A
Aufguss Der Aufguss gilt vielen als Höhepunkt des Saunageschehens. Durch das auf den Saunaofen oder die Heizsteine gegebene Wasser erhöht sich schlagartig massiv die Luftfeuchtigkeit, was wiederum das Hitzeempfinden steigert, und zwar umso mehr, wenn die Luft verwirbelt wird und den schützenden, etwas kühleren Luftfilm um die Haut wegweht. Andere halten Aufgüsse für überbewertet, etwa weil sie mutmaßlich keinen gesundheitsförderlichen Effekt haben (➝ Schweiß).
Ich bin unentschieden. Denn einerseits vertrage ich die Hitze nach Aufgüssen wenn, dann nur in Bodennähe. Andererseits erscheint mir ein Saunagang ohne Aufguss wie eine Ouvertüre ohne Oper, was mit den verschiedentlich zur Anwendung kommenden Aromen zu tun hat. Ohne den Duft von Fichtennadeln oder Eukalyptus hätte ich Saunamuffel noch weniger Grund gehabt, mich je dort aufzuhalten. Verrückt erscheint mir aber der bei einigen gängige Mix des Aufgusswassers mit Bier oder Schnaps. Klingt spannend. Ist aber Verschwendung. Eingeatmeter Alkohol berauscht viel weniger als getrunkener. Sophie Elmenthaler
B
Beweglichkeit Der moderne Mensch soll bis an sein Lebensende beweglich, flexibel, erreichbar und vor allem gesund sein – alles andere führe, so wissen wir heute, wenn nicht ins Elend, so doch zumindest in die bedingungslose Arbeitslosigkeit. Folgende Erfindung scheint da wie gemacht für die Ansprüche junger und alter, hungriger Menschen, die noch darauf warten, vom Leben nicht unmittelbar enttäuscht zu werden: die mobile Sauna. Während die normale Sauna aus Holz, Stein und Metall ja gerade von den Menschen besessen wird, die über Geld, Platz, ➝ Zeit und Gesundheit verfügen (➝ Wellness), ist ihre mobile Variante aus Plastik, Reißverschluss und Acryl geradezu ideal für die geplagten Tagelöhner der Großstadt. Jeden Umzug in die nächstkleinere Wohnung meistert sie problemlos, und während der Körper im lauwarmen Dampf kurz regenerieren kann, lässt sich dabei mit den stets freiliegenden Händen bereits der nächste und übernächste Uber-, Airbnb- sowie Deliveroo-Auftrag annehmen. Timon Karl Kaleyta
F
Finnland Finnische Männer können wahnsinnig gut zuhören. Das erfährt, wer den derzeit in deutschen Kinos laufenden Dokumentarfilm (➝ Kunst) Was Männer sonst nicht zeigen der Regisseure Joonas Berghäll und Mika Hotakainen sieht. Streits um das Sorgerecht, die verloren gegangen sind wie mit ihnen die Kinder, der Tod der kleinen Tochter oder der der eigenen Mutter zu Hause während des Einsatzes in Afghanistan, Alkoholismus, Knast – über all das reden und weinen die sonst so harten, Eishockey liebenden finnischen Männer. Und sie lachen, über Saunieren und Massieren als Strategien für erfüllenden ➝ Sex im Alter. Der Film war in seinem Entstehungsland ein großer Erfolg, nicht nur wegen seiner Annäherung an das finnische Kulturgut Sauna, sondern auch weil er die Fesseln der Geschlechterrollen ein Stück weiter aufgesprengt hat. Sebastian Puschner
I
Intimrasur Hatten die Römer schon die heiße Badekultur zelebriert, so starb das Wissen darum mit dem Untergang ihres Imperiums. Für lange Zeit galt dann der Zuber als Gipfel der Wannenkultur. Von den Wonnen des Dampfbades erfuhren unter den Mitteleuropäern zuerst die Kreuzfahrer, wenn sie im Nahen Osten gerade nicht mit der Landnahme durch Feuer und Schwert beschäftigt waren.
Angetan sollen einige vom tief unten angesetzten Rasiermesser gewesen sein. So berichtet es der syrische Ritter Usama ibn Munqidh, aufmerksamer Beobachter seiner europäischen Kontrahenten. Einen Bademeister namens Salim lässt er von einem Kreuzritter erzählen, um damit die barbarische europäische Körperkultur zu illustrieren: „Er kam näher, er streckte seine Hand aus, legte sie auf mein Schambein und sagte: ‚Salim, gut! Bei der Wahrheit meiner Religion, mach das auch bei mir!‘ Er legte sich auf seinen Rücken. Es war wie sein Bart, was er dort hatte. Ich rasierte ihn und er fuhr mit seiner Hand darüber und spürte, wie glatt es war. Darauf sagte er: ‚Salim, mach dasselbe bei der Dame!‘“ (➝ Nacktheit) Tobias Prüwer
K
Kunst Das Schwitzen vor weißen Fliesen oder schnöden hölzernen Latten reicht schon lange nicht mehr. Saunabetreiber setzen auf die illusionistische Ausmalung ihrer Landschaften mit Ausblicken aufs Meer inklusive griechischer Säulen. Einschlägige Internetseiten zu derartigen Gestaltungsfragen betonen eindeutige Gemeinsamkeiten von Kunst- und Saunagenuss, welche vor allem viel über das Kunstverständnis der Verfasser verraten: die Gedanken schweifen lassen, Erholung für die Augen und die Sinne erfahren, einfach den Alltagsstress abbauen.
Vermeintliche Künstler wiederum sparen sich die Suche nach Aktmodellen, schwitzen lieber kollektiv und fabrizieren aus ihren Beobachtungen einen Kalender für Saunafans: „Ihre Eindrücke und Gedanken, die sie während des Saunabesuchs überkommen und beschäftigen, spiegeln sich in ihren Werken wider und beweisen, dass Saunieren nicht nur Transpirieren bedeutet, sondern auch inspirierend sein kann.“ Und die ganz Verzweifelten nutzen die Sauna gern als alternativen Ausstellungsraum. Vermutlich bleiben ob der Enge des Raums und der einsetzenden Leere der ➝ Zeit dort die Blicke der Besucher tatsächlich länger haften als in einem Museum oder einer herkömmlichen Gallerie. Sarah Alberti
M
Mafia Viggo Mortensen muss in der Rolle des vermeintlichen russischen Mafiosos Nikolai Luschin um sein Leben kämpfen – und das mitten in der Sauna, weswegen dabei all die schönen Tätowierungen auf seinem vollkommen nackten Körper zu sehen sind, ebenso wie das Blut und der ➝ Schweiß. Nicht nur der Thriller Eastern Promises (2007) nutzt die Sauna als Kulisse für Mafia-Erzählungen, zu denken wäre auch etwa an Gorky Park von Regisseur Michael Apted (1983) oder Die Ehre der Prizzis (1985, John Huston). Welcher Ort läge dafür auch näher, wo ließen sich sonst all die Narben an verschwitzten Männerkörpern so schön zur Geltung bringen sowie all die verschlagenen Visagen und eben die kunstvollen Tätowierungen? Letztere spielen in Eastern Promises eine zentrale Rolle für den Plot.
Der Intimität einer Sauna wird auch in der Realität nachgesagt, sich besonders für vertrauliche Besprechungen unter zwielichtigen Gestalten zu eignen – und, um sich gegebenenfalls hernach gegenseitig Kühnheit zu attestieren: Russlands Präsident Wladimir Putin plauderte einst aus, bei einem Besuch Gerhard Schröders in einer Banja sei selbige in Brand geraten – trotzdem habe der damalige Bundeskanzler den Raum angeblich erst verlassen wollen, nachdem er seelenruhig sein Bier ausgetrunken hatte. Sarah Khan
N
Nacktheit Längst nicht in allen Ländern geht man nackt in die Sauna: Während die Freikörperkultur etwa in ➝ Finnland und Deutschland etabliert ist und meist als unverklemmt, entspannt und befreiend empfunden wird, gilt in anderen Ländern Bekleidungspflicht. In Budapest, das auf eine jahrhundertelange Badehaustradition zurückblickt, ist Nacktheit in der Sauna unüblich, was ich bei einem Besuch vor Ort lernen musste.
