Ist Punk eigentlich politisch? Blöde Frage, oder? Könnte glatt von Günther Jauch stammen, in dessen Show vor ziemlich genau einem Jahr der Gitarrist der legendären Band Slime saß und 16.000 Euro absahnte. Slimes gegrölter, in der linken Szene heftig umstrittener Schrabbelpunk fungierte in den Achtzigern als Soundtrack für diverse Straßenschlachten, wenn oft auch nur in der Fantasie des einen oder anderen Hardcore-Punks. Der subkulturell ambitionierte Autonome hörte eh lieber Wipers, Gun Club oder Butthole Surfers. Ein schönes Kompendium der politischen Punkmusik, ihrer Geschichte, Abgründe und historischen Relevanz hat jetzt Gerrit Hoekman mit Pogo, Punk und Politik vorgelegt.
Das Büchlein aus der Reihe „Linker Alltag“ im Unrast-Verlag bietet einen Überblick von amerikanischem Proto-Punk über englische Working-Class-Bands, linksradikalem hiesigem Punk und dem Riot-Grrrls-Movement bis hin zu jüngsten Entwicklungen in der arabischen Welt. Mazhott aus Damaskus etwa singen über Töchter, die keine Lust haben, mit älteren Männern verheiratet zu werden oder über reiche Kinder, denen Papa den Weg ebnet. Auch in Kairo und Beirut gibt es jungen arabischen Punk, der von staatlichen und religiösen Autoritäten nicht selten mit Heavy Metal in einen Topf geworfen als satanistische Bedrohung verfolgt wird.
Einen Bezug zu aktuellen Revolten bieten aber auch die Sex Pistols. „No future in Englands dreaming?“, titelte die englische Presse nach den Riots im August 2011. Dabei sind die als Sicherheitsnadeln tragende Boygroup verschrienen Sex Pistols mit ihrer Plattenindustrieabzocke nur bedingt politisch korrekt. Dennoch verkörpern sie bilderbuchartig das nihilistische Punk-Lebensgefühl. Clash, ebenfalls gescholten, weil sie bei einer Major Company ihren Vertrag unterschrieben, sind politisch etwas substanzieller, aber im Grunde nur eine punkige Popband. Politisch korrekter kamen da schon Crass daher, die in einer Kommune am Londoner Stadtrand lebten und ganz im DIY-Stil ihr eigenes Label gründeten und kräftig gegen die Royals und das britische Empire traten.
Bullen und Bauanleitungen
Hierzulande ging es da schon proletarischer zu. Die eingangs erwähnte Band Slime wird der meiste Platz zugestanden. Das ist aber auch kein Wunder, schließlich gab es nach der Revival-Tour Slimes letzten Winter nach einem Konzert in Berlin-Kreuzberg ganz programmgemäß die dazugehörige Straßenschlacht. Und kurze Zeit später setzte die Bundesprüfstelle das Debütalbum von Slime aus dem Jahr 1981 erstmals auf den Index. Vor allem das Lied „Bullenschweine“ inklusive Anleitung zum Bauen von Molotowcocktails hatte es den Demokratieschützern angetan.
Fast schon parteipolitisch gerierte sich die baskische Band Kortatu, die von 1983 bis 1988 existierte. Die scheute sich auch nicht, unter Transparenten und Parolen der ETA-nahen Partei Heri Batasuna zu spielen. Aber auch in Lateinamerika spielt Punk eine große Rolle. Wenn Gerrit Hoekman auch auf Brasilien, Kuba und auf die wirklich hörenswerten Los Saicos aus Peru eingeht, die schon Mitte der Sechziger, noch vor den Ramones, den Proto-Punk quasi erfanden, bleibt Mexiko leider außen vor, obwohl dort punktechnisch die Post abgeht. Auf 70 Seiten lässt sich das Punkuniversum aber auch nur grob anreißen. Und genau das macht Gerrit Hoekman im Stil eines flott gespielten Punk-Songs.
Florian Schmid schrieb im Freitag zuletzt über Kapitalismuskritik und Krisenanalyse
Pogo, Punk und PolitikGerrit Hoekman Unrast-Verlag 2011, 78 S., 7,80
Kommentare 3
In der aktuellen Ausgabe des FREITAG rezensiert Florian Schmidt das Buch von Gerritt Hoekman "Pogo, Punk und Politik", erschienen im Unrast Verlag 2011.
