Schachmatt

Russland Wie der Putin-Staat das Privatfernsehen aus der Jelzin-Ära erfolgreich entsorgt hat

Als am 22. Januar dem russischen Sender TV-6 der Strom abgeschaltet wurde, strahlte man auf der freigewordenen Frequenz Sportereignisse aus, unter anderem das Schachduell zweier Großmeister. Das hatte durchaus Symbolwert: Die Abwicklung des letzten TV-Senders aus dem Medienimperium Boris Beresowskis erschien so als Zug in einer langwierigen Schachpartie zwischen dem Staat der Putin- und der Medien-Oligarchie der Jelzin-Ära. Die Rolle der Journalisten in diesem Match ist beklagenswert - sie fungieren als Bauernopfer.
Öffentlich tritt der Staat in diesem Spiel mit seinem Medienminister und den staatlich kontrollierten Großkonzernen auf. Hinter den Kulissen allerdings agiert eine ganze Armee von Staatsdienern der präsidialen Administration, während die Gegenspieler, Beresowski und Gussinski, seit Monaten außer Landes sind, da in Russland zahlreiche Ermittlungen gegen sie laufen.
Beide besaßen Medienimperien, die den Meinungsbildungsprozess jahrelang bestimmt haben. Anfang der neunziger Jahre, als der halb bankrotte Staat die riesigen Kosten des Staatfernsehens nicht mehr tragen konnte, schien die Lösung auf der Hand zu liegen: Private Unternehmer mussten die Finanzierung übernehmen, aber die staatliche Kontrolle über das Fernsehen sollte erhalten bleiben. So entstanden zwei Medienkonzerne, einer um Beresowski (ORT, TV-6) - der andere um Gussinski (NTV). Das Agreement zwischen Staat und Oligarchie sah folgende Rollenverteilung vor: das Fernsehen unterstützt den Staat in der Person des Präsidenten Jelzin, als Gegenleistung erhalten die Medienunternehmer im großen Stil Zugang zum privatisierten Staatseigentum.

Jelzins Hofstaat wird abgewickelt

1996, als der herzkranke Jelzin in den Wahlkampf zog, trafen sich die beiden Intimfeinde Beresowski und Gussinski in Davos und beschlossen, dem Präsidenten noch einmal bei einem letzten Sieg zu helfen. Drei Jahre später, als es ernsthaft um Jelzins Erbe ging, unterstützte Beresowski Putin, während Gussinski sich auf die Seite seines Gegners stellte, der Partei von Ex-Premier Primakow. Auf den Bildschirmen wurde daraus die äußerst peinliche Schlammschlacht zwischen den beiden Galionsfiguren des russischen Fernsehjournalismus, Sergej Dorenko (ORT) und Jewgenij Kisseljow (NTV). Hauptopfer dieses Fights sollte auf lange Sicht allerdings die Unabhängigkeit der Presse werden.
Putin gewann die Wahl. Die byzantinische Logik will es, dass der Präsidentenmacher Beresowski bald geopfert werden musste. Der einflussreichste Oligarch des Jelzin-Hofes wurde durch eine Pressekampagne und eine Reihe staatsanwaltlicher Ermittlungen erst aus dem politischen Leben, dann aus dem Land gedrängt. Der aufgrund der Reichweite bedeutendste Sender Russlands, ORT, sah sich nun wieder vom Staat kontrolliert. Nicht lange danach ereilte Gussinski das gleiche Schicksal. Im April 2001 wurde sein Sender NTV von dem halbstaatlichen Konzern Gasprom übernommen. Gussinski überließ seinem liebsten Feind Beresowski eine Armee von Journalisten: Fast alle bedeutenden NTV-Macher wechselten zu TV-6.

