Agisra (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung) wurde 1983 als interkulturelle Frauenorganisation gegründet und arbeitet bundesweit
FREITAG: Weshalb begeben sich Frauen in die Hände von Menschenhändlern?
Christiane HOWE: Das ist verschieden, manche Frauen sind gut ausgebildet, andere weniger, viele haben ihre Existenzgrundlage verloren. Wenn sie überhaupt Arbeit finden, ist die meist unterbezahlt, das Geld reicht nicht. Viele Frauen müssen für die Familie aufkommen, weil die Männer abgehauen sind, das heißt, oft neben dem eigenen Kind auch noch die Schwester, Mutter oder Tante mitzuversorgen. Die Frauen erhalten Angebote, in Europa zu arbeiten und sehen darin eine Chance. Manche wissen, dass es sich um Prostitutio
ssen, dass es sich um Prostitution handelt, manche haben auch schon als Prostituierte gearbeitet, andere glauben dem, was ihnen versprochen wurde. Manche Frauen nehmen Kredite auf, um Visa und Vermittlungsgebühr zu bezahlen, die meisten verschulden sich beim Vermittler selbst. Den Vermittler brauchen die Frauen, denn eine Arbeitsmigrantin, die nach Europa möchte, hat aufgrund der hiesigen Gesetzeslage kaum eine Chance hierherzukommen, obwohl Nachfrage da ist - in der Prostitution, im Reinigungsgewerbe oder auf dem Heiratsmarkt. Die Händler nutzen die Lücke zwischen gesetzlicher Abschottung und Nachfrage. Im Falle des Menschenhandels missbrauchen sie diese Position.Wie funktioniert der Handel mit osteuropäischen Frauen?Der Vermittler übergibt die Frauen für den Reiseweg an andere. Hier in der Bundesrepublik wird ihnen der Pass abgenommen, sie werden in einen Club, eine Sauna gebracht. Man droht ihnen, bis hin zu körperlicher Gewalt, auch die Familie im Heimatland wird als Druckmittel eingesetzt. Die Händler nehmen den Frauen die Kleider weg, erzählen ihnen, sie hätten gute Kontakte zur Polizei. In vielen Herkunftsländern sind Korruption und Machtmissbrauch verbreitet, wer Geld hat, hat Einfluss. Woher also sollten die Frauen annehmen, dass es hier anders sei - was es ja auch nicht immer ist. Das Wort "Polizei" ist angstbesetzt, die Frauen fürchten Razzien, Abschiebung. Manche hoffen, sich befreien zu können und eine andere Arbeit zu finden. Die Frauen sind in der Falle. Sie haben keine Sprachkenntnisse, werden oft von einem Bordell zum anderen oder von einem Zuhälter zum nächsten gebracht. So soll vermieden werden, dass sie eine engere Beziehung mit einem Stammkunden aufnehmen. Schon mehrfach haben Freier Opfer von Frauenhandel zu uns gebracht.Wie erfahren die Opfer, dass es agisra gibt und wie erfahren Sie von den Frauen?Wir gehen in die Bordelle und nehmen direkt Kontakt zu den Frauen auf. Wir bieten auch Deutsch- und Orientierungskurse an. Manchmal kommen Frauen zu uns, weil sie über Multiplikatorinnen in den Bordellen von uns gehört haben. Manchmal schaltet die Polizei uns ein, wenn sie bei Razzien in den Bordellen Opfer von Menschenhandel findet.Die Polizei wird also selbst aktiv?Und sollte zielgerichteter aktiv werden. Wir haben gemeinsam Konzepte zur Zusammenarbeit bei Verdacht auf Menschenhandel entwickelt. In Hessen wurden sie auch per Dienstanweisung umgesetzt. Aber in der Praxis hapert es noch. Die meisten Frauen arbeiten nach dem Ausländergesetz ja illegal. Ob die Beamten über diesen Tatbestand hinaus sehen, dass die Frau vor ihnen ein Opfer von Menschenhandel ist, hängt auch davon ab, wieweit die Beamten für die besondere Problematik sensibilisiert sind. Liegt ein Verdacht vor, sollten Zeugenschützer eingeschaltet werden und auch wir. Das geschieht zunehmend, aber noch nicht immer.Wie geht es für die Frauen weiter, nachdem sie aufgefunden wurden?Wir fordern eine mindestens vierwöchige Frist, in der die Frauen überlegen können, ob sie Aussagen machen wollen. Die Frauen haben traumatische Erfahrungen gemacht. Die Zeugenschützer stellen sicher, dass Daten verschlüsselt, Schutzmassnahmen getroffen, Ämtergänge gemacht werden. Wir, also agisra, organisieren die Unterbringung und Betreuung der Frauen. Entwickelt wurde das Schutzkonzept für diese Frauen, die Opferzeuginnen sind. Das klassische Konzept des Zeugenschutzes, für Kronzeugen, also Täter entwickelt, ist für die Frauen nicht geeignet: Es kommt unerträglichen Haftbedingungen nahe, die Frauen müßten völlig abgeschottet leben. Es gewährleistet auch keine Betreuung. Wichtig ist, dass die Frauen sich so weit stabilisieren, dass sie die Gefahren einer Aussage einschätzen können. Als Zeugin aufzutreten, bedeutet eine hohe Gefährdung, nicht nur in der Bundesrepublik. Die Täter drohen auch mit den Familien im Herkunftsland. Entscheidet sich die Frau auszusagen, erhält sie nach unserem Konzept eine Duldung über die vier Wochen hinaus bis zum Prozessende. Danach ist die Frage, wie groß die Gefährdung im Heimatland ist. Wenn sie nachgewiesen wird, erhalten die Frauen aus humanitären Gründen ein Bleiberecht. Ansonsten müssen sie zurück. Viele wollen gar nicht bis Prozessende bleiben, weil ihre Familien, ihre Kinder zuhause sind. Ein Prozess kann sich ja über ein, zwei Jahre hinziehen. Wir möchten auch erreichen, dass die Frauen in der Zeit, in der sie hier auf die Verhandlung warten, eine Arbeit aufnehmen oder eine Ausbildung anfangen können. Das Ausländerrecht untersagt das. Aber die Frauen müssen die Kontrolle über das eigene Leben wieder zurückgewinnen können. Nur Spielball von Wartefristen und Vernehmungen zu sein, ist psychisch zu belastend.Wieviele Frauen sind Opfer von Menschenhandel, wieviele werden aufgefunden und betreut?Je mehr Razzien in Bordellen, desto mehr Fälle. Aber die Dunkelziffer ist hoch. Wir von agisra sehen die