Der erste Satz der Rezension lautet:" Ist Punk eigentlich politisch?". Er geht auf die Sex Pistols und die deutsche Band Slime ein, deren Debütalbum mit dem Song "Bullenschweine" 1981 auf dem Index landete. Punk, so lautet das Fazit dieser lesenswerten Rezension, gab es nicht nur in Europa, sondern bis heute auch in der arabischen Welt, wie die Band Mazhott aus Damaskus, in Lateinamerika wie Los Saicos aus Peru, quasi weltweit in unterschiedlichen Variationen.
Ja, Punk ist politisch, das zeigt schon seine Entstehung. In London Ende der 70-er, Anfang der 80-er entstanden die ersten Punkbands, zeitgleich in den USA, wie die Ramones, die sich schon 1974 gründeten. Nun werden die Sex Pistols immer als das Beispiel genannt, dabei sind sie nur ein Beispiel dafür, wie gut sich der Punk von den großen Plattenfirmen, immer auf der Suche nach neuen Trends, verkaufen ließ. Authentischer blieben da Bands wie 999 oder Shame 69, beide auch aus London, die nie bei einem Major Label unterschrieben haben und sich selber und ihren Ursprüngen immer treu blieben.
Slime oder die Band Abwärts aus Hamburg sind Beispiele für authentischen deutschen Punk . Bei deutschem Punk muss zwischen dem Punk in der Bundesrepublik und dem Punk bis 1990 in der damaligen DDR unterschieden werden. Gerade letzterer ist ein deutliches Beispiel für politische Artikulation in einer Zeit beginnender Agonie.
Der bundesdeutsche Punk ist untrennbar mit zwei Gruppen verbunden, die ihn öffentlichkeitswirksam präsentierten, den Düsseldorfer Punkrockern der Toten Hosen und der Berliner Band "Die Ärzte". Gerade die Düsseldorfer um ihren Frontmann Campino zelebrierten in ihren Anfangsjahren Punk mit allem, was für sie damals dazugehörte, Krawall, Schlägereien, Polizeieinsätze, Drogen und Alkohol. Sie waren aber auch immer politisch aktiv, spielten in Wackersdorf und setzten ihre beginnende Popularität für den Kampf gegen rechte Gewalt ein. Ihr Song "Sascha, ein aufrechter Deutscher" ist ein eindringliches Plädoyer gegen Nazis.Ihr Engagement gegen Ungerechtigkeit und für eine bessere Welt ist bis heute geblieben. "Schrei nach Liebe" von den Ärzten ist ebenfalls ein Titel, der mit den Mitteln der Punkmusik auf ein gesellschaftliches Problem aufmerksam macht. Bis heute sind nicht nur diese beiden Gruppen, sondern auch die vielen nur lokal/regional bekannten Punkbands ein Beispiel für das politische Bewusstsein vieler Punkmusiker.
Besonders deutlich wird das ab 1986 in der DDR. Hier entstanden abseits des staatlich geförderten Musikbetriebes, für den stellvertretend die Bands Karat, Silly oder City stehen, Bands, die die Realität des bereits in Agonie fallenden sogenannten real existierenden Sozialismus schonungslos beim Namen nannten. Sie spielten Anfangs unter dem Schutz der Kirchen in Gotteshäusern und waren verboten. Sie traten auf Privatkonzerten auf, wurden nicht im Radio gespielt und mussten immer mit Schikanen der Staatsmacht rechnen, bis hin zur Verhaftung.
Und doch hatten sie ihr Publikum, weil sie authentisch waren, weil sie die Lebenswirklichkeit in harte Musik und Texte packten, weil sie von dem sangen, was sie selber jeden Tag erlebten. Politischer geht es nicht.
Feeling B ist so ein Beispiel, eine Band, in der mit Flake Lorenz und Paul Landers zwei Musiker auf der Bühne standen, die heute bei den Megastars RAMMSTEIN spielen. Feeling B waren Stars der aufkommenden Punkszene der DDR, auch dank ihres Mitgliedes Aljoscha Rompe, der einen Schweizer Pass besass, der ihm einen gewissen Schutz vor der Staatsmacht bot.
Die Skeptiker um Eugen Balanskat waren eine weitere Band, die Punkrock aus dem DDR-Nischendasein führte. Sie waren auch Begleitband des Liedermachers Gerhard Gundermann, der zu Beginn seiner Karriere rotzig-freche Texte sang, in denen er ungeschönt das Leben, sein Leben, in der End-DDR beschrieb.
