Die OSZE ist die einzige gesamteuropäische Sicherheitskonferenz auf nichtmilitärischer Basis und bietet nach wie vor den besten Rahmen für Verhandlungen über die Europäische Sicherheit. Ihre Zukunft hängt vom Engagement und politischen Willen der teilnehmenden Staaten ab. Der Astana-Gipfel darf keine routinemäßigen Pflichtveranstaltung sein. Er muss vor allem eine Antwort auf die Frage geben: Wie weiter mit der Europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit?
Wir unterstützen den Vorschlag einer neuen Europäischen Vertragsinitiative – oder zumindest Schritte in diese Richtung. Hierzu bietet sich momentan ein dünnes Zeitfenster: Die gegenwärtige US-Administration ist aufgeschlossen gegenüber Russland, die NATO plant derze
OSCE First
Astana-Gipfel Die Forderung nach einer gestärkten OSZE ist aktueller denn je. Vor dem Gipfel in Astana ist die Debatte über eine neue Europäische Sicherheitsordnung wieder aufgelebt
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nt derzeit keine weitere Ausdehnung nach Osten und das geplante Raketenabwehrsystem kann (wenn überhaupt) frühestens 2018 stationiert werden. Noch ist es nicht zu spät Strukturen, die in Zeiten der Ost-West-Konfrontation entstanden und somit längst obsolet geworden sind, zu korrigieren. Eine Europäische Sicherheitsgemeinschaft, die Russland und alle anderen OSZE-Staaten einschließt und sich als System kollektiver Sicherheit versteht, sollte zur politischen Priorität werden.Der Astana-Gipfel ist der erste OSZE-Gipfel seit 1999 und nicht nur deswegen historisch, sondern auch weil er erstmals von Kasachstan, einem Nicht-EU und Nicht-NATO-Staat organisiert wird. Gipfeltreffen haben sich in den vergangenen Jahren teilweise zu Recht den Ruf erworben, mehr Medienereignis zu sein, als konkrete Ergebnisse hervorzubringen. Doch die kasachische Regierung hat sich eine ehrgeizige Agenda vorgenommen und wird alles dafür tun, dass dieser Gipfel ein Erfolg wird. Gleich in mehreren Problemfeldern sollen Lösungen gefunden werden (z. B. für die Konflikte im Kaukasus und Moldawien, die Zukunft des adaptierten KSE-Vertrags, Afghanistan sowie den „Korfu-Prozess“ und die damit verbundene Frage nach den Zukunftsperspektiven der OSZE).Verfehlte Weichenstellungen Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Auflösung der Sowjetunion samt Warschauer Pakt war die Hoffnung groß, in Europa eine neue, dauerhafte Friedens- und Sicherheitsordnung zu etablieren. In der 1990 von den KSZE-Staaten unterzeichneten „Charta von Paris“ wurde ein neues Zeitalter des friedlichen Zusammenlebens zwischen Ost und West ausgerufen und sich darauf verständigt, dass von nun an Sicherheit „umfassend, kooperativ und unteilbar“ sei. Beim OSZE-Gipfel 1999 in Istanbul kam es dann zu einer Erneuerung vieler Vereinbarungen und zum Beschluss der „Charta für Europäische Sicherheit“. Sie bildete zwar einen weiteren Eckpunkt in der Geschichte der Organisation, doch real gesehen erreichte die OSZE in harten Sicherheitsfragen immer noch wenig. Grund dafür war und ist, dass die westlichen Staaten ihre Sicherheitspolitik nicht auf die OSZE projektierten, sondern auf jene Organisation, die die Macht, aber nicht das Mandat hatte, die NATO. Auch die Ersatzlösung der „Interlocking Security Institutions“ (NATO, WEU, OSZE, EU) täuschte nicht über den Kompromisscharakter in Fragen der Europäischen Sicherheit hinweg.Die NATO sicherte ihr Fortbestehen ab und begann sich nach Osten auszuweiten, die Balkankriege verdeutlichten die Brisanz interethnischer Konflikte und schließlich wurden völkerrechtswidrige Kriege um den Kosovo 1999 und Georgien 2008 geführt. Die OSZE konnte ihre theoretisch vorrangige Rolle (nach dem Prinzip „OSCE first“) in der Konfliktbearbeitung nie richtig ausfüllen, da ihre Arbeit von NATO und EU unterminiert wurde. Nicht zuletzt waren auch die fehlenden Implementierungsbemühungen vonseiten der teilnehmenden Staaten sowie der chronische Mangel an Vertrauen zwischen Ost und