Schreckensvision für Nordirlands Hardliner

Kommentar Eine IRA ohne Waffen

Gerry Adams könnte lastwagenweise das gesamte Arsenal der IRA bei John de Chastelain, dem Chef der Internationalen Abrüstungskommission für Nordirland, vorfahren lassen oder dessen Inspektoren durch gesprengte Waffendepots führen. Er würde sich auch mit solch eindeutigen Gesten des Verzichts eine Absage der Unionisten und von David Trimble persönlich einhandeln. »Das reicht auf keinen Fall«, »dreistes Täuschungsmanöver der IRA«, »ein weiteres Indiz für das gespaltene Verhältnis der Sinn Féin-Partei zur Gewalt« - würde es heißen. Man braucht wenig Phantasie, um die stereotypen Reaktionen vorauszuahnen. Die Ulster-Protestanten werden nun einmal den Rubikon nicht überschreiten und sich von der IRA öffentlich unter Zugzwang setzen lassen. Sie wollen den Eindruck vermeiden, das Heft des Handelns aus der Hand gegeben zu haben. Ihr probritisches Selbstverständnis bleibt anti-irisch, damit Feindbild fixiert und wenig zukunftsfähig. Also klammert sich Trimble an den Status quo, bei dem er vor lauter Konzessionen an die chronischen Zweifler und Hardliner in seiner Ulster Unionist Party (UUP) nicht nur an Politikfähigkeit, sondern auch an Statur einbüßt.

Es kam für die Ablehnungsfront innerhalb der protestantischen Community Nordirlands einer erschreckenden Vorstellung gleich, dass die Entwaffnungsfrage in nächster Zeit tatsächlich gelöst werden könnte. Die Autonomie wäre dann unumkehrbar, ein Leben in gleicher Augenhöhe mit den Katholiken unvermeidlich, die Protektion Londons ein vertraglich geregelter, kein Belagerungszustand mehr. Denn nach dem Kompromisspapier von Tony Blair und Irlands Premier Ahern sollte das britische Korps schrittweise abziehen und die Schutzmacht von realen zu mehr symbolische Dimensionen wechseln.

Die protestantische Mehrheit wäre in diesem Fall nicht als Volksgruppe der Vogelfreien zurückgeblieben und den atavistischen Neigungen eines katholischen Mobs ausgesetzt gewesen, wie es Scharfmacher vom Schlage Ian Paisleys prophezeien. Aber sie hätte vielleicht hier und da chauvinistische Aggressivität ablegen müssen, wie sie den Paradekriegern des Oranier-Ordens eigen ist.

Doch von diesen Aussichten ist man nun erst einmal wieder erlöst, nachdem die IRA am Dienstag ihr Abrüstungsangebot zurückgezogen hat. Es dauert eben noch, bis Nordirland zu einer Region des Vereinigten Königsreiches wird, die sich vom Status und den zivilisatorischen Standards her mit Schottland und Wales messen kann. Doch ist diese Perspektive näher, als es den Anschein hat, seit die internationale Abrüstungskommission am 7. August erklärte, die IRA habe eine »befriedigende Methode« zur vollständigen Vernichtung ihrer Waffen unterbreitet. Wir erleben in diesen Wochen möglicherweise die letzten Geplänkel vor dem Durchbruch. Dass dabei die Regionalexekutive in Belfast immer wieder strauchelt, überrascht nicht. Sie ist das erfolgreichste und zugleich verletzbarste Gebilde des Friedensprozesses.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden