Sah gut aus, damals ...

A-Z Legendäre Hotels Das Grand Hotel in Heiligendamm ist pleite. Willkommen im Kreis der tragikomischen Herbergen! Als da wären: das Chelesea in New York, der Erfurter Hof, das Hyatt in Tokio

Alptraum


Die entscheidende Frage im Tourismusgeschäft lautet ja: Sucht der Reisende das Hotel, das zu ihm passt? Oder sucht sich das Hotel seine Gäste? Bei Jack Torrance, seines Zeichens eine ganz zeitgemäße Erscheinung, ehemaliger Lehrer, Familienvater und nun Schriftsteller in der Schaffenskrise, lässt sich diese Frage bis zum grotesken Ende seiner Reise nicht so genau klären. Sein Ziel, das Overview in Kubricks The Shining, steht schon länger leer (➝ Heiligendamm). Er selbst steht in gewisser Weise ganz passend leer, wie so einige dieser neurotisch-psychotischen Menschen, die ihren inneren Leerstand horridabel nach außen projizieren. Er fährt also mit Familie dorthin, um sein Buch zu vollenden. Endstation Überblick. Das Hotel überlebt auch diese mörderische Aktion. Susanne Lang

Chateau Marmont

Das Chateau Marmont am Sunset Boulevard in West-Hollywood ist mit seiner glamourösen Patina längst selbst zur Legende geworden: Sofia Coppola drehte hier Somewhere und Lana del Rey den Clip zu „Video Games“. Als Apartmenthaus nach französischem Vorbild 1927 erbaut, wurde es später zum Hotel umfunktioniert und der Sehnsuchtsort einer prominenten Klientel. In einem der 63 Zimmer verbrachte Jean Harlow ihre Flitterwochen und schloss sich Greta Garbo tagelang ein. Led Zeppelin schoben ihre Motorräder eines Abends durch die Lobby, und F. Scott Fitzgerald erlitt hier in den Vierzigern einen Herzinfarkt. James Dean sprang durch ein Fenster, um für eine Rolle vorzusprechen, Jim Morrison fiel vom Dach, und John Belushi starb 1982 an einer Überdosis. Sie alle folgten dem Rat, den ein Filmproduzent bereits 1939 gegeben hatte: „If you must get in trouble, do it at the Chateau Marmont.“ Gina Bucher

Chelsea

Jackson Pollock wohnte hier, Bob Dylan und auch Leonhard Cohen, der im Song „Chelsea Hotel #2“ ausplauderte, was zwischen ihm und Janis Joplin auf dem Hotelzimmer abging. Seit 1903 zieht das Chelsea in Manhattan verschiedene Künstler an. Sex-Pistols-Bassist Sid Vicious und seine Freundin Nancy Spungen verursachten dort 1979 einen Eklat. Bis heute ist es ungeklärt, ob es Sid war, der Nancy im Drogenrausch erstach. Wenige Monate später setzte er sich im selben Zimmer den goldenen Schuss.

Der Hotelmanager akzeptierte bei finanziellen Engpässen Kunst als Zahlungsmittel. Das kam der Hausausstattung zugute. Aber 2007 wechselte das Management. Seitdem hat das Chelsea nicht nur Dauermieter, sondern auch seinen Charme verloren. Jetzt zählt nur noch harte Währung – und in der Lobby ist Rauchen verboten. Jutta Zeise

Des Milles Collines

Das Hotel der 1.000 Hügel in der ruandischen Hauptstadt Kigali verrät mit seinem Namen nichts von dem, was hier 1994 passiert ist. Damals hatte Hotelmanager Paul Rusesabagina 1.200 Menschen vor dem sicheren Tod gerettet, als aufgehetzte Hutu innerhalb von nur 100 Tagen knapp eine Millionen Menschen ermordeten. In Sicherheit brachten UN-Soldaten nur den belgischen Hoteldirektor und die ausländischen Gäste. Die sollen von all dem am besten auch heute nichts erfahren: Die Webseite des Viersternehotels gibt keine Auskünfte. Stattdessen wirbt sie damit, dass alles frisch renoviert sei – offenbar inklusive der Geschichte. Man will ja niemandem den Urlaub verderben. Peter Knobloch

