Phantom mit Internetseite

Großalbanisches Modell Saso Ordanoski, Regierungsberater in Skopje und Herausgeber der Zeitschrift "Forum", über die "Albanische Nationalarmee" und die erneute Gefahr einer Teilung Mazedoniens

Nach mehreren Bombenanschlägen in der mazedonischen Hauptstadt Skopje hat sich jetzt die Albanische Nationalarmee (AKSH) zu diesen Attentaten bekannt. Daraufhin ging die Polizei gegen deren mutmaßliche Rückzugsgebiete im stark albanisch besiedelten Nord-Mazedonien vor. Eine Ereigniskette wie 2001 während der heißen Phase des Konfliktes zwischen mazedonischer Titularnation (Bevölkerungsanteil 66 Prozent) und albanischer Minderheit (23 Prozent): Albaner werden getötet, die lokale Bevölkerung geht in Deckung und auf die Flucht - es gibt keine Deeskalation. Für Saso Ordanoski hat das im Land stationierte EU-Militärkorps nur noch wenig Zeit, das Ohrider Friedensabkommen vom August 2001 zu retten.

FREITAG: Wie beurteilen die Albaner in der multiethnischen Regierung die jüngsten Gewalttaten?
SASA ORDANOSKI: Die albanische Regierungspartei Demokratische Union der Integration (DUI) hat das Vorgehen der Polizei gegen die Guerilla unumwunden verurteilt. Typisch für das mazedonische Dilemma. Legale Operationen werden von einem Teil der politischen Elite für illegitim gehalten, nur weil sie sich gegen Albaner richten. Es existiert kein Vertrauen in das Sicherheits- und Rechtswesen - diesem Staat fehlt Legitimität, er funktioniert nicht.

Was hat man sich unter der Albanischen Nationalarmee AKSH vorzustellen?
Niemand weiß, wie groß diese Formation ist und wer hinter ihr steht. Sie ist ein Phantom mit Internetseite. Dort wird für ein großalbanisches Modell geworben, das alle Albaner auf dem Balkan staatlich vereinen will. Konkret heißt das: Unabhängigkeit des Kosovo, Autonomie für die Albaner in Serbien, ethnische Föderalisierung Mazedoniens. Die AKSH unterhält Verbindungen zur organisierten Kriminalität, wenn sie nicht überhaupt ein Mafia-Ableger ist.

Ist der Vertrag von Ohrid wirklich gefährdet?
Was technische Fragen anging, war das ein gutes Abkommen. Es wurde auch alles umgesetzt - bis auf die Dezentralisierung, also die Aufwertung der Kompetenzen von Gemeinden mit einem hohen albanischen Anteil. Damit soll nun im November begonnen werden, wenn die Ergebnisse der Volkszählung veröffentlicht sind. Dann weiß man, in welchen Kommunen mehr als 20 Prozent Albaner leben. Die werden dann Sonderrechte genießen. Das eigentliche Problem ist aber: Ohrid gibt keine Antwort auf den grundlegenden politischen und ethnischen Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern.

Was halten Sie von Plänen des EU-Außenbeauftragten Solana, die EU-Militärmission in Mazedonien Ende 2003 in eine Polizeimission umzuwandeln?
Die Concordia-Mission mit insgesamt 400 Soldaten ist politisch-symbolischer Natur. Deshalb wäre die Umwandlung in eine Polizeimission positiv, weil dann westliche Sicherheitsfachleute direkt an der Arbeit der mazedonischen Polizei beteiligt würden. Vor allem aber müsste Westeuropa viel stärker auf politischer Ebene agieren.

Aber Mazedonien steht doch auf der europäischen Agenda.
Solange sich Solana in Brüssel um das Mazedonien-Problem kümmert, aber nicht Schröder und Chirac in Berlin beziehungsweise Paris, hat Mazedonien keine Chance.

Was sollten die europäischen Spitzenpolitiker denn tun?
Sie haben keine Zeit, und wir auch nicht. Das mazedonische Problem muss gelöst sein, bevor zwischen Prishtina und Belgrad ernsthafte Gespräche über den künftigen Status des Kosovo beginnen. Geschieht das nicht, könnte Mazedonien als passive Verhandlungsmasse betrachtet werden und eine ethnischen Föderalisierung des Landes nach dem Muster Bosnien-Herzegowinas erneut auf der Tagesordnung stehen. Gerade darin sehen die Extremisten der AKSH ja ihre Chance - sie wollen die definitive ethnische Teilung Mazedoniens.

Das Interview führte Heiko Hänsel


Mazedonien 2001 - 2003

April 2001 - Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zwischen Mazedonien (als erstem Nachfolgestaat des einstigen Jugoslawiens) und der EU.

April/Juni 2001 - Ausbruch schwerer Kämpfe zwischen der mazedonischen Armee und bewaffneten Kräften der albanischen Volksgruppe. Aus dem Kosovo eingesickerte UÇK-Freischärler fordern eine ethnische Aufspaltung des Landes.

August 2001 - Macedonian Framework Peace Accord (Abkommen von Ohrid) zwischen den Konfliktparteien durch Vermittlung von EU und NATO. Es sieht Verfassungsänderungen vor, unter anderem gilt in Gebieten mit einer Minderheit von mindestens 20 Prozent auch deren Sprache als Amtssprache. Die Koalitionsregierung unter Präsident Trajkovski aus der mazedonischen VMRO-Partei und der Demokratischen Partei der Albaner (DPA) wird bestätigt.

August 2001 - Beginn der NATO-Operation Essential Harvest zur Stabilisierung der Lage auf Wunsch beider Konfliktparteien. Der Bundestag stimmt am 29. August einem Bundeswehreinsatz bei dieser NATO-Mission mehrheitlich zu.

September 2001 - Die NATO beginnt mit der Nachfolgeoperation Amber Fox. Dabei übernimmt die Bundeswehr erstmals die Rolle der Führungsnation und stellt mit 600 Mann auch das größte Kontingent.

März 2002 - Internationale Geberkonferenz für Mazedonien, die EU und die Weltbank vereinbaren mit der Regierung in Skopje eine 256-Millionen-Euro-Hilfe.

März 2003 - Die EU übernimmt mit der Mission Concordia - ihrer ersten Militäroperation überhaupt - die Kontrolle der Stabilisierung, beteiligt sind unter französischem Kommando 400 Soldaten, darunter auch Bundeswehrangehörige.

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