Schrecklich komisch

EIN WITZ, ODER? Die Geburt des Humors nach dem Ende der Spaßgesellschaft

Ist es schon so weit, dass wir wieder lachen?" fragte in seiner ersten Sendung nach den Terroranschlägen in New York Harald Schmidt sein Publikum und traf damit voll ins Schwarze: Erleichtert brach es aus den Menschen hervor - das Lachen. Der Satz stellte eine kabarettistische Meisterleistung in Miniatur dar - zum einen, weil er im Wortlaut scheinbar unschuldig dem neu verbreiteten Misstrauen gegenüber der Spaßgesellschaft Ausdruck verlieh, zum anderen weil er eben jenes im gleichen Moment aufs Wirkungsvollste demontierte. Volle zwei Wochen hatte die Nation darauf gewartet, dass der Komiker auf den Bildschirm zurückkehrte, voller Erwartung saß man vor dem Fernseher und wollte - Ernst der Lage hin oder her - von ihm nun zum Lachen gebracht werden. Dementsprechend beantwortete sich die Frage wie von selbst: Wir waren in der Tat wieder so weit.

Rhetorisch griff Schmidt hier auf ein simples und bewährtes Verfahren der Komik zurück: Man maskiere sich als der Gegner, das finden alle sofort irgendwie lustig. Dasselbe Prinzip verfolgen auch die zahlreichen Bildmontagen, die zur Zeit im Internet kursieren: Präsident Bush mit Mullah-Kopfbedeckung und Rauschebart. Die Freiheitsstatue verschleiert mit Koran im Arm. Oder auch "New York 2006"- die Wolkenkratzer ersetzt durch Minarette und Moscheen. Schwer zu sagen, was hier genau den Anlass der Belustigung darstellt, die Angst der Amis vor einer islamistischen Invasion oder der Größenwahn von Al Quaida? Oder vielleicht auf besonders untergründige Weise jene umstrittenen Sätze über bin Laden und Bush und ihre "gleichen Gedankenstrukturen"?

Wer das zweifelhafte Glück hat, auf entsprechenden Email-Verteilerlisten zu stehen, kann sich auf jeden Fall dieser Tage kaum retten vor den witzigen Einfällen der Internet-Gemeinde. Da werden aus dem klangvollen Namen des Topterroristen sinnige Anagramme gebildet (Osama bin Laden - A lesbian nomad), wird seine Verhaftung gemeldet (nachdem er das neue Windows XP installiert hat, verriet die Online-Registrierung seinen Aufenthaltsort) und der schöne alte "Bananaboat-Song" von Harry Belafonte so trefflich umgedichtet, dass kaum noch jemand weiß, wie denn der Originaltext lautete: "Hey Mr. Taliban, telly me bin laden ...". Was das seriöse Feuilleton über das Ende des Ironie-Zeitalters verkündet, wird vom Internet widerlegt: Humor scheint seit dem 11. September erst wieder so richtig Spaß zu machen.

Aber vielleicht ist das ja gar kein Widerspruch, das Ende der Ironie und die neue Witzwelle. Wer vor den Terroranschlägen sich so manches Mal mit alten Bekannten der nostalgischen Erinnerung an die schönsten Anekdoten des Kalten Krieges hingab, wird wissen, woran es liegt: Erst eine gewisse Spannung der Verhältnisse verleiht den Witzen ihre Würze. Tatsächlich haben die wahren Komiker in den letzten zehn Jahren den Ernst bitterlich vermisst. Schließlich sind die Definitionswege des Komischen gepflastert mit Allgemeinplätzen, die da lauten: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht."

Ob man dazu im Einzelfall in der Lage ist, kann jeder täglich ausprobieren - die Geschmäcker sind da so verschieden wie das Niveau der Witze . Manchmal verrät die Unfähigkeit zu lachen eine mangelnde Distanz zu den Gegenständen, manchmal bringt uns gerade das zum Lachen, was uns besonders nahe geht. Wer lacht, verliert in jedem Fall ein Stück weit die Fassung - was ja genau betrachtet keinesfalls eine unangemessene Reaktion auf die Ereignisse darstellt.

Es sind im übrigen eher die schlechteren Witze, die eine bestimmte Tendenz verraten und sich ein konkretes Ziel, das es auszulachen gilt, vornehmen. In der Sowjetunion pflegte man deshalb auch sorgfältig zwischen der Satire, die ideologisch in Dienst genommen wurde und dem frei schwebenden Humor zu unterscheiden: Satire sei komisch, aber zugleich schrecklich; Humor dagegen einfach schrecklich komisch.

Auf Grund dieses innigen Bündnisses, das die besten Witze mit dem Schrecken eingehen, ermöglichen sie eine andere Art der Katastrophenerfahrung, eine Begegnung mit dem Zusammenbruch von Beherrschung und Ratio, die einen ganz individuell Skepsis lehren kann gegenüber den sorgfältigen Grenzziehungen von Anstand und Moral, von Feindbildern und Kriegsgegnern.

Die Taleban allerdings stellt man sich als die Ausgeburt des Ernstes vor (und manche erblicken darin ihre besondere Stärke!), undenkbar, dass in Afghanistan gelacht würde - es sei denn über Witze, die schon einen Bart haben.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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