Wie aus Deutschland gewohnt, setzte ich mich nackt in eine der vier Saunen des Badehauses; ich war allein. Da traten zwei etwa 70-jährige Männer ein, die im Gegensatz zu mir Badehosen trugen, mich erblickten und, indem sie sogleich rechts und links von mir Platz nahmen, mir dämmern ließen, dass mein befreites Auftreten ungewollte Aufmerksamkeit nach sich zog. Ich versuchte mich in mein Handtuch einzuwickeln, das dafür jedoch viel zu klein war, und ohnehin war es zu spät: Einer der beiden bedeutete mir mit Gesten, er könne mir doch meine Schultern massieren. Ich ergriff die Flucht. Seither informiere ich mich vor auswärtigen Saunabesuchen sehr genau über die jeweiligen örtlichen Gepflogenheiten in Sachen Bekleidung. Andrea Wierich
S
Schweiß In der Fließgeschwindigkeit des Schweißtropfens wird der Erfolg eines Saunagangs mit bloßem Auge messbar. Was im Hochsommer im öffentlichen Nahverkehr für Unwohlsein sorgen mag, ist ausgeklügelte, natürliche Reaktion. Denn mittels Schweiß reguliert der menschliche Körper seinen Wärmehaushalt, zunächst geruchsneutral. Eigenduft entsteht erst in Form von Buttersäure, wenn sich Bakterien zu Abbauzwecken über den Schweiß hermachen. Schwitzen ist zwar wichtig, doch der Kenner weiß: zur Stärkung der Abwehrkräfte ist Abkühlung der zentrale Faktor. Umgekehrt ist ein heißer ➝ Aufguss zwar angenehm, steigert aber in erster Linie die Luftfeuchtigkeit und damit weder die Schweißbildung noch die Gesundheit. Nina Rathke
Sex Das Haus liegt im Osten der Stadt, und als wir einzogen, da gab es im Erdgeschoss noch eine Sauna, die ihre besseren Zeiten wohl vor 1990 gesehen hatte. Wir lästerten. Über die sogenannte „Apartmentsauna“, die man exklusiv mieten konnte. Der Saunameister stand oft draußen, rauchte und verwickelte mich schmierig (➝ Intimrasur) in Gespräche, wenn ich gerade den Schlüssel ins Schloss steckte. „Kennt ihr Wessis nicht?“, klärte uns später ein Freund auf. „War wohl ein verkappter Ost-Puff jewesen.“ Kulturell interessant fanden wir das, es duftete auch immer ganz toll (➝ Aufguss). Bald war dann die Klientel vollständig weggentrifiziert. Ein Teil der einstigen Sauna beherbergt heute eine Kindertagesstätte, und links wohnt ein Musiker. Der kifft, immerhin. Katharina Schmitz
W
Wellness Lange war die Privatsauna im Keller das i-Tüpfelchen auf dem privaten Eigenheim, ein steingewordenes Statussymbol (➝ Mafia), erschwinglich auch für bürgerliche Kreise mit bescheidenem Wohlstand. Heute leistet sich, wer anständig verdient, einen Wochenend-Trip in einen der Wellnesstempel des Umlands – gesunde Kost, Gesichtsbehandlung wie Saunieren helfen schließlich nicht nur dem eigenen, überarbeiteten Körper, sondern auch deindustrialisierten Regionen mit Tourismus-Cluster in der Wirtschaftsstrategie. Dies entspricht ganz dem zentralen Element des einst in der US-Gesundheitspolitik erdachten Wellnesskonzepts: Ganzheitlichkeit. Eigenverantwortung in Sachen Ernährung, Bewegung und Körperpflege zu fördern, das sollte Kosten im Gesundheitswesen einsparen helfen. Benjamin Knödler
Z
Zeit In einer aktuellen Umfrage des Deutschen Saunabundes geben 80 Prozent der Befragten die Suche nach Erholung als Motiv für den regelmäßigen Besuch des Dampfbads an. Die Sauna wirkt gefühlt wie ein Kurzurlaub (➝ Wellness), gerade jetzt im Herbst oder im Winter, der am 21. Dezember beginnt. Doch kein Refugium der Entschleunigung ist vor den Abgründen der Leistungsgesellschaft sicher (➝ Beweglichkeit): 2010, im Finale der Sauna-Weltmeisterschaften, verlor erst der mehrfache Titelträger Timo Kaukonen bei 116 Grad und 23,2 Prozent Luftfeuchtigkeit nach siebeneinhalb Minuten das Bewusstsein. Sein mit Schmerzmitteln vollgepumpter Rivale Wladimir Ladyschenski starb in der Hütte, vor laufender Kamera. Mit diesem Unglück endete sodann die Geschichte des Turniers. Nina Rathke
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