A-Z Im Sommer startet der erste KI-Radiosender. Es ist nicht das erste Mal, dass das Medium vorne dabei ist: Es brachte legendäre Moderatoren wie John Peel hervor und bot Raum für ein aufmüpfiges DDR-Jugendprogramm. Unser Wochenlexikon
„Guten Morgen, liebe Antenne-Hörer“ – das kann man in vielen Bundesländern im Radio hören. Die Sender hängen aber nicht unbedingt zusammen, auch die Eigentumsverhältnisse sind verwirrend. So gehört Antenne Brandenburg zum RBB und geht auf ein gleichnamiges Programm des DDR-Rundfunks (→ DT64) zurück. Bei Antenne Münster hingegen sind mehrheitlich Lokalzeitungen die Besitzer. Unübersichtlicher wird es bei den weiteren Antenne-Sendern wie Antenne Thüringen oder Antenne Bayern. So betreibt das Unternehmen Antenne Bayern außerdem den privaten Hörfunksender Rock Antenne. Dessen Programme wiederum werden auch über das Joint Venture Antenne Deutschland gesendet, zu dessen Programm auch „RTL &
, zu dessen Programm auch „RTL – Deutschlands Hit-Radio“ gehört. Die RTL Group selbst hält Anteile an Antenne Thüringen. RTL ist involviert beim Sender Antenne Sachsen, der zeitweise sogar in „Hitradio RTL – Wir sind Sachsen“ unbenannt wurde. Der Begriff „Antenne“ ist nicht geschützt. Tobias Prüwer Bwie BBC„Auntie“ (Tante) sagen die Briten liebevoll zur BBC, vielleicht weil die altehrwürdige Sendeanstalt eigenwillige DJs unter ihrem Dach geduldet hat, wie das sonst nur eine gütige Tante mit ihren unangepassten Neffen tut. Keiner unter ihnen aber war derart eigensinnig wie John Robert Parker Ravenscroft, den alle Popwelt als Radiolegende John Peel kennt. Er war von Anfang an dabei, als im August 1967 der Popsender Radio 1 gegründet wurde. Peel spielte stets und unberechenbar alle Musikstile querbeet. Legendär waren seine Peel Sessions, die vielen Indieheroen wie Billy Bragg oder auch Peels Lieblingsband The Fall den Durchbruch verschafften. Beschwerten sich Hörer über „unhörbare“ Musik, etwa als Punk aufkam, spielte Peel die anstößigen Platten erst recht. Als er 2004 überraschend starb, ging eine Radio-Ära zu Ende. Uwe Schütte Dwie DT64Ein Jugendsender in den Wirren der Zeit: Geboren wurde er aus dem Sonderstudio von Radio DDR zum Deutschlandtreffen der Jugend im Mai 1964. Befeuert von der Hochstimmung, als in Berlin an allen Ecken Westmusik erklang, und getragen vom „Jugendkommuniqué“, mit dem das SED-Politbüro 1963 Freiräume öffnete. Ulbrichts Reformen passten indes Breschnew nicht, der 1965 in Moskau die Macht übernahm. In seinem Sinne rechnete Honecker auf dem 11. Plenum im Dezember 1965 mit der bisherigen Kultur- und Jugendpolitik ab. Weil „einseitig die Beat-Musik propagiert“ werde, kritisierte er auch DT64. Sich dennoch treu zu bleiben, was für eine Leistung! Das Programm mit internationaler Rockmusik (→ Motor FM), mitreißend moderiert unter anderem von Lutz Bertram, Marion Brasch, Knut Elstermann, war dermaßen populär, dass es massive Proteste gab, als die Existenz des Senders 1990 in Frage stand. Vergeblich: Am 1. Mai 1993 war es mit DT64 vorbei. MDR Sputnik war dann nicht mehr dasselbe. Irmtraud Gutschke Fwie France InterEs hilft, eine neue Sprache zu lernen, wenn man sich ihr gnadenlos aussetzt. Also stürzte ich mich als junger Student