West verantwortlich für eine Stagnation in den europäischen Abrüstungs- und Sicherheitsverhandlungen.Die derzeit zu beobachtende Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und Russland nach dem Amtsantritt der beiden neuen Präsidenten Medwedjew und Obama („Reset“, Neuer START-Vertrag, Kooperation in Bezug auf Iran, mögliche Kooperation bei Raketenabwehr) ist zwar ein positives Zeichen, sollte aber nicht davon ablenken, dass es, mit Ausnahme der Wiederaufnahme der Konsultationen im NATO-Russland-Rat, noch keine konkreten politischen Fortschritte gibt.Medwedjews Initiative Das von Präsident Dmitri Medwedjew Oktober 2008 erstmals vorgestellte und seitdem beworbene „des Vertrages über Europäische Sicherheit“ (VES) ist ein legitimer Vorstoß Europäische Sicherheit künftig sowohl geographisch als auch völkerrechtlich umfassender zu verankern. Reaktionen westlicher Vertreter fielen jedoch bis dato eher verhalten bis abweisend aus. Besonders brüsk äußerte sich NATO- Generalsekretär Rasmussen: „Ich sehe keinen Bedarf für ein rechtlich bindendes Dokument, weil wir bereits ein Rahmenwerk haben“. Insgesamt ist Medwedjews Initiative als durchaus konstruktiv zu bewerten. Sie hat zudem die Debatte über die Europäische Sicherheitsarchitektur in verschiedensten europäischen politischen und wissenschaftlichen Zirkeln reaktiviert. Nicht nur sieht der Entwurf einen legal verbindlichen europäischen Vertrag zwischen teilnehmenden Staaten „von Vancouver bis Wladiwostok“ vor, sondern stellt zudem den Anspruch, jegliche Drohung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität und die politische Unabhängigkeit eines Staates auszuschließen und die Kooperation der Vertragsteilnehmer auf Basis der Prinzipien einer „unteilbaren, gleichen und unverletzbaren Sicherheit“ zu reglementieren. Der Entwurf enthält zu diesem Zwecke eine Reihe neuer Konfliktregelungsmechanismen und definiert de facto ein System kollektiver Sicherheit, das jedem Teilnehmerstaat das Recht auf (und nicht die Pflicht zu) Beistand im Angriffsfall zubilligt.In Anbetracht der vielen sicherheitspolitischen Affronts, die Moskau in den letzten Jahren erlebt hat, sind die aufgeführten Kriterien verständlich. Sie stellen eine Antwort darauf aus Moskaus Sicht problematische völkerrechtliche Verstöße in der Vergangenheit. Spätestens der Georgien-Konflikt im August 2008 ließ keinen Zweifel mehr offen, dass das Problem der „Sicherheitslücke“ in den Ost-West- Beziehungen nicht weiter ignoriert werden konnte. Es wurde deutlich, dass Russland eine Fortsetzung der ausgrenzenden, durch NATO-Osterweiterungen1 und US-Raketenabwehrpläne in Mitteleuropa immer provokanteren Politik, nicht mehr hinnehmen würde. Auch die Nichtratifizierung des Adaptierten KSE-Vertrages und die Suspendierung der KSE-Verpflichtungen durch Russland 2007 stellen ein gravierendes Problem dar, das dringend gelöst werden muss. Medwedjews Vorstoß hat einige Schwächen, so z. B. fehlen die zentralen Themen des dritten Korbes (Menschenrechte und humanitäre Aspekte), auch sieht er bislang keinen Realisierungsmechanismus vor. Dies kann jedoch auch taktische Gründe haben, um weitere Vorschläge und Ergänzungen aus dem Kreise der gewünschten Teilnehmerstaaten und –organisationen zu animieren und damit einen Verhandlungsprozess in Gang zu setzen.Divergierende Positionen Öffentlicher Diskurs und reale beziehungsweise fiktive Bedrohungswahrnehmungen liegen häufig weit auseinander. Übereinstimmend gehen sowohl die NATO als auch Russland derzeit davon aus, dass kein großflächiger Krieg in Europa droht. Doch bereit, ihre nationalen Streitkräfte defensiv und auf eine rein territoriale Verteidigung auszurichten, sind weder die NATO-Staaten noch Russland. Besonders die neuen Mitglieder der NATO, wie Polen, Tschechien und die baltischen Staaten dringen darauf, dass militärische Maßnahmen und die dauerhafte Stationierung von amerikanischen, strategischen Waffen zur Territorialverteidigung in Europa unabdingbar