Völlig klar, der Mann zweifelt an meiner Zurechnungsfähigkeit. Immerhin wirke ich wohl einigermaßen geschäftsfähig. Jedenfalls werden wir uns schnell über den Preis des gebrauchten Kinderbettchens einig. Gemeinsam tragen wir die Einzelteile zum Auto. Das sei doch eine traumhaft schöne Gegend, aus der ich da käme. Und ausgerechnet hierher, in diese Stadt, wo alles den Bach runtergehe. Da unten hingegen - diese Landschaft, der See, und Arbeit gebe es auch noch genug. Ob er schon mal da gewesen sei. Ja, letztes Jahr im Sommer, für einen Monat. Dann habe er die Novembernebel nicht erlebt, bremse ich seine Euphorie, die sich bis in den Januar ziehen können. Die einem auf den Kopf fallen und aus denen die Sonne oft erst am Nachmittag als milchige
iger Tischtennisball auftaucht.Die schon längst die Gegend verwandelten, als ich »da unten« vor ein paar Wochen mit gemischten Gefühlen in das voll gepackte Auto stieg und das Radio einschaltete. Von früheren Fahrten wusste ich ziemlich genau, wo meine bevorzugten Sender zuerst von einem nervtötenden Stakkato und schließlich einem Rauschen überlagert werden würden - nur dass es dieses Mal kein Zurück gab. Zumindest nicht so bald.Sämtliche Kassetten waren in irgendeiner Umzugskiste verschwunden und so ließ ich das Radio, mit Unterbrechungen, einfach weiter laufen. Aus dem Klangbrei, der meine Reise durch die Sendegebiete begleitete, sind mir nur Partikel in Erinnerung geblieben. Das braun-weiße Hinweisschild auf die sehenswerte Schillerstadt Marbach war gerade vorbei gezogen, als die Meldung kam, dass ein prominenter Fußballspieler seinem ehemaligen Verein, und insbesondere dessen Manager, die Freundschaft aufgekündigt habe. Wie hatten wohl, sinnierte ich, Schiller und sein Männerfreund aus Weimar ihre Kabbeleien und Krisen ausgetragen? Auch per Pressemeldung, durch Bekanntgabe auf dem örtlichen Marktplatz oder ganz diskret, im kleinsten literarischen Kreis?Wenig später hörte ich bereits zum zweiten Mal den Song, der mich bis ans Ziel verfolgen sollte, weil ihn vier Fünftel aller Radiostationen ein Mal pro Stunde spielten - die meisten »exklusiv«. Die Mittagsnachrichten verkündeten, dass der havarierte Öltanker vor der nordspanischen Küste auseinandergebrochen sei. Umweltorganisationen wagten vorsichtige Prognosen über den Umfang der Katastrophe. Unwillkürlich zuckte mein Fuß vom Gaspedal zurück, was der Hintermann mit wütendem Lichthupen ahndete. Die Sozialsysteme standen laut irgendeinem Verbandssprecher kurz vor dem Kollaps. Mein Kreislauf auch. Ich setzte den Blinker und machte die längst fällige Pause. Auf dem Rastplatz mitten im unterfränkischen Niemandsland brutzelte sich ein polnischer Brummi-Fahrer auf einem kleinen Grill ein halbes Dutzend Würstchen. Nicht einmal der einsetzende Nieselregen vermochte ihm die pfeifende Stimmung zu vermiesen.Kaum saß ich im Auto, kam wieder dieser Song mit wahrer Liebe und so. Und dann: »I don´t wanna die, but I ain´t keen on living either.« Das war aber mal schön paradox für einen Top-Ten-Hit. War der Textschreiber vielleicht durch eine ähnlich trostlose Landschaft gefahren, wie sie da draußen herumlag? Die Bäume sahen aus, als wären sie mit einem Ölfilm überzogen, immer neue Wolkentürme schoben sich über abgeerntete Weinberge und leblose Dörfer. Vereinzelte Krähenschwärme wirkten da vergleichsweise heiter. Die nächsten »News« machten ein wenig Hoffnung: Der vor zwei Stunden geborstene Tanker war auf wundersame Weise zusammengewachsen und nunmehr lediglich »geknickt«.Oder war ich hier, im ehemaligen Zonenrandgebiet, etwa in ein Zeit- und Funkloch gefahren, wo all die unfrohen Botschaften mit gehöriger Verspätung oder gar nie eintrafen? Würde gleich ein Bericht über die glänzenden Wirtschaftsdaten und die feierliche Begrüßung des 500.000. Gastarbeiters am Frankfurter Hauptbahnhof folgen? Plötzlich verstand ich nämlich auch die Sprache nicht mehr, die da aus den Boxen drang. Klang so, als hätte sich ein altfränkischer Dialekt aus dem letzten Jahrhundert herübergerettet. Es war Tschechisch und ich merkte, dass es Zeit für die nächste Pause war.Auf der letzten Etappe wurde es hinter Halle (»Rockland Sachsen-Anhalt«) mit jedem Meter diesiger und dunkler. Wie zum Trotz klangen die Moderatorenstimmen, die Nachrichten und Feierabendstaus meldeten, noch etwas aufgekratzter. Kurz vor der Stadtgrenze ertönte er ein letztes Mal und mittlerweile konnte ich praktisch Wort für Wort mitsingen: »Not sure I understand this world I´ve been given.« Stimmt, ich auch nicht. Aber wenigsten war ich jetzt erst einmal in der neuen Welt angekommen. Alles Weitere würde sich finden.