mit ausbaufähigen Französischkenntnissen ins Angebot von Radio France. Nachdem ich den ersten Schreck über die irre Redegeschwindigkeit überwunden hatte, blieb ich bald beim großen „radio généraliste“ hängen, bei France Inter. Anders als die Sender „Info“, „Musique“ und „Culture“ bietet France Inter eine Mischung aus Politik, Kultur und Unterhaltung (→ Antenne) und ist damit einmalig, auch im Vergleich zum deutschen Radio: lustiger als der Deutschlandfunk, klüger als jedes Privatradio – niemals unpolitisch. France Inter überholte 2019 seinen privaten Konkurrenten RTL und wurde zum meistgehörten Radio Frankreichs – auch wenn manche monieren, der Raum für soziale Kämpfe im Programm sei geschrumpft. Leander F. BaduraHwie HundertZwei Radiosender mit einer 100 im Namen teilten sich im Westberlin der 1980er, als die UKW-Frequenz noch fast leer war, einen Sendeplatz. Bis 19 Uhr lief das CDU-nahe Kalter-Krieg-Radio Hundert,6, das für seine politische Klientel standesgemäß das Programm mit der Deutschlandhymne beendete. Ab 19 Uhr war das anarchische Radio 100 am Zug, das die Hymne täglich mit einer Klospülung konterte. Dann legte der linke Sender los, mit Punk-Musik und politischen Szene-News. Der Wahre Heino, ehemals Vorprogramm der Toten Hosen, moderierte freitagnachts die Sendung Heinos Bunter Melodienstrauß und unterhielt die Hörer mit Telefonstreichen in Bayern. Um 23 Uhr war in diesen Anfangsjahren Schluss, und es hieß, nun komme bis 19 Uhr das Pausenzeichen: der CDU-Funk Hundert,6 eben. In späteren Jahren übertrug Radio 100, inzwischen in Vollzeit auf Sendung, die Räumung der Mainzer Straße (→ Z) live. Bereits um zwölf meldete der Sender da Straßenkämpfe in der Mainzer. Florian SchmidMwie Motor FMIch war mal Talkshow-Redakteurin, für ein paar Monate. Netzeitung und Motor FM betrieben gemeinsam die Welle auf der Frequenz von Hundert,6 (→ Hundert), das 2005 insolvent gegangen war. Das Alternative-Rock-Radio Motor FM und die erste deutsche Onlinezeitung, sie machten gemeinsame Sache, technisch und bei den Inhalten. Avantgarde war das. Die Hörer sollten jedoch auch was Ausgeruhtes, Langsames bekommen: Sonntags nach 10, die Gesprächssendung mit Michael Maier, Chefredakteur der Netzeitung. „Mich interessiert der Mensch“, mailte er mir, spannende Leute sollte ich für ihn suchen, auch Promis, je ein Gast, mit dem er über Biografisches und Themen plauderte. Auch die Fragen sollte ich mir ausdenken. Die Sendung war live, anschließend sollte ich sie schneiden und als „Podcast“ auf die Seite stellen. Ich war Pionierin. Maxi Leinkauf Nwie NHKDer App-Store glaubt, wer die App des öffentlichen japanischen Senders NHK sucht, will lediglich die Sprache lernen, und empfiehlt Sprach-Apps anstelle der gesuchten Radio-App. Dabei wollte ich wirklich nur japanisches Radio hören. Beiträge über Politik, Gesellschaft und Kultur, die ohne einen Filter durch die eurozentristische Faszinationsbrille auskommen. Denn mit der gibt es nur Roboter, Sex, Kuriositäten oder mit viel Glück zumindest international bekannte Regisseure (Gendern nicht nötig). Auf der eigenen Webseite entschuldigt sich NHK: „Sumimasen, auf Japanisch hören darf hier nur, wer in Japan ist“, und schickt mich auf