seien. Auch die neue offene Haltung der westlichen NATO-Staaten gegenüber Russland darf nicht darüber hinweg täuschen, dass diese ebenso sehr die Notwendigkeit einer militärischen „Rückversicherung“ gegen Russland sehen. Die konfrontativen Elemente (NATO-Erweiterung, Raketenabwehr) drohen, insbesondere wenn wieder ein republikanischer Präsident in den USA gewählt wird, zuzunehmen, während das vorhandene Rüstungskontrollsystem (KSE-Vertrag) erodiert. Die drohende Nichtratifizierung des START-Vertragswerks durch den US-Senat würde zusätzlich alle Abrüstungsverheißungen wieder ad absurdum führen. Zwischen den noch immer divergierenden Positionen östlich und westlich von Wien muss vermittelt werden. Deutschland eignet sich aufgrund seiner strategischen Stellung, aber auch wegen seiner Einbindung in die NATO und wirtschaftlichen/kulturellen Verflechtung mit dem post-sowjetischen Raum (wichtigster Handelspartner Russlands, als einziges europäisches Land in allen zentralasiatischen Hauptstädten diplomatisch vertreten) für die Rolle des Vermittlers. Diese Rolle müsste jedoch von der Bundesregierung stärker als bislang realisiert und angenommen werden.Kollektive Sicherheit in EuropaDie heutige Sicherheitsstruktur in Europa wird überdeterminiert durch das militärisch gestützte Bündnis der westlichen Staaten im Rahmen der NATO. Die Allianz sieht sich selbst als entscheidenden Sicherheits- und Ordnungsfaktor, und ihre Mitgliedstaaten wollen diese Funktion nicht aufgeben. Das Grundproblem ist jedoch, dass ein Bündnis kollektiver Selbstverteidigung immer durch ein „Drinnen“ und ein Draußen“ definiert ist. Dass die NATO trotz aller deklaratorischer Bekundungen vor allem eine Militärallianz ist, kommt verschärfend hinzu. Selbst die Einbeziehung Russlands würde nichts daran ändern, dass eine rüstungszentrierte und interventionistische Organisation zum Gralshüter Europäischer Sicherheit gemacht würde.Dieser „Systemdefekt“ kann durch Erhalt dieser Grundstruktur nicht beseitigt werden. Er verlangt nach einer neuen Sicherheitsarchitektur, in der Militärbündnisse endgültig obsolet geworden sind und sich die Staatengemeinschaft auf zivile Konfliktbearbeitungsmechanismen fokussiert. Die OSZE dagegen sollte sich in ein System kollektiver Sicherheit, das auf Kooperation statt auf Konfrontation aufbaut, transformieren. Dafür sprechen besonders ihre umfassende Mitgliedschaft von „Vancouver bis Wladiwostok“, ihr normativer acquis, der nicht nur in Zeiten der Systemkonfrontation Grundlage für mehr Stabilität und Sicherheit in Europa war, ihre Kompetenz und Expertise in Fragen der Konfliktprävention und –Konfliktregelung und nicht zuletzt ihre Rolle als einzigartiges Forum für den Dialog zwischen Ost und West.Die Universalität der OSZE bildet die Grundlage, um wechselseitige Bedrohungswahrnehmungen abzubauen und schließlich durch eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ersetzen. Ein System kollektiver Sicherheit schließt daher ein, dass dieser Prozess durch Rüstungskontrolle und Abrüstung, durch vertrauensbildende Maßnahmen auch im militärischen Bereich aktiv gefördert wird. Im Falle konfliktvorbeugender bzw. streitschlichtender Interventionen kann sich die OSZE auf größtmögliche Legitimation stützen und ist gegen den Verdacht interessengeleiteter Einmischung besser geschützt.Daher sollten ausgehend vom Astana-Gipfel vorrangig folgende Maßnahmen vereinbart und umgesetzt werden:1)Pläne zur Raketenabwehr auf Eis legenDie Sinnlosigkeit des derzeit geplanten Raketenabwehrsystems kann nur wiederholt werden. Dafür, dass die Raketenabwehr eines der Hauptthemen in Lissabon war, gibt es noch sehr wenige konkrete Fakten. Die Kosten des Projekts sind derzeit schwer abzuschätzen; sie werden beträchtlich sein. Damit werden in Zeiten allgegenwärtiger Haushaltskrisen Geldmittel verschwendet. Zweifelhaft ist zudem gegen welche Bedrohung die Raketenabwehr gerichtet sein soll und ob sie solch einer vermeintlichen Bedrohung jemals effektiv