Erfurter Hof

Der um die Jahrhundertwende errichtete Erfurter Hof wurde 1965 eines von zwölf DDR-Interhotels, die vorrangig für ausländische Gäste gedacht waren. Berühmt wurde das Erfurter Hotel, als hier 1970 das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph stattfand. Die Menschen stürmten trotz Absperrung den Platz vor dem Hotel. Sie riefen „Willy Brandt ans Fenster!“ und harrten aus – bis er sich dort zeigte. Das Fenster wurde später durch eine Silhouette des Kanzlers markiert. Von 1995 an stand das Haus leer, heute fungiert es als Geschäftsgebäude und trägt als Denkmal die Leuchtschrift mit dem historischen Ausruf. Tobias Prüwer

Europa

Wovon die Gäste, die im Grand Hotel Europe in St. Petersburg absteigen, vor allem schwärmen: Frühstück, Bœuf Stroganoff, Kartoffelrösti, Misosuppe, Hühnerboullion, Crêpes, Rechauds mit gegrilltem und gekochtem Gemüse – ein Schlaraffenland für betuchte Gourmets. Die Oberen von Gazprom halten in dem Luxushotel direkt am Nevsky Prospekt gerne ihre Empfänge ab. Früher gab es eine Kaviarbar, an der sich der Wunderheiler Rasputin zu seiner Zeit am Zarenhof gütlich getan haben soll. Aber die Geschichte des Europe hat auch weniger schillernde Seiten. Nach der Oktoberrevolution wurde das Hotel verstaatlicht und zur Herberge für Straßenkinder umfunktioniert. Während der Leningrader Blockade diente es als Lazarett. Daran erinnert heute nichts mehr. Mark Stöhr

Goldene Taube

Saint-Paul-de-Vence, in den Hügeln von Cannes. Am Ortseingang liegt das Colombe d‘Or. Seit den 1920er Jahren kamen die Maler und Bildhauer zu Paul Roux, dem Gründer der Herberge. Matisse, Chagall oder Picasso vermachten der Familie einige Werke. In der „Taube“ begann eine Grande Amour des französischen Kinos: Auf der Terrasse begegnete Yves Montand im August 1949 Simone Signoret. Sie flirteten, dann ging er Boule spielen. Während der Filmfestspiele kamen später alle: Liz Taylor, Paul Newman, Francis Coppola, Romy Schneider, Alain Delon, Charlie Chaplin, Orson Welles, die Callas. Wer heute in der Taube absteigt, Madonna oder Beckham, lässt sich im Dorf nicht blicken. Maxi Leinkauf

Hyatt

Mit zwei Aufzügen gelangt man in die Bar des Park Hyatt Tokyo, das sich in den oberen Etagen eines Wolkenkratzers befindet. In Sofia Coppolas Film Lost in Translation beginnt hier die melancholische Liebesgeschichte von Bob und Charlotte. Touristen besuchen seither die Bar, und wenn man dort abends über das funkelnde, endlose Tokio blickt, der Jazzband lauscht und am Getränk nippt, ist man mittendrin in der Fiktion – die endet, wenn man den Zuschlag von 20 Euro für das Gedeck bezahlt. Den besten Blick auf das Hyatt hat man vom obersten Stockwerk des gegenüberliegenden Gebäudes. Dort kann man sich ans Fenster setzen und wie Charlotte nachdenklich auf die Stadt gucken. Maike Hank

Heiligendamm

Die Gegenwart ist ein eitler Sack, der sich wichtig nimmt, nur weil er gerade seine größten Erfolge feiert, an später denkt er nicht. Die Gegenwart sah gut aus, damals im Mai 2007, kurz vor dem G8-Gipfel, als ich mich im Grand Hotel Heiligendamm radikalinvestigativ einquartiert hatte. Das Haus war wieder rausgeputzt worden, ein Akt, der aus Sicht der Betreiber eine notwendige Korrektur des banausenhaften Zwischenspiels der DDR darstellte. Nun deutet die Insolvenz an, dass das Grand Hotel nicht der Geschichte letzter Schluss sein muss. Was damals schon zu ahnen war, als nach einem Vortrag über die Geschichte des Hauses um Einlagen geworben wurde – wie auf einer Butterfahrt. Matthias Dell

