Schaafs Gesicht

Sportplatz Ein Fußballspiel zu lesen, damit hat sich gerade Klaus Theweleit auf den Buchmarkt begeben, ist sehr schwierig, denn wo ein leicht als Raum öffnend ...

Ein Fußballspiel zu lesen, damit hat sich gerade Klaus Theweleit auf den Buchmarkt begeben, ist sehr schwierig, denn wo ein leicht als Raum öffnend und folglich kosmopolitisch zu interpretierender Pass geschlagen werden soll, da ist die Grätsche des gegnerischen Spielers nicht weit, und wo es gilt, mit der langweiligen Effizienz eines bürokratischen Apparats einen knappen Sieg zu erwurschteln, da wächst womöglich der gegnerische Torwart über sich hinaus.

Im Grunde hat Sepp Herberger mit der Formulierung, der Ball sei rund, die faktische Unberechenbarkeit des Fußballs kurz und prägnant zusammengefasst, aber da Menschen, die Schwierigkeiten haben, ein Fußballspiel zu dechiffrieren, oft auch mit dem Lesen beziehungsweise Verstehen kurzer Sätze ihre Probleme haben, wird über Herberger gerne gelacht.

Lesen wir also, weil beides so schwer ist, weder Fußballspiele noch Bücher, sondern Gesichter und fangen mit dem von Thomas Schaaf an. Wer ihn nicht kennt, sollte besser nicht darauf aufmerksam gemacht werden, dass Schaaf der Cheftrainer des SV Werder Bremen ist, der sich gerade anschickt, deutscher Meister zu werden. Wir schauen also besser nicht auf Schaafs Job, sondern auf sein Gesicht. Wenn man uns sagte, dieser Mann sei Gewerkschaftssekretär, wir würden es genauso glauben, als wenn man hörte, er sei Chef einer Putzkolonne, er sei Facharbeiter in der Metallindustrie oder Polier auf dem Bau. Sogar ein Gründungsmitglied einer linken Protestpartei zu sein, nähme man Schaaf aufgrund seines Gesichts, seines nicht so recht modernen Schnäuzers und seiner eher schlichten Frisur ab.

Was man eher nicht glaubte, wäre die Behauptung, Schaaf sei leitender Angestellter eines Konzerns der Unterhaltungsindustrie. Solche Leute, das wissen wir doch, sehen anders aus: wie Dieter Bohlen oder Ottmar Hitzfeld oder Gerhard Schröder.

Dabei gehört Thomas Schaaf, was halt bloß sein Gesicht nicht verrät, sehr wohl in diese Liga, denn entgegen der Mär von den reichen Bayern und dem armen Rest in der ersten Fußballbundesliga muss ein Verein, der da steht, wo der von Schaaf verantwortlich betreute SV Werder Bremen gerade steht - souverän auf Platz eins der Tabelle nämlich - ein professionell geführter Betrieb der Unterhaltungsindustrie sein.

Was hat nun einer wie Schaaf da zu suchen? Was will einer, der einen Trainingsanzug trägt, wie er in Neukölln zum Kauf der BZ üblich ist, bei den Bossen der Kulturindustrie?

Nichts, vermutlich. Denn Thomas Schaaf ist, um es mal verquast, also in linker Rhetorik zu sagen, nur objektiv in solcher Funktion. In Wirklichkeit ist er Fußballlehrer, und also verkörpert er das, was der Fußball mal war und trotz Adidas, Börsengang und Champions League noch immer ist. Nämlich eine letztlich unberechenbare und genau darin subversive, gleichwohl durch Reglements vergleichbar gemachte und dank des Weltmarkts global anzutreffende große Kultur. Und vor allem eine working class pastime, was nur wörtlich übersetzt Freizeitbeschäftigung der Arbeiterklasse bedeutet, aber im Grunde für vielmehr steht.

Und schon ist man wieder beim Gesicht des Thomas Schaaf. Alles, was sich beim Anblick eines Uli Hoeneß, eines Michael Ballack oder eines Oliver Kahn samt seiner 22-jährigen Lebensgefährtin Kritisches über den Fußball sagen lässt, wird obsolet, schaut man sich Schaaf an, mit ihm den Verein SV Werder Bremen, mit diesem wiederum die Fans dieses und so manchen anderen Vereins und mit ihnen gemeinsam das, was Woche für Woche in den Stadien zelebriert wird.

"Im Fußball findet sich eine ganze Menge Welt" befand der Schriftsteller Ror Wolf vor Jahren, wenn man´s vielleicht nicht proletarische pastime nennen möchte, so sieht man in den Stadien doch große Kultur, und dass in diesem Jahr, so wie es gegenwärtig aussieht, weder Leverkusen, Dortmund oder Bayern die Meisterschaft erreichen werden, sondern Werder Bremen, ist Ausdruck der schönen relativen Autonomie des Fußballsports.

Was genau daran schön ist, kann man in Schaafs Gesicht lesen.


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