Schneisen

Jubiläum V Von West nach Ost nach West - Orte des "Freitag"

Es fing in Kreuzberg an, am Westberliner Rand. Alte Kreuzberger waren wir in der Redaktion alle nicht, aber der Kiez hat uns bald aufgenommen. Im ausgebauten, sonnigen fünften Stock, im Hinterhof eines Jugendstilhauses ohne Schnörkel, das unserem ersten Verlag ElefantenPress gehörte, teilten wir die Zimmer neu ein für die ehemaligen Volkszeitungs-Leute, die schon einige Monate hier arbeiteten, und die innerhalb einer Woche aus dem Osten zuziehenden SONNTAG-Kollegen. Letztere kamen aus einem großen Haus am Werderschen Markt, das unter Denkmalschutz stand und saniert werden sollte. Auch sie gerieten nun in das multikulturelle Treiben der Oranienstraße. Alle haben es wohl ohne Ausnahme genossen. Einmal wurde eine Kollegin in der U-Bahn von einer Frau gefragt, ob sie sich ihr anschließen dürfe, sie komme aus Steglitz. Ihr sei es hier unheimlich, man höre über Kreuzberg schlimme Sachen, schon die Fahrgäste seien anders. Es war früher Abend, das Gedrängel auf den einschlägigen Straßen steuerte dem Höhepunkt zu. Die Kollegin führte die ängstliche Westberlinerin hindurch, innerlich lachend und zufrieden, nach wenigen Wochen schon so angekommen zu sein, so befreit von Vorurteilen, die kolportiert wurden.

So richtig gern sind wir nicht umgezogen, als ElefantenPress das Haus verkaufte und in Treptow, also im Osten, einen ganzen Gebäudekomplex erstand, ein altes Verlags- und Druckereiensemble in Backsteinarchitektur. Aber die neuen Räume waren für eine Redaktion ausgezeichnet, sie lagen rund um den Versammlungsraum. Frische Luft aus dem Treptower Park wehte herein. Wir waren nur wenige Schritte entfernt vom sowjetischen Ehrenmal, eine ausgedehnte Anlage mit Trauerbirken, Rasenflächen, der riesigen Skulptur des Soldaten mit einem Kind auf dem Arm, Reliefs mit Stalin-Zitaten. Dahinter der Park mit hohen Bäumen bis an die Spree, die breit unter den Brücken dahinfließt. Aber niemand kam mehr einfach so vorbei, es war zwar nicht weit entfernt vom Zentrum Berlins, doch man musste sich extra auf den Weg machen. Auch die Picknicks der Redaktion im Park gab es nie, die wir uns anfangs noch vorstellten. Höchstens zu einsamen Runden, zum Sortieren der Gedanken nutzten wir manchmal die schöne Umgebung. Auch heute verlieren sich in der Idylle das neue gigantische Einkaufszentrum, eine Büro- und Wohnsiedlung, ein aus allen Nähten platzender Flohmarkt, sie nehmen sich irgendwie zurück. Das Beschauliche ist geblieben.

Wir aber sind seit sechs Jahren in der Potsdamer Straße, wieder im Trubel. Bis 1989 stieß die Straße auf die Mauer und auf den völlig verödeten Potsdamer Platz, wo heute die Konzernzentralen, gebaut von berühmten Architekten, aufragen. Sie stellen allerdings die klare, einfache Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe nicht in den Schatten. Im Nachhinein fällt erst auf, dass wir uns mit dem Freitag immer an der ehemaligen Mauer entlang bewegten: zuerst verlief sie nur zwei Querstraßen weiter hinter den Kreuzberger Redaktionsräumen, in Treptow dann lag sie einst fast unterhalb unseres Gebäudes. Wir haben mehrfach die Planierraupen erlebt, die verwilderte Grenzzonen ebneten.

Die jetzigen Räume der Redaktion sind cool und modern, die Zimmer mit Glasscheiben getrennt, zwei Häuser weiter wird der Tagesspiegel produziert. Hier eilen wieder viele Passanten die Straße entlang, man trifft in Coffeeshops, am Stehtisch bei Metzger Staroske, bei diversen Bäckern auf Kollegen anderer Zeitungen oder Leute, die man dafür hält. Die Straße ist kaum weniger multinational als Kreuzberg, aber eher eine anonyme Durchgangsstrecke. Hier ist einst Theodor Fontane entlang spaziert, schon früh hatte er in der "Potse" eine Wohnung gemietet. Er verabredete sich manchmal mit seinem Nachbarn, dem Maler Adolf Menzel, am Potsdamer Platz im legendären Café Josty. Viel später hat der Schriftsteller Joseph Roth in den zwanziger Jahren hier ein Zimmer genommen. Und wir machen eine Pause, zu selten zwar, aber manchmal doch, und gehen hinunter in die ihm gewidmete Joseph-Roth-Diele, die immer voller Gäste ist, essen ein Landbrot, das sie hier bieten und lesen heitere, weise Sätze aus Roths Büchern, die wie ein Fries den Raum einfassen.


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