Pfründe und Posten

Frankreich Kommt es zur Anklage von Frankreichs Ex-Präsident Chirac, könnte aus der Prozesswelle gegen Ex-Politiker und ihre Günstlingswirtschaft eine gefährliche Lawine werden

Mit der Justiz ist es wie mit Wundern. Beide brauchen manchmal etwas länger. So auch im Fall von Jacques Chirac. Als Staatspräsident zwischen 1995 und 2007 genoss er juristische Immunität, obwohl schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Sie gingen auf seine Amtszeit als Bürgermeister von Paris (1977-1995) zurück. In dieser Zeit wurden Hunderte von Sonderstellen und Extrajobs geschaffen und aus staatlichen Mitteln finanziert. Tatsächlich arbeiteten die so Berufenen nicht im normalen Staatsdienst, sondern als Leibwächter, Fahrer, Sekretäre und Referenten für Chiracs gaullistische Partei RPR, für seine politischen Freunde, seine Image- und Landschaftspfleger. Kurzum: Monsieur Le Maire verteilte Pfründen und Posten wie ein König und hielt damit Entourage und Lakaien bei Laune – ein klassischer Fall von Günstlingswirtschaft, sollte sich der kapitale Verdacht bewahrheiten.


Bereits im Februar 2007 wurden in der Sache Untersuchungen wegen der Veruntreuung von Staatsgeldern angestrengt und Zeugen gehört. Ermittelt hat die mutige Pariser Untersuchungsrichterin Xavière Simeoni, die aus 481 Scheinarbeitsverträgen 21 Fälle auswählte, für die der Ex-Präsident jetzt zur Rechenschaft gezogen werden soll, weil er die brisanten Papiere zum Teil selbst unterschrieben hat. Xavière Simeoni widersetzt sich energisch der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren gegen Chirac Ende September einstellen wollte – nun muss die Untersuchungskammer des Pariser Appellationsgerichts entscheiden, ob Anklage erhoben wird oder nicht. Der Kampf zwischen Untersuchungsrichtern, die streng nach dem Legalitätsprinzip vorgehen, und Staatsanwälten, die sich ans Opportunitätsprinzip halten, gilt als Spezialität der französischen Justiz. Nicolas Sarkozy – das ist eine der Pointen im Fall Chirac – möchte die fürs Establishment unbequemen Untersuchungsrichter abschaffen und damit die Einleitung von Untersuchungen mehr denn je den Interessen des Staates unterordnen.

Jacques Chirac hat sich vorerst betont gelassen in den Urlaub nach Marokko verabschiedet, aber das ist nichts als Camouflage. Die Sache kommt für ihn zur Unzeit. Am 6. November wollte er mit großem medialen Auftritt seine Memoiren vorstellen und an der Sorbonne einen Preis empfangen. Jetzt dürfte er weniger nach seinen Meriten als nach Scheinverträgen gefragt werden. Auch der 77. Geburtstag am 29. November und die dazu vorgesehene pompöse Feier, zu der Mandarine und Günstlinge des Quasi-Monarchen geladen sind, dürfte Schaden nehmen.


Die Stimmung ist für Chirac eher ungünstig. Im Prozess gegen Ex-Premier Dominique de Villepin verlangte die Staatsanwaltschaft gerade erst eine Strafe von einem Jahr auf Bewährung wegen Verleumdung des Präsidenten Sarkozy in einer undurchsichtigen Steuer- und Fluchtgeldaffäre. Fast zeitgleich verurteilte ein Gericht den ehemaligen Innenminister Charles Pasqua – eine der Galionsfiguren des späten Gaullismus – zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung, weil der Ex-Senator in illegale Waffengeschäfte mit Angola verwickelt war. Zu seiner Verteidigung verlangte Pasqua die Öffnung von Akten, die bisher aus Gründen der Staatsräson geschlossen blieben. Wenn er durchkommt, kann eine Bombe platzen, der vielen aus der politischen Elite die Tarnung vom Leibe reißt und wahrscheinlich auch den 1996 verstorbenen François Mitterrand nicht verschont. Die Sozialisten sind wie immer gespalten: Ségolène Royal meinte, Chirac solle „in Ruhe gelassen werden“, jüngere Sozialisten, die nicht vom System Mitterrand profitierten, unterstützen Pasqua und sein Begehren nach Akteneinsicht. Die derzeitige Prozesswelle ist einmalig in der Geschichte der 1962 gegründeten Fünften Republik und wirft viel Schatten auf eine politische Elite, die sich gern ins milden Licht der Rechtschaffenheit stellt.

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