleiches trifft auf die Politiker Afrikas zu, die sich oft nur schwer von dieser Zeit lösen können. Selbst das bisher über jeden Zweifel erhabene Südafrika hat seinen Sündenfall regionaler Machtpolitik erlebt, als Anfang September 1998 ein Interventionskorps von 600 Mann im Königsreich Lesotho einmarschierte. Zwar fand der Vorstoß unter dem Patronat der Entwicklungsgemeinschaft Südliches Afrika (SDAC) statt, doch konnte man es getrost als »Wendepunkt« für die politische Geographie der Region bewerten - den Interventionismus Angolas, Simbabwes, Ruandas, Ugandas, des Tschad und Namibias im kongolesischen Bürgerkrieg kann man in Johannesburg jetzt nur noch beifällig abnicken.

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