standhalten könnte. In jedem Fall sind die Raketenabwehrpläne zu suspendieren, da trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von einer gleichberechtigten Beteiligung Russlands nicht auszugehen ist. Zwar scheint Russland seit dem NATO-Gipfel in Lissabon prinzipiell bereit, sich an einer gemeinsamen Raketenabwehr zu beteiligen, aber es stellt u.a. die Forderung, vor der Entwicklung gemeinsam potentielle Raketenbedrohungen zu analysieren, weil es offensichtlich eine andere Bedrohungswahrnehmung hat als die NATO.2)Konventionelle Abrüstung ernst nehmen – Adaptierten KSE-Vertrag ratifizierenAnstatt Aufrüstung voranzutreiben und NATO-Vorgaben nachzukommen, die immer noch 2 Proynent des BSP für Verteidigung vorsehen, sollten ernsthafte Bemühungen in Form von Abrüstung, Demilitarisierung und Konversion fortgesetzt werden. Die Rüstungshaushalte und stationierten Streitkräfte samt Rüstungsmaterial sind nach wie vor überdimensioniert. Neue Abrüstungsverträge und einseitige Abrüstungsmaßnahmen sind überfällig. Ein wichtiges Etappenziel wäre die Halbierung der konventionellen Rüstung und der Streitkräfte in Europa von gegenwärtig über 3 Millionen auf 1,5 Millionen.Der Adaptierte Vertrag über Konventionelle Sicherheit in Europa (AKSE) muss endlich und ohne Vorbedingungen von den NATO-Staaten ratifiziert werden. Nur so können das System von Transparenz und Verifikation in der konventionellen Rüstungsfrage in Europa wiederhergestellt werden und Abrüstungsbemühungen vorangetrieben werden. Dabei müssen die, von NATO-Staaten aufgestellten, zweitrangigen Fragen, wie der Status von Südossetien, Abchasien und Transnistrien vorerst ausgeklammert werden. Russlands militärische Präsenz ist anfechtbar, doch nicht in diesem Zusammenhang. Die Thematisierung dieser Kontroverse sollte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Deutschland sollte in diesem Punkt versuchen auf andere NATO-Staaten einzuwirken und auf eine Ratifizierung zu drängen.3)Europa als „Atomwaffenfreie Zone“Wichtige Priorität für Europa und insbesondere Deutschland ist, dass die US-Atomwaffen aus Europa abgezogen werden. Sie erfüllen weder einen militärischen noch einen sicherheitspolitischen Zweck. Im Gegenzug sollte Russland aufgefordert werden, seine taktischen Atomwaffen, die ebenfalls keine militärische Funktion mehr erfüllen, in Europa zu eliminieren. Der dynamische internationale Meinungsbildungsprozess zur veränderten Rolle nuklearer Waffen und den Chancen für eine atomwaffenfreie Welt (von Präsident Obama mit „Global Zero“ geprägt) sollte auch institutionell Widerhall finden. Die Zukunftsverweigerung der NATO hingegen, „eine nukleare Allianz zu bleiben, solange es Nuklearwaffen in der Welt gibt“, ist eine selbsterfüllende Prophezeiung und kann nicht hingenommen werden.4)Vertrauensbildende Maßnahmen schaffenBislang bleibt das „Dokument der Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (WD)“, das 1999 in Istanbul beschlossen wurde, die für alle OSZE-Staaten verbindliche Vereinbarung zur Regelung militärischer Aspekte von Vertrauen und Sicherheit. Das WD ist das Ergebnis aus Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) seit der Helsinki-Schlussakte von 1975. Es beinhaltet ein Informations- und ein Verifikationsregime zum Austausch von Informationen über die Streitkräfte, die Daten von Hauptwaffensystemen, die Verteidigungsplanung – einschließlich der Haushaltsplanung – sowie Planungen militärischer Aktivitäten. Doch seit der letzten Anpassung des Wiener Dokuments 1999 hat sich die sicherheitspolitische Lage in Europa verändert. Dementsprechend ist dringend eine Modernisierung dieses Regimes nötig. Außer dem Forum für Sicherheitskooperation der OSZE gibt es kaum internationale Dialogbemühungen zum Thema VSBM. Zwar veranstaltet die Bundesregierung regelmäßig die „Berliner Seminarezur konventionellen Rüstungskontrolle“, doch sind diese selten hochrangig besucht und meist zu wissenschaftlich ausgelegt. Notwendig wäre