Püppchendrehen im Kanzleramt

KOMMENTAR Atomkonsensgespräche

Spielen wir Babuschka und gründen die Kommission der Kommission der Kommission. Wieder geschehen am Wochenende, als Schröder mit den Atombossen beim Abendessen saß und die Runde das doch nicht allerletzte Mal um Geld oder Liebe spielte, wahrscheinlich ohne dabei in die ARD zu gucken, wo Jürgen von der Lippe düstere Vorahnungen hatte, weil sich sämtliche Kandidaten für Geld und nicht für Liebe entschieden. Es findet sich keine Erklärung mehr, warum Gerhard Schröder nicht endlich auch alle Liebe vergisst und die Konsensgespräche spitz auf Knopf kommen lässt, besonders nach den markigen Drohungen seiner Minister in den letzten Wochen.

So aber schraubte der Kanzler die Konsensgespräch-Babuschka auf und enthüllte das Püppchen "Gemeinsame Arbeitsgruppe", die bis Ende Februar eine Lösung in der Diskussion um die Laufzeiten erarbeiten soll. Auch wenn Umweltminister Jürgen Trittin Richtung Atomindustrie sekundierte: "Ihr habt noch drei Wochen Zeit, mit uns zu verhandeln." - Es werden noch mehr Wochen ins Land ziehen, bis sich die Gespräche beenden lassen, und viele weitere, bis das erste Atomkraftwerk abgeschaltet ist. Die Chance, wenigstens einen Brüter noch in dieser Legislaturperiode vom Netz zu nehmen, ist verspielt. Denn das Babuschka-Prinzip ist das Prinzip des Unentschiedenen. Die Püppchen müssen am Ende wieder ineinander passen. Und so wird es weitergehen: Sollte die Arbeitsgruppe zu einem Ergebnis kommen, so ist das auch nur ein Vorschlag für die nächste Runde der Konsensgespräche. Die Bosse haben wieder die Möglichkeit, sich Studien mit neuen Erkenntnissen über die Rentabilität ihrer AKWs oder Rechtmäßigkeit des Ausstiegs in die Mappen zu legen, die den schönsten Kompromiss in Frage stellen. Gäbe es dann doch einen Konsens, wird nicht etwa ein rechtsgültiger Vertrag mit der Stromindustrie geschlossen, sondern der Bundestag muss eine Atomgesetznovelle verabschieden. Wenigstens ein bisschen parlamentarisches Theater werden dann nicht nur die Koalitionsfraktionen erzeugen, auch die Opposition. Welche Volksvertretung darf sich schon die hochpolitische Entscheidung über den Atomausstieg aus den Händen nehmen lassen? Und dann droht trotz Konsens noch immer eine Klage der Atomindustrie, sollte die Atomnovelle doch nicht ganz nach deren Gusto aussehen. Ernsthaft wird die rot-grüne Koalition im nächsten Bundestagswahlkampf nicht mit einem gelungenen Atomausstieg werben können.

Und dennoch hält der Kanzler - das ist an diesem Wochenende endgültig klar geworden - weiter an einem Konsens fest. Die Option Dissens existiert nicht. Die Energiekonzerne haben mit ihm schon lange über absolut gerichtsfeste Laufzeiten hinaus verhandeln können. Aus dem Ausstieg ist längst ein Ausplätschern geworden. Irgendwann werden auch Kompromisse kompromittierend. Das hat wohl auch Marianne Fritzen erkannt, grünes Gründungsmitglied. Die 75-jährige Patronin des Widerstands gegen Gorleben gab am Samstag ihren Austritt bekannt.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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