Lux

Man könnte die Kommunistenabsteige für eine seltsame Erfindung des Kinos halten. Es gab sie aber wirklich: in Moskau. Während der Oktoberrevolution wurde das Hotel Lux zum Gästehaus der Kommunistischen Internationale umfunktioniert. Während der Nationalsozialismus wütete, residierten hier viele deutsche Exilanten wie Walter Ulbricht und Herbert Wehner. Auch Ho Chi Minh und Tito warteten mit anderen Genossen auf die historische Wende. Der sowjetische Geheimdienst überwachte und deportierte Missliebige ins Lager. Als die letzten Politischen das Gebäude 1954 verließen, nahm es als Hotel Zentralnaja wieder den normalen Betrieb auf. TP

Neptun

Ein Neubaublock an der Warnemünder Strandpromenade, DDR-Erbe und gleichzeitig Wahrzeichen. Schon dieses „Alleinstellungsmerkmal“, etwa zwei Autostunden von Berlin entfernt, macht das Neptun-Hotel zu einer Pilgerstätte. Die Gäste stammen aus allen großen politischen Parteien und anderen Branchen, sie reisen aus aller Welt an: 5-Sterne-Service mit exklusivem Meerblick. Die zweifelhafte Vergangenheit als Devisen- und Informationsbeschaffungsquelle (inklusive Panorama-Bar mit Prostituierten) zieht sie an die Ostsee und liefert Stoff für Filme. Ich möchte ein Wochenende lang Teil dieses Mythos sein, aber zwischen morgendlichem Strandspaziergang, Aufguss in der Sauna und anschließendem Wellness-Tee im Kaminzimmer bin ich viel zu entspannt. Ulrike Bewer

Raffles

Das Raffles Hotel in Singapur stammt aus einer Zeit, als das britische Empire noch intakt war. Joseph Conrad war in dem Kolonialpalast zu Gast, sein Schriftstellerkollege Rudyard Kipling – und ein Tiger. Von dem Raubtier-Besuch 1902 existieren mehrere Versionen. Der Tiger soll im Billardraum vom damaligen Hoteldirektor mit fünf Schüssen getötet worden sein. Dabei habe es sich um den letzten wilden Tiger Singapurs gehandelt, sagen die einen. Andere behaupten, er sei aus einem Zirkus ausgebrochen. Wieder andere: Der betrunkene Hotelchef habe nur ein Tigerfell durchsiebt. MS

Sacher

Die Torte ist berühmter als das Hotel – und sie war zuerst da. Eduard Sacher, der das direkt hinter der Wiener Oper liegende Luxushotel 1876 gründete, war der Sohn von Tortenerfinder Franz Sacher. Dieser kreierte das mit Aprikosenmarmelade gefüllte Schokomonster laut Legende für Fürst Metternich. Es kam zum Rechtsstreit über die Bezeichnung „Original Sachertorte“, da die Hofzuckerbäckerei Demel ..., aber, zurück zum Hotel, das einem Renaissancepalast nachempfunden wurde: Graham Greene hatte hier die Drehbuchidee für Der dritte Mann, Regisseur Ernst Marischka kam auf die Idee, Romy Schneider als Sissi zu besetzen, weil er dort eine Büste der Kaiserin sah. John Lennon und Yoko One betrieben auch hier „Bagism“, sie kleideten sich in Säcke. Sophia Hoffmann

Zukunftsmusik

„Welcome to the Hotel California“ trällerten 1976 die Eagles im gleichnamigen Song. In der ausgehenden Flower-Power-Bewegung wurde die Übernachtungsstätte zur Projektionsfläche. Die häufigste Lesart der Hotelmetapher ist jedoch die des vermeintlich paradiesischen American Dream, der zum kapitalistischen Horror wird: „You can check out any time you like, but you can never leave.“ Die Musiker wollten so Kritik an amerikanischer Dekadenz und am Überfluss üben. Das Hotel California, welches das Albumcover ziert, war immer Mythos, und noch heute wollen echte Herbergen von ihm profitieren. Ein Dreisterne-Etablissement in Zürich läuft unter dem gleichen Namen. Man kann einchecken, für 180 Franken die Nacht. Juliane Löffler

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