Als dritte Band, es gab natürlich noch viel mehr, sei SANDOW erwähnt, eine Cottbusser Gruppe, die mit "BORN IN THE GDR" eine der bekanntesten Punkrockhymnen schrieb.
All diese Bands artikulierten das Lebensgefühl einer Jugend, die ausbrechen wollte und nicht konnte. Sie beschrieben eine Lebenssituation, die sie selber täglich erlebten, ein Eingesperrtsein in einem System, das ihnen keine Freiheit gab, sich selber zu verwirklichen.
Und damit stehen sie in einer Tradition zu den Punkbands der 70-er und 80-er Jahre, die eben dieses Lebensgefühl ja auch in einer erfrischend anderen Musik, laut, schrill, mit harten Riffs, provokanten Texten und Auftritten artikulierte.
Punk ist im Ursprung deshalb politisch, weil er das Lebensgefühl einer jungen Generation artikuliert, die in den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen keinen Platz findet, weil diese Gesellschaft ihr keinen adäquaten Platz geben möchte. Punk ist Ausdruck einer Revolte mit musikalischen Mitteln von jungen Menschen, die so ihre Wünsche, Sehnsüchte und Vorstellungen von einer Welt, wie sie sie sich wünschen, auch herausbrüllen, die sich auflehnen gegen erstarrte Vorstellungen einer Generation, von der sie sich nicht verstanden fühlen.
Und, Punk hat natürlich auch die Pop- und Rockmusik beeinflusst, ihr neue Impulse gegeben und sie weiterentwickelt.
Punk wird es immer geben, und mit ihm auch immer politische Botschaften.Die Geschichte des Punk nicht nur als Musikrichtung, sondern auch als eine Lebenseinstellung mit entsprechendem Outfit hat gezeigt, dass es Punkern immer auch um Veränderung bestehender Verhältnisse ging, dass sie sich ihren Platz nach ihren Vorstellungen im Leben erkämpfen wollten. Die Musiker brachten diese Lebenseinstellung auf die Bühne, die Punker lebten es. Um Missverständnissen vorzubeugen, damit meine ich nicht die Punker auf der Strasse, die betteln, das ist wieder ein anderes Thema, sondern diejenigen, die nicht alles hinnehmen, die hinterfragen, die ihr eigenes Leben in die Hand nehmen und gleichzeitig für andere da sind, die helfen ohne auf den eigenen Vorteil zu schielen. Dabei ist das Alter der Menschen völlig egal, es gibt auch über 50-jährige, die diese Musik immer noch hören, sich nie haben verbiegen lassen und einfach so leben, wie sie es wollen.
Und dieser Punk wird immer existieren, als Menschen, die ihn leben und als Musik, die diese Einstellung auf die Bühne bringt, laut, mit harten Riffs, provokanten Texten, aber manchmal auch sehr einfühlsam wie die Toten Hosen mit "Auflösen", einem wunderbar melancholischen und nachdenklichen Song.
Und wieder fehlen die Dead Kennedys sowie Flux of Pink Indians! Sex Pistols haben nie politischen Punk gemacht - die wollten Spass haben und ein bischen Geld verdienen. Gun Club war gähnend langweilig. Aber wahrscheinlich lebte der Autor damals noch gar nicht.
Natürlich liegt es in der Natur der Sache das man bei solch einem verkürzten Abriß dutzende Bands nicht nennt, die man hätte auch nennen können.
Ohne das Buch zu kennen, und auch nur mit mäßigem Interesse es zu lesen finde ich, hier wird eine eher schlechte als rechte Kritik abgeliefert.
Das fast alle Bands im Vergleich zu Crass "weniger politisch" erscheinen, dürfte in der Natur der Sache liegen und im Grunde nicht weiter erwähnt werden müssen.
"Der subkulturell ambitionierte Autonome hörte eh lieber Wipers, Gunclub ( Postpunk Band die im Endeffekt das 60s Revival vorweg genommen hat) oder Butthole Surfers (Crossover Avantgarde Band. alle 3 im Übrigen Klasse Bands) als Slime." Da werden Äpfen mit Birnen verglichen - Ein Vergleich der ebenfalls gut von Günther Jauch stammen könnte.
Die Eigentliche Frage ist meiner Meinung auch nicht, ob Punk politisch war (ist), sondern ob die Ablehnung des Etablierten durch den Punk politisch war oder nicht.