ISRAEL/PALÄSTINA Die Friedensforscherin Margret Johannsen über das amerikanische Interesse an einem palästinensischen Staat sowie über den Zionisten und Realisten Ariel Sharon
US-Vermittler Anthony Zinni hat in Palästina wieder einmal das Schlachtfeld besichtigt und mit den Konfliktparteien einen Waffenstillstand verhandelt. Diesmal allerdings wollte er nicht ohne diplomatisches Vorspiel reisen, denn die zuvor verabschiedete Resolution 1397 des Sicherheitsrates hatte bei allen Beteiligten allenthalben Euphorie oder wenigstens Genugtuung ausgelöst, da in ihr erstmals die "Vision für eine Region, in der zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite in sicheren Grenzen leben", formuliert wird. Allerdings sagt der Weltsicherheitsrat nicht mehr als: Beide Seiten kämpfen auf gleicher Ebene um dasselbe Land.
FREITAG: Der Philosoph Eric Hobsbawm hat gerade in einem Interview erklärt, die amerikanische Politik werfe brennende Streichh
rennende Streichhölzer auf die gesamte Region zwischen dem Nil und der chinesischen Grenze. Teilen Sie diese Auffassung? MARGRET JOHANNSEN: Nein, bezogen auf den Nahen Osten würde ich eine differenziertere Aussage treffen, denn dort - sprich: im Konflikt zwischen Israel und Palästina - bemühen sich die Vereinigten Staaten ja zur Zeit, einen Flächenbrand zu verhindern. Gerade ist wieder einmal ihr Sondergesandter Zinni unterwegs. Insofern würde ich sagen, da trifft das Urteil von Hobsbawm nicht zu. Allerdings muss man ergänzen, dass Zinnis Mission nicht uneigennützig erfolgt. Sie dient eben auch dazu, ein Terrain zu bereiten, auf dem möglicherweise ein Waffengang gegen den Irak weniger riskant ist. Da ist klar festzuhalten, die USA folgen eigenen Interessen, aber die Regierung Bush ist ja nun auch kein Gesangsverein. Unmittelbar nach dem 11. September schien es schon einmal den politischen Willen der USA zu geben - besonders artikuliert durch Außenminister Powell -, auf eine Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern zu drängen. Warum ist man davon wieder abgerückt und hat Sharon freie Hand gelassen? In der Tat ist es so gewesen, dass nach dem 11. September Ariel Sharon glaubte, freie Hand in seinem Feldzug gegen die Palästinenser zu haben, den er zum Feldzug gegen den Terrorismus verklärte. Bush hat ihn aber schon damals zurückgepfiffen und betont, eine zeitweilige Wiederbesetzung der Autonomie-Gebiete läge nicht im amerikanischen Interesse. Andererseits gab es zu wenig amerikanischen Druck, damit Israel beispielsweise die Vorbedingung fallen ließ - sieben Tage Waffenruhe oder es wird gar nicht erst verhandelt. Dennoch war Sharon nie frei in seinen Handlungen. Er konnte die Armee nie ihre volle Schlagkraft ausspielen lassen. Ihm waren immer die Hände gebunden, sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch.In der UN-Resolution 1397 wird nun die Zwei-Staaten-Vision vertreten - dies aber in Verbindung mit den Resolutionen 242 und 338 oder mit dem Abdullah-Plan oder den Vorschlägen der Mitchell-Kommission, die immerhin einen Stopp des jüdischen Siedlungsbaus fordert. Das sind doch Hürden, über die keine israelische Regierung springt, schon gar nicht Sharon. Sicher kann man da von Hürden reden. Doch ich begrüße es sehr, dass in diesem Dokument das steht, was letztlich Bestandteil eines israelisch-palästinensischen Friedens sein muss. Es geht nicht, ohne dass Israel die besetzten Gebiete verlässt. Es geht nicht ohne die Formel "Land für Frieden" - im Übrigen alles Forderungen der palästinensischen Seite. Nur hat eben eine israelische Regierung massive Probleme, solche Forderungen zu erfüllen. Gleichwohl müssen sie auf den Tisch, auch wenn dann vielleicht Sharons Koalition wackelt. Sharon ist nach wie vor ein Politiker, der zionistischer Landnahme anhängt. Andererseits hat er gerade seine rechtsextremen Nationalisten aus der Koalition verloren und zugleich das Bündnis mit der Arbeitspartei festigen können.Wodurch? Dadurch, dass die radikalen Minister der Moledet-Partei, die für die Vertreibung der Araber aus den besetzten Gebieten eintreten, die Regierung verlassen haben. Das hat dazu geführt, dass in der Arbeitspartei Stimmen, die sagen, wir können nicht in der Regierung bleiben, leiser geworden sind.Aber die Koalition wackelt munter weiter ... Ja, weil völlig unklar ist, ob - sollte Sharon wirklich über die Evakuierung von Siedlungen verhandeln - die Likud-Partei ihm dann noch die Stange hält. Im Hintergrund lauert Benjamin Netanyahu, der wieder in den Ring will. Sharon ist in einer Zwickmühle, aber er ist auch Realist. Er weiß, dass es einen palästinensischen Staat geben wird. Er hat das mehrfach gesagt...Aber das geht bei ihm bestenfalls bis zur Erlaubnis palästinensischer Homelands - viel weniger als sein Vorgänger Ehud Barak zugestehen wollte. Völlig richtig. Es geht bei ihm in der Tat um so etwas wie einzelne Autonomiegebiete - vielleicht sogar umgeben von Pufferzonen und Korridoren, die von israelischem Militär kontrolliert werden. Das wäre in der Tat eine "Interimslösung", die auf den bewaffneten