Nicht zuletzt die enge Verquickung mit dem Militärischen hat den Aufstieg der Raumfahrt zu einem wichtigen politischen und wirtschaftlichen Faktor begründet. Mit der Erosion des Ost-West-Konflikts gerät diese Legitimation unter Druck. Heute mehren sich die Zweifel, ob das Projekt „Raumfahrt“ noch einen Sinn hat. Die internationale Raumfahrt ist in eine Krise geraten. Die Grundsatzentscheidung für die wieder verwendbaren Raumfähren erwies sich seit der Challenger-Katastrophe von 1986 für die USA als verhängnisvoll. Die Pannen mit dem Spiegelteleskop HUBBLE belegten aufs Neue, dass Zeitdruck und hochkomplexe Technikentwicklung nicht zusammenpassen. Der Beinahe-Unfall auf der sowjetischen Raumstation im Sommer dieses Jahres machte noch einmal dar
darauf aufmerksam, dass das Weltall eine sehr gefährliche und feindliche Umgebung für den Menschen ist.Zweifel am zivilen NutzenDer viel beschworene zivile Nutzen ist in den letzten Jahren durch wissenschaftliche Studien arg in Zweifel gezogen worden. Auf dem Internationalen Astronautischen Kongress, der Anfang Oktober in Dresden stattfand, haben Wissenschaftler von der Fachhochschule Bremen und dem Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe neue Untersuchungen zum so genannten Spin-Off präsentiert: Von 2350 europäischen und amerikanischen Weltraumpatenten zwischen 1975 und 1987 fanden rund 200 Patente eine Anwendung in anderen Technikbereichen. Die Vorstellungen von industriellen Produktionsstätten im Weltraum sind verblasst; die Industrie bleibt angesichts der horrenden Kosten für solche Unternehmungen äußerst zurückhaltend. lm selben Maße, in dem die phantastischen Visionen von der Erforschung, Eroberung und Besiedlung fremder Planeten sich abkühlen, wächst das Bewusstsein über die riesigen Probleme auf der Erde selbst. Um die drohenden Katastrophen auf dem Raumschiff Erde abzuwehren, sind gewaltige Anstrengungen und Ressourcenumverteilungen von Nöten. Können wir uns also den Luxus der prestigeträchtigen Raumfahrt noch leisten?Die Frage stellt sich umso mehr, als Bonn und die anderen westeuropäischen Staaten erst vor drei Jahren den Einstieg in die bemannte Raumfahrt beschlossen haben. Es geht vor allem um die Beteiligung an der US-amerikanischen Raumstation COLUMBUS, um eine neue Trägerrakete Ariane V und um den Raumgleiter HERMES. Seitdem fallen steigende Aufwendungen für die Programme der European Space Agncy (ESA) an. Die Bundesregierung soll zwischen 1990 und 2000 gemäß dem ESA-Langzeitplan rund 16 Milliarden DM aufbringen. Experten des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMET) haben Ende vergangenen Jahres ausgerechnet, dass dieser Betrag voraussichtlich auf 22. Mrd. steigen wird. Hinzu kämen die Ausgaben von ca. 10 Mrd. DM für das nationale Weltraumprogramm. Wie diese Mittel aufgebracht werden sollen, weiß niemand. Die Ministerialbürokraten schlagen daher Abstriche am ESA-Plan vor. Etwa 6 Mrd. DM sollen bis zur Jahrtausendwende eingespart werden. Immer noch ergibt sich gemessen an der mittelfristigen Finanzplanung in dem reduzierten Modell eine Unterdeckung von 3,9 Mrd. die Kosten der deutschen Einheit nicht mitgerechnet.Die Forschungs- und Informationsstelle beim Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (FIB) hat in einer Studie die Bundestagsfraktion der GRÜNEN die wirklichen Kosten der deutschen Raumfahrtambitionen genauer unter die Lupe genommen. Speziell im Rüstungs- und Raumfahrtsektor müssen ja zu den angesetzten Ausgaben kräftige Kostensteigerungen addiert werden. Dies kann in Form von Eskalationsszenarien geschehen; die Summe wird unter Zugrundelegung bestimmter Steigerungsraten (2,5, 5 oder 7,5 Prozent usw.) neu bestimmt. Bei den Großprojekten der bemannten Raumfahrt sind Kostensteigerungen von über 10% jährlich die Regel. Zusammengerechnet beliefen sich die Ausgaben allein für die drei Großprojekte auf 26,7 Mrd. gegenüber den vom BMFT im reduzierten Modell veranschlagten 11 Mrd. DM. Um das Ausmaß dieses bodenlosen Fasses zu verdeutlichen, muss man sich klarmachen, dass der Forschungsminister heute bereits über 20% seines Etats in die Raumfahrt steckt. 