Marcel Lozinski, 1940 in Paris geboren, gehört zu den angesehensten Dokumentarfilmern Polens. In den Arbeiten, die er während des Sozialismus realisierte, dechiffrierte er die Mechanismen der totalitären Macht. Der dokumentarische Spielfilm Wie soll man leben?, eine Metaphrase auf das volkspolnische Spitzelsystem, wurde 1977 nach der Fertigstellung aus dem Verkehr gezogen. Nach der Wende fragte Lozinski mit Filmen wie Der Wald von Katyn (1990) und Sieben Juden aus meiner Klasse (1991) nach zentralen Sollbruchstellen des polnischen Geschichtsbildes. Die größte internationale Beachtung erlebte er Mitte der neunziger Jahre mit seinem Kurzdokumentarfilm 89 mm von Europa, für den er 1993 den europäischen Filmpreis und 1995 eine Oscarnominierung erhielt. Der Film besteht aus kommentarlosen Momentaufnahmen auf einem Bahnhof an der polnisch-weißrussischen Grenze, wo die Fahrgestelle der Zugwagons vom westeuropäischen Maß auf das 89 Zentimeter breitere russische Format umgestellt werden.
In dem aktuellen Der Weg zum Erfolg, der auf dem Wiesbadener goEast-Filmfestival mit dem Hauptpreis im Dokumentarfilmwettbewerb ausgezeichnet wurde, erforscht Lozinski das Wechselverhältnis zwischen Medienkultur, Populismus und politischer Moral im Polen der Gegenwart. Im Zentrum seiner Beobachtung steht der Medienberater Piotr Tymochowicz, der mittels eines Seminars erfolgreiche Politiker zu "kreieren" verspricht. Lozinski verfolgt den mehrmonatigen Prozess und zeigt in der für ihn typischen Mischung aus distanzierter Beobachtung und Reflektion die Problematik der politischen Machtfindungsprozeduren in heutigen Demokratien.
FREITAG: Was war Ihr persönlicher Anstoß dazu, einen Film wie "Der Weg zum Erfolg" zu machen?
MARCEL LOZINSKI: Das geht einige Zeit zurück: Anfang der neunziger Jahre gab es in Polen die Demokratische Union, die von Tadeusz Mazowiecki geführt wurde, dem ersten frei gewählten Premierminister der postkommunistischen Zeit. Die Solidarnosc hatte sich gespalten; Mazowiecki und Walesa traten als Gegenspieler bei den Präsidentschaftswahlen 1990 an. Mazowiecki wollte eigentlich nicht Präsident werden, aber die Demokratische Union fürchtete, dass Walesa in eine gefährliche Richtung mit diktatorischen Tendenzen abdriften würde. Also haben sie Mazowiecki zur Kandidatur überredet. Und mich hat man dazu überredet, zusammen mit drei Kollegen eine Medienkampagne für ihn zu starten - obwohl wir von so etwas überhaupt keine Ahnung hatten. Aber da wir große Sympathien für die Demokratische Union hegten, und auch aus zivilgesellschaftlichen Pflichtbewusstsein, haben wir uns entschieden, die Kampagne mitzugestalten.
Es wurde eine totale Tragödie - wir hatten wirklich keine Erfahrung. Wie aus heiterem Himmel nämlich erschien ein Stanislaw Tyminski auf der Bildfläche, ein Pole aus Kanada, der 30 Jahre zuvor ausgewandert war, ein sogenannter Selfmademann. Tyminski, manche werden sich noch erinnern, war ein Hochstapler ohnegleichen, der den Leuten das Blaue vom Himmel versprochen hat. Wie ein Sektenführer hypnotisierte er die Leute förmlich. Er verstand sich darauf, die Frustrationen der Menschen anzusprechen, und es gab natürlich viel Frust in der Bevölkerung, weil alle geglaubt hatten, mit Freiheit und Demokratie würde sich der Wohlstand wie von selbst einstellen. Dieser Tyminski also verfügte über exzellente Medienberater und eine unheimliche Machtgier und es gelang ihm schließlich, Mazowiecki in der ersten Abstimmung zu überholen. Für die Stichwahl mussten wir uns dann alle auf die Seite von Walesa stellen, damit dieser Mann aus dem Nichts nicht auf einmal Präsident von Polen wird.
Damals konnte ich den Prozess, wie dieser Typ Politiker entsteht, an Form gewinnt, nicht nachvollziehen, weil er bereits "fertig" in Aktion trat. Aber es hat mich immer interessiert: Was hatte er davor gelernt, wie war er zu dem geworden, als der er sich präsentierte, wie viel Kompromisse hatte er dabei gemacht? Und auch: was war der Preis, den er für diese Falschheit, die er an den Tag legte, zahlen musste? Aber Tyminski ist nun längst Geschichte. Im Jahr 2003 habe ich in einer Zeitung dann ein Interview mit Piotr Tymochowicz gelesen. Er hatte bereits einige der Politiker in Polen "kreiert", unter anderem Andrzej Lepper, ein ultranationalistischer Politiker. Der gleiche Tymochowicz aber hatte auch den postkommunistischen Premier Jacek Miler beraten.
Er war also offenbar ein Mensch, dem es egal ist, mit wem er arbeitet. Er macht einfach seinen Job, frei von ideologischen Prinzipien und egal, ob es sich bei seinen Schützlingen um einen Fabrikdirektor oder um einen Landesführer handelt. In einem Interview ging Tymochowicz so weit zu behaupten, ein Politiker sei genauso ein Produkt wie etwa die Kukident-Tablette und kündigte ein Casting an, bei dem einfache Menschen von der Straße, die Politiker werden wollten, sich bei ihm melden sollten. Da habe ich ihn gefragt, ob ich das filmen kann. Am Anfang fürchtete ich ein bisschen, vor meinen Augen entstünde eine ultrafaschistische Partei. Ich habe Freunde nach ihrer Meinung befragt, und alle sind zu dem Schluss gekommen, dass er das macht, ob ich filme oder nicht, und wenn er das macht, dann sollten wir das beobachten und mit diesem Film eine Warnung aussprechen. Alles, was ich mir damals 1990 gewünscht hätte.