Enthüllungsfilme gegen Putin

Welche Abwehrstrategie die beiden Unternehmer im Ausland wählen würden, war ziemlich klar: Die Meinungsfreiheit in Russland sei gefährdet. Auch die Kreml-Strategie war vorhersehbar: Die beiden Oligarchen seien Kriminelle, ihr Kampf habe nichts mit dem Ideal der Freiheit des Wortes zu tun.
Beide Parteien habe auf ihre Weise Recht: Im postsowjetischen Russland auf legalem Wege Kapital aufzubauen, war tatsächlich so gut wie unmöglich. Andererseits ließ und lässt Putins Vision von einer "Vertikalen der Macht" kaum Spielraum für kritischen Journalismus.
Doch geht es dem Präsidenten bei diesem Kampf nicht in erster Linie um die Beschränkung der Pressefreiheit. Seine eigentlichen Gegner sind die Oligarchen der Jelzin-Ära, die einst hinter den Kulissen der Staatsmacht übergroßen Einfluss gewonnen hatten. Auf der anderen Seite sorgen sich Gussinski und Beresowski genauso wenig um demokratische Werte. Für sie stehen Einfluss und Geld auf dem Spiel. Die Medien sind die Waffen beider Parteien. Beresowski droht Putin mit einem Enthüllungsfilm über die Hintergründe der Bombenanschläge in Moskau und Wolgodonsk im September 1999. Damals kamen 248 Menschen ums Leben und die Angst vor tschetschenischen Terroristen verhalf Putin zum Wahlsieg. Der russische Geheimdienst FSB kontert: Man besitze Beweise dafür, dass Beresowski "die terroristische Tätigkeit" einiger Feldkommandeure in Tschetschenien finanziert habe. Wird daraus auch ein Dokumentarfilm?
Wie der Kampf Beresowskis gegen Putin ausgehen wird, ist ziemlich klar. Nur der typische Größenwahn des Oligarchen lässt ihn noch hoffen, irgendeine Chance gegen den allmächtigen Präsidenten zu haben. Sollte allerdings Russland seine Auslieferung fordern, wird das in Westeuropa höchstwahrscheinlich abgelehnt. Dem Tycoon droht also nur der endgültige Machtverlust; seine Freiheit und sein Geld wird er genau wie Gussinski weiter genießen können. Anders als die Journalisten, die er in seinen Kampf hineingezogen hat - die sich in diesen Kampf hineinziehen ließen. Deren Rolle scheint in diesem Schacher am bedauerlichsten zu sein. Nicht nur, weil sie den letzten landesweiten staatskritischen Sender verloren haben. Viel schmerzhafter ist der Gesichtsverlust.
Jewgenij Kisseljow zum Beispiel wurde im Streit um NTV zur Galionsfigur der Pressefreiheit in Russland. Als Gussinskis Sender zerschlagen und ihm journalistisches Asyl bei TV-6 angeboten wurde, nahm er das gern an. Das bedeutete aber nicht nur, dass er nun für den einstigen Gegner Beresowski arbeiten sollte, sondern auch, dass mehrere TV-6-Kollegen ihre Arbeitsplätze räumen mussten - doch was macht das schon aus, wenn es um die Pressefreiheit geht!
TV-6 wurde folgerichtig zur neuen Zielscheibe im Kampf gegen Beresowski. Der Staat gewann auch diese Schlacht, doch bevor der Strom in den TV-6-Studios abgeschaltet wurde, machte der Medienminister Kisseljow ein Angebot. Die Journalisten könnten - ohne Beresowski - eine neue Gesellschaft gründen und die TV-6-Frequenz übernehmen. Kisseljow nahm an. Ein paar Tage später jedoch, nach einer Blitzreise zu Beresowski und Gussinski ins Ausland, zog er seine Zustimmung wieder zurück. Schwarze Bildschirme, bis die Schachgroßmeister dort auftauchten.
Nicht alle NTV-Starjournalisten wechselten im vergangenen Jahr zu TV-6. Leonid Parfjonow, einer der beliebtesten von ihnen, blieb bei Gasprom-NTV und zog damit eine Zorneswelle der liberalen Presse auf sich. In einem Interview mit der Zeitung Kommerssant versuchte er, seine Position zu erklären. Er glaube nicht an ein unabhängiges Fernsehen in Russland, es gäbe keinen Großunternehmer, der in der Lage wäre, einen Sender vor der Staatsmacht zu schützen. Eigentümerinteressen schadeten der Meinungsfreiheit genau so wie Staatsinteressen. Parfjonow erinnerte an den peinlichen Wahlkampf von 1996, als Jelzins Herausforderer, der Reformpolitiker Jawlinskij, ständig angegriffen wurde. "Wir haben keine ideale Situation und werden sie auch in absehbarer Zukunft nicht haben - wir sind nicht Liechtenstein und nicht die Schweiz. Ich bin Journalist und kann nichts anderes tun."
So gilt das Credo Loyalität gegen Wirtschaftsvorteile, denn es gibt im heutigen Russland keine nennenswerte Opposition mehr, um in den Medien eine neue Schachpartie gegen die Staatsmacht auszutragen.

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