1991 gehen über 70% dessen, was er an zusätzlichen Mitteln erhält, in diesen Posten. Das bedeutet. dass bald ein Drittel und mehr seines Etats allein von der Raumfahrt aufgefressen wird.Im nächsten Sommer will die ESA ihr Langzeitprogramm einer Überprüfung unterziehen. Man darf gespannt sein, ob es zu dringend fälligen Kurskorrekturen kommt. Bislang ist wenigHoffnung. Die kritischen Stimmen hinter vorgehaltener Hand nehmen zu. Zugleich wird auf die Zwänge vertraglich vereinbarter internationaler Kooperation verwiesen. Die Krise hat nun auch das Krisenmanagement auf den Plan gerufen. Nach neuen Legitimationsmustern wird gesucht.Auf der Suche nach LegitimationDie vielfältiger gewordenen Bedrohungen (Dritte Welt!) machten präzise Aufklärungskapazititen aus dem All unausweichlich. Das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) fordert eigenständige westeuropäische Aufklärungs-‚ Beobachtungs- und Nachrichtensatelliten.Um die etwas out-of-time anmutenden Vorschläge der interessierten Öffentlichkeit schmackhaft zu machen, wird auf die Rolle der Erderkundung per Satellit für die irdischen Umweltprobleme verwiesen. In die gleiche Kerbe hauen Verantwortliche der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR).Wozu braucht man aber die bemannte Raumfahrt? In den erwähnten Beispielen geht es um die Nutzung von Satelliten. Der Mensch ist dort nur ein Störfaktor, ein kostspieliger zudem - denn die Sicherheit dieser Systeme muss um ein Vielfaches erhöht werden. Und was die Ökologie anbetrifft, ist der Beitrag der Astronautik zur Problemdiagnose eher bescheiden. Das meiste ist der direkten Anschauung auf der Erde wesentlich besser zugänglich; es bleibt die Überwachung der atmosphärischen Ozonschicht. Die Raumfahrt selber ist aber ein Ökologisches Problem. Raumfahrt und Rüstung haben hoch komplexe Risiko-Technologien hervorgebracht und sich um die umweltschädigenden Folgekosten nicht geschert. 6754 Objekte, die größer als drei Zentimeter sind, umkreisen inzwischen die Erde. Erst in jüngster Zeit hat die hochfahrende Gemeinschaft begonnen, erste Studien über das Ausmaß der Abgasemissionen vorzunehmen. Auch bei dem Dresdener Astronautik-Kongress wurde dieses Thema zwischen den Zeilen gestreift. Aber doppelbödig ist die Zunft der Raumfahrt-Manager mehr denn je: Intern scheinen die Zweifel am Sinn der ganzen Unternehmung zu wachsen, nach außen muss die Sache umso fester vertreten werden. Da geht es schließlich um Industrieaufträge, um langfristige Forschungsprojekte und um prestigeträchtige Politik.Die FIB hat in zwei Alternativszenarien Auswege vorgeschlagen. lm ersten Fall wird der Ausstieg aus der bemannten Raumfahrt aufgezeigt. Zugleich solle die Raumfahrt stärker zu einem diagnostischen Instrument der Umweltforschung gemacht werden. Konkret würde dies bedeuten: die Beteiligung an den Projekten COLUMBUS und HERMES würde aufgegeben; für die Ariane V-Rakete sollten vor allem umweltverträglichere Triebwerke entwickelt werden; während die Mikrogravitationsforschung stark reduziert würde, wird der Ausbau von Kapazitäten im Bereich der Ozon-, Atmosphären- und Klimaforschung befürwortet.Zwei Alternativ-SzenarienIn diesem Sektor der Erdbeobachtung müsse aber einer militärischen Instrumentalisierung Einhalt gebeten werden. Das Wissenschafts-Basisprogramm würde im Wesentlichen fortgeführt. Damit müssten immerhin noch ca. 16 Mrd. DM bis zum Jahre 2000 aufgebracht werden. Immerhin eine Einsparung von 50% gegenüber den Projektionen des BMFT aus dem Vorjahr. In einem zweiten Szenario wird eine radikalere Beschneidung des Weltraumetats vorgeschlagen. Im Rahmen einer generellen Neuorientierung der bundesdeutschen Forschungs- und Technologiepolitik, die konsequent auf die Ökologischen Erfordernisse auszurichten wäre, hätte die Erforschung und Nutzbarmachung des Weltraums nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Kosten für ein kräftig abgespecktes Programm werden mit 9,8 Mrd. DM bis zum Jahre 2000 veranschlagt. Eine solche grundlegendere Umorientierung setzt allerdings eine breite öffentliche Debatte voraus.Placeholder infobox-1