Gibt es eine intellektuelle Logik hinter Tymochowiczs Handeln?
Das wäre ein Kompliment für diesen Mann. Er ist ein totaler Zyniker. Natürlich geht es ihm ums Geld, und er möchte Gegenstand des Gesprächs sein. Es ist ihm nicht wichtig, ob man gut oder schlecht über ihn spricht. Es geht ihm nur darum, dass sein Name richtig ausgesprochen wird. Möglicherweise wird dieser Mensch irgendwann einmal ein wirkliches Drama erleben. Das ist kein Teufel, ehe ein kleines Teufelchen. Er denkt, dass er wie in einem Marionettentheater die Fäden zieht und dass er beobachten kann, wie diese Marionetten dann tanzen. Gott sei Dank reißen diese Fäden manchmal. Ich war sehr glücklich, als die erste Frau aus dem Seminar sagte, ich weiß nicht mehr, ob ich noch hier teilnehmen will. Das war eine Riesenerleichterung, ich war froh, dass die Leute noch irgendwelche Prinzipien vertreten. Gleich nach ihr haben zwei junge Männer für sich das gleiche festgestellt. Am Ende blieb er mit nur einer Marionette stehen, die hat er dann bis zum Ende geführt. Die jungen Leute sind nicht bereit, jeden Preis für die Karriere zu bezahlen. Sie haben es versucht und dabei gesehen, welcher Preis zu zahlen ist - der Preis der Lüge, des Konformismus, des Betrugs. Man muss seine Ansichten ständig ändern, je nachdem, welche Partei eine Chance bietet. Ich war sehr froh, dass die jungen Leute verstanden haben, dass es sich lohnt, Ansichten zu haben, zu vertreten und ihnen treu zu bleiben.
Ist das Kreieren von Politikern ein Gegenwartsphänomen, das mit unserer Medienkultur zusammenhängt?
Für mich war dieses Phänomen schon immer da. Heute kann man es nur klarer erkennen, weil der Einfluss der Medien viel größer ist als früher. Heute gibt es wirklich keinen Politiker mehr, der hinter sich nicht eine ganze Gruppe von Beratern hat. Ich möchte keine Beispiele nennen, die kennen Sie selbst, aber ich möchte ein Gegenbeispiel nennen: Meine Lieblingspartei, die aus dem intellektuellen Teil der Solidarnosc um Gremek, Mazowiecki, Bujak etc. hervorging, diese Partei gibt es nicht mehr. Sie hat keinen einzigen Platz mehr im Sejm. Diese Leute haben sich das selbst zuzuschreiben, sie haben sich nicht darum gekümmert, dass ihr Programm unter die Leute kommt. Sie haben sich nicht dieser - im positiven Sinne - Propagandamittel bedient. Sie haben die Medien nicht genutzt. In der Bevölkerung hat sich leider das Bild von einer Partei gefestigt, die in sich geschlossen ist, in einem Elfenbeinturm lebt, sehr intellektuell, sehr theoretisierend, aber ohne den Leuten etwas vorzuschlagen. Das stimmt ja nicht, aber sie haben keine Multiplikatoren gefunden, sich nicht um Medienberater gekümmert, die wissen, wie ihre Ideen unter die Leute zu bringen sind. Und das ist eine Art von Überheblichkeit, eine Unterlassungssünde.
Sie können der weltweiten Beraterkultur also durchaus positive Seiten abgewinnen?
Positiv würde ich es vielleicht nicht nennen, aber es ist notwendig. Ich würde mir wünschen, dass diese Berater nicht gebraucht würden, aber was soll ich machen, wie man sieht, geht es ohne sie nicht. Das Wichtigste ist jedoch die Ehrlichkeit. Medienberater müssen in ihrem Beruf bestimmte Sachen hervorheben, andere dafür in den Hintergrund stellen. Der französische Medienberater Jacques Seguela meinte einmal: "Erzählt bloß meiner Mutter nicht, dass ich in der Werbung arbeite; sie behauptet dann, ich würde in einem Bordell Piano spielen." Er hat eine Distanz zu seiner Aufgabe, aber er ist ein ehrlicher Mensch. Als man ihn fragte, was er sagen würde, wenn Le Pen ihn bitten würde, sein Image zu verbessern, hat er geantwortet, er würde ihn vor die Tür setzen.
"Der Weg zum Erfolg" ist der einzige Dokumentarfilm, der in Polen einen Verleih gefunden hat ...
Ja! Nach 25 Jahren ist wieder ein Dokumentarfilm in die kommerziellen Kinos gekommen! Vor allem junge Leute sind hingegangen! Ich war sehr zufrieden, dass genau die Generation, von der man sagt, sie sei so desinteressiert und von nichts zu beeindrucken, hinter die Kulissen blicken wollte. Viele haben mir gesagt, dass sie nach dem Film anders Fernsehen schauen und nun genauer hinhören: Was sagt ein Kandidat heute und was erzählt er morgen? Es ist ein wichtiges Indiz, ob jemand seine Ansichten vertritt oder sie ständig ändert. Wer den Film gesehen hat, überlegt nun hoffentlich genauer, bevor er den Wahlzettel in die Urne schmeißt.
Das Gespräch führte Bernd Buder
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