hingegen eine halbjährliche Konferenz auf Regierungsebene, die den Mangel an Austausch zwischen den Regierenden kompensiert und Vertrauen, Transparenz und Ernsthaftigkeit in die anstehenden Abrüstungsverhandlungen bringt. Konversionsexperten müssten zusätzlich mit Expertise zur Seite stehen.5) Stärkung der OSZE-Kapazitäten im KonfliktmanagementDie OSZE spielt bereits seit langem eine wichtige Rolle in der Konfliktprävention und im Konfliktmanagement. Sie hat ihr Potenzial jedoch noch lange nicht ausgeschöpft und beschränkt sich weiterhin eher auf eine Beobachterrolle, da ihr häufig schlicht die Instrumente und Ressourcen fehlen. Auch wenn keine größeren Konflikte innerhalb Europas in Sicht sind, gibt es Regelungsbedarf sowohl für aktuelle kleinere (z. B. die „frozen conflicts“ im Kaukasus und Moldawien) und potentielle, zukünftige Konflikte (etwa in Zentralasien) als auch für die Umsetzung einer tatsächlichen Politik der „gemeinsamen Sicherheit“.Kasachstan ging in diesem Jahr als amtierender OSZE-Vorsitz mit gutem Beispiel voran und half mit eigenen Mitteln einen drohenden Bürgerkrieg in Kirgistan zu verhindern. Es konnte als nördlicher Nachbar Kirgistans einen Dialog zwischen der neuen und der alten Führung Kirgistans vermitteln, und stimmte sich mit dem OSZE-Sekretariat in Wien, der UN, der EU, Russland, den USA, Deutschland und anderen Ländern ab. Der gestürzte Präsident gab schließlich nach, wurde von Kasachstan ausgeflogen und begab sich ins Exil nach Weißrussland. Dennoch, das Blutvergießen im Juni war nicht verhindert worden. Während dieser Krise wurde wieder einmal offenkundig, dass die OSZE nur eingeschränkt zu schnellen Handlungen in der Lage ist. Deswegen braucht die OSZE eine völkerrechtlich verbindliche Charta sowie einen Ausbau und Ermächtigung ihrer Konfliktpräventions- und Konfliktregelungsmechanismen. Zudem sollte die Organisation den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit vom Balkan hin zum Kaukasusraum und Zentralasien verschieben, da die in den 90er Jahren gesetzten Prioritäten bereits überholt sind. Die Bekämpfung von Drogenhandel sollte noch stärker zu einem der Schwerpunkte ihrer Tätigkeit werden. Das Budget der OSZE ist mit nicht einmal 160 Millionen Euro jährlich sehr bescheiden. Hier bedarf es ebenfalls Reformen.6)Vermeidung von doppelten StandardsIn der Vergangenheit hat besonder Russland wiederholt gefordert, für die OSZE eine völker-rechtlich verbindliche Grundlage zu schaffen. Doch mit den Jahren hat Moskau ein wenig das Interesse verloren, da es die OSZE zunehmend als Instrument zur Durchsetzung westlicher, imperialistischer Interessen sieht. Damit sind besonders die Einwirkungsversuche auf innenpolitische Entwicklungen bis hin zur aktiven Unterstützung oppositioneller Bewegungen in post-sowjetischen Staaten gemeint sowie die Verdrängung Russlands aus den zu Recht umstrittenen friedensschaffenden Verhandlungsformaten zur Beilegung der Konflikte im Kaukasus und Moldawien. Insbesondere die normativen Auflagen des „Office for Democratic Institutions and Human Rights“ (ODIHR) im Rahmen von Wahlbeobachtungsmissionen im postsowjetischen Raum sind zweifelhaft - besonders vor dem Hintergrund, dass einige europäische Länder selbst überhaupt keine Wahlbeobachter ins Land lassen. Viele der post-sowjetischen Staaten verbinden mit der OSZE und Wahlbeobachtung heute doppelte Standards. Ihre Regierungen und Zivilgesellschaft sind sich dabei aus unterschiedlichen Gründen einig.Die OSZE sollte sich hingegen als Organisation verstehen, deren teilnehmende Staaten, egal ob klein oder groß, östlich oder westlich von Wien, die gleichen Rechten und Pflichten haben. Eine weitergehende, demokratische Legitimation der Organisation durch eine Stärkung ihrer Parlamentarischen Versammlung sollte unterstrichen werden, indem dieser Kontrollrechte übertragen werden und verabschiedete Resolutionen rechtsverbindlichen Charakter erhalten.
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