die englische Seite. Dort gibt es japanisches Radio auf Englisch (→ BBC), nicht das, was ich wollte. Letzte Rettung: die Podcast-App von Apple. Hier gibt es einen eigenen Nachrichten-Podcast von NHK. Einmal die Stunde spuckt dieser die aktuellen Nachrichtensendungen aus, thematisch sortiert: zehn Minuten Innenpolitik, eine Stunde später fünf Minuten Außenpolitik. Zu welcher Uhrzeit welches Thema kommt, hab ich noch nicht rausbekommen. Alina Saha Rwie Radio DreyecklandIrgendwann in der Zeit der Bauplatzbesetzungen gegen das geplante Kernkraftwerk in Wyhl 1975 wurde die Idee geboren: Man müsste ein Radio gründen, das dem gesteuerten offiziellen Nachrichtenstrom Paroli bieten kann. In Frankreich (→ France Inter) gab es damals schon freie Lizenzen, so entstand zunächst Radio Verte in Fessenheim, aus dem 1977 Radio Dreyeckland hervorging. Es war das erste freie Radio, ein Untergrundsender und Vorbild für die freie Radioszene. Der Moderator Georg Restle (Monitor) begann dort seine Karriere. Dass sich das Projekt treu geblieben ist und politisch noch immer „rheinaufwärts“ schwimmt, beweisen die Hausdurchsuchungen 2023 bei zwei Mitarbeitern wegen eines Berichts über Indymedia. Die Anklage gegen sie wurde mittlerweile mit Hinweis auf die Pressefreiheit vom Landgericht zurückgewiesen. Ulrike Baureithel Swie SoldatensenderFünf Paukenschläge und eine Ansage. Ein Bottleneck sägt über E-Gitarren-Saiten und Sweet Hitch-Hiker dröhnt aus den Boxen über die Liegewiese der Badeanstalt. „School’s out“ in der DDR-Provinz. Soldatensender 935 und Freiheitssender 904 sind die schärfsten DDR-Waffen im Propagandakrieg dieser Jahre. Frische Popmusik und saloppe Moderation (→ DT64), eine Radioästhetik, die den offiziellen DDR-Sendern noch abgeht. Man produziert in Berlin-Grünau und sendet aus Burg nahe der Westgrenze. Bei 904, installiert nach dem KPD-Verbot 1956, macht man sich einen Jux daraus, „verschlüsselte“ Fake News wie „Achtung, Kaffeekränzchen, der Kuchen ist angebrannt“ zu senden. Der DSS weiß über geplante Nachtalarme in Bundeswehrkasernen Bescheid und warnt die Rekruten. Das bringt ihm 1.000 Fan-Briefe pro Tag aus West und Ost. Abgespielt werden nur Bootlegs. Die Informationen stammen von Westmedien und persönlichen Kontakten. Datensaugen ohne GPT. Nach dem Grundlagenvertrag von 1972 über die Beziehungen zwischen BRD und DDR ist damit Schluss. Michael SuckowZwie ZIrgendwas mit Medien wollten damals alle machen, die sich Anfang der 1990er zum Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft in Erlangen trafen. Etliche bemühten sich um Praktika bei Tageszeitungen, die anderen waren schlauer und liebäugelten gleich mit Radio oder Fernsehen. Die Allercoolsten aber machten einfach gleich selbst Radio, damals bei Radio Z, dem unabhängigen Sender mit Sitz in Nürnberg. Seit 1987 kümmern sich die Zler um ein bunt gemischtes Programm (→ BBC), recherchieren klug und kritisch. Unlängst wurde das Feature Unser Haus, das die Hausbesetzungsbewegung 1980/81 und speziell die Ereignisse in Nürnberg behandelt, aus der historischen Sendereihe Zwischenfälle mit dem Alternativen Medienpreis ausgezeichnet. Der einstündige Beitrag erhielt den Preis in der Kategorie Geschichte. Beate Tröger