Widerstand der Palästinenser stoßen dürfte. Eine Lösung, die eigentlich das Wort gar nicht verdient. Wenn Verhandlungen an dieser Hürde scheitern, kann es in Israel sehr schnell Neuwahlen geben.Wenn Sharon nie frei war, wie Sie gesagt haben, worin bestand das Druckpotential der Amerikaner? Die USA haben eine Existenzgarantie für Israel abgegeben, und dazu werden sie auch immer stehen. Aber unterhalb dieser Ebene gibt es natürlich Möglichkeiten. Da Israel derzeit in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte steckt, könnten sie sich weigern, den jetzigen Krieg weiterhin ökonomisch abzufedern. Sie tun das bereits - diesbezügliche Forderungen Israels werden nicht erfüllt. In der Vergangenheit sind Kreditgarantien zurückgehalten worden. Dieser Handlungsspielraum ist in letzter Zeit sicher nicht ausgeschöpft worden, aber er besteht selbstverständlich ...... und tangiert ein übergeordnetes Interesse der USA, die Lage in Palästina zu stabilisieren, bevor man möglicherweise zu Militärschlägen gegen Bagdad ausholt. Der Irak ist zweifellos ein Faktor. Hinzu kommt aber auch, die USA können nicht einfach zusehen, wie eine israelische Militärmaschinerie die Palästinenser überrollt - sie können nicht ignorieren, was dann auf den Straßen der arabischen Hauptstädte passiert. Die arabischen Regimes sind ja alles andere als stabil.Gibt es ein Junktim zwischen einer möglichen Neutralität dieser Regimes im Falle eines US-Angriffs auf den Irak und einer möglichen Option der Amerikaner, mehr für einen Palästinenser- Staat zu tun als bisher? Ich könnte mir vorstellen, dass eine neutrale Haltung der arabischen Staaten sozusagen durch mehr Druck auf Israel erkauft wird. Schwieriger ist der Fall Saudi-Arabien, wo schließlich ein Großteil der amerikanischen Streitkräfte stationiert ist. Es wäre allerdings denkbar, dass man sich auf Kuwait als Militärbasis beschränkt. Aber das sind Spekulationen. Ich glaube, die Mission von Zinni zielt darauf, den Konflikt Israel/Palästina zu entschärfen, in der Hoffnung, die arabische Kritik an einem Feldzug gegen den Irak so leise wie möglich zu halten. Das Gespräch führte Lutz Herden.Margret Johannsen ...... arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität (IFSH), Veröffentlichungen u.a.: Rüstung und Rüstungskontrolle im Nahen Osten, in: Uta Klein/Dietrich Thränhardt (Hg.); Gewaltspirale ohne Ende? Konfliktstrukturen und Friedenschancen im Nahen Osten, Schwalbach/Ts: Wochenschau Verlag, 2002; Jerusalem: Zu heilig für den Frieden?, in: Reinhard Mutz/Bruno Schoch/Ulrich Ratsch (Hrsg.), Friedensgutachten 2001, Münster: Lit Verlag, 2001; Wege aus dem Labyrinth? Friedenssuche in Nahost. Stationen, Akteure, Probleme des nahöstlichen Friedensprozesses, Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft, 1997.DokumentationUN-Resolution 181 Das im November 1947 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Dokument sah auf dem Territorium des ehemaligen britischen Mandatsgebietes Palästina die Bildung eines arabischen und eines jüdischen Staates vor sowie ein internationales Sonderregime für den Stadtbezirk von Jerusalem. UN-Resolution 242 Sie fordert den Rückzug der israelischen Truppen aus allen während des Sechs-Tage-Krieges 1967 besetzten Gebieten und betont das Recht aller Staaten der Region, "innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen in Frieden und Freiheit, fern von Drohung und Gewalt" zu leben.UN-Resolution 338 Unter dem Eindruck des Oktober-Krieges 1973 wird eine sofortige Feuerpause zwischen Israel einerseits und Ägypten, Syrien und Jordanien andererseits verlangt, um danach mit der Umsetzung der Resolution 242 zu beginnen. Zugleich wird von der Notwendigkeit einer "geeigneten Schirmherrschaft" für einen Frieden in Nahost gesprochen.Mitchell-Bericht Der im Mai 2001 von einer internationalen Kommission unter Leitung des Amerikaners George Mitchell vorgelegte Plan beschäftigt sich mit den Ursachen der im September 2000 begonnenen Intifada. Als Grundforderung an die Adresse der Palästinenser formuliert der umstrittene Report einen Verzicht auf jede Gewalt - an die Adresse der Israelis einen totalen Baustopp für alle jüdische Siedlungen. Sharon hat letzteres stets abgelehnt.Tenet-Plan Der seit Mitte Juni 2001 kursierende Plan des US-Vermittlers George Tenet verpflichtet die Palästinenser, alle "illegalen Waffen" in den Autonomie-Gebieten einzuziehen sowie unkontrollierten Waffentransfer zu unterbinden. Zugleich sollten sich beide Seiten darüber informieren, wenn ihnen im Gebiet des anderen Verdächtige auffallen, deren Verhalten die Sicherheit gefährde. Israel wird dazu verpflichtet, militärische oder zivile Einrichtungen der Palästinenser nicht länger anzugreifen. Auch darf es zur Auflösung von Demonstrationen keine Mittel einzusetzen, die zu tödlichen Verletzungen führen können. Jede Form des Propaganda-Krieges soll eingestellt, schließlich eine Pufferzone zwischen den israelischen und palästinensischen Sicherheitskräften eingerichtet werden.
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