Schill und der Faden schockierender Ereignisse

Mecklenburg-Vorpommern Jeder Fünfte würde die "Rechtsstaatliche Offensive" wählen

Schills Partei Rechtsstaatlicher Offensive hat noch gar nicht entschieden, ob sie auch in Mecklenburg-Vorpommern zur Landtagswahl im September 2002 antreten will, da wird ihr schon von einer Umfrage der Mund wässrig gemacht. Wie Emnid im Auftrag der Schweriner Volkszeitung ermittelte, hätte sie Anfang November 19 Prozent der Stimmen des Nordlandes erhalten. Wähler aller vorhandenen Parteien wollten dazu beitragen, jedoch in unterschiedlichem Maß: drei Prozent wären von der PDS und ebenso viele von der SPD, acht Prozent aber von der CDU gekommen. In anderer Perspektive hieße das, die CDU hätte 23 Prozent ihrer Wähler eingebüßt. Dieses Alarmsignal trifft eine politische Szene, die beim Elektorat wenig beliebt ist. Mit der Arbeit der rot-roten Landesregierung sind 41 Prozent zufrieden, 57 Prozent unzufrieden. Noch schlimmer trifft es die CDU-Opposition: 32 Prozent zufrieden, 60 Prozent unzufrieden. Es klingt daher plausibel, wenn Ministerpräsident Ringstorff sagt: "Angst muss vor allem die CDU haben." Aber wenn jeder Fünfte zu neuen Ufern aufbricht, nicht nur in M-V, sondern auch anderswo, wird die SPD die kommende Bundestagswahl nicht gewinnen. Das Wählergefüge verschiebt sich auch deshalb, weil die Schill-Partei so viele Nichtwähler mobilisiert - womöglich im ganzen Bundesgebiet.

Was ist das für ein Aufbruch? Der Politikwissenschaftler Nikolaus Werz aus Rostock meint, im Osten sei Arbeitslosigkeit, nicht Sicherheit, das Hauptproblem (Schweriner Volkszeitung vom 3.11.). Er hält deshalb die ermittelten 19 Prozent für nicht tragfähig. Der Schock des 11. September habe die Bürger zwar kurzfristig verunsichert. Doch bis zur Bundestagswahl werde das Vertrauen in die Politik der Altparteien zurückgekehrt sein. Jedenfalls wenn diese "die Sicherheitsfrage konsequent angehen". Ganz überzeugend ist die Analyse nicht, zum Beispiel weil man nicht weiß, ob der Faden schockierender Ereignisse in einem Jahr schon gerissen ist. (Der "Anti-Terror-Krieg" wurde als lang angekündigt.) Auch ist die Unterstellung fragwürdig, Arbeitslosigkeit und Sicherheit seien zwei Themen statt zwei Namen für eine Sache. Drittens sagt Werz selbst, Schills charismatisches Auftreten komme unserer medialen Gesellschaft entgegen.

Und wenn es, viertens, stimmt, dass die Wechselwähler zunehmen - im Osten noch mehr als im Westen, wie Dietmar Wittich im Freitag belegte -, könnte das auch einmal für eine Partei wie die PDS, die teilweise von Protestwählern lebt, zum Problem werden. Die Schill-Partei wirbt schon um sie. Bei der Suche nach möglichen Partnern habe sie vor ihr keine Berührungsängste, sagt Parteivize Dirk Nockemann am 13. Oktober der Ostsee-Zeitung.

Es ist möglich, dass das auflodernde Schill-Feuer genauso schnell zusammensinkt, wie man es von der ebenfalls aus Hamburg stammenden Statt-Partei in der Erinnerung hat. Auf Dauer muss sich ja die Inkompetenz der Parteiführer herumsprechen. Befragt, was sie zur ostdeutschen Arbeitslosigkeit vorschlagen, sagt Nockemann: "Wir würden uns hier auf eine mittelstandsfreundliche Politik konzentrieren. Für konkretere Angaben fehlen uns noch die wirtschaftlichen Analysen." Der Mann ist ehrlich und gibt zu, dass er nichts Konkretes weiß! Und doch könnte es Roland Schill, dem "Charismatiker", gelingen, in die Rolle eines deutschen Jörg Haider zu schlüpfen - dann werden wir ihn so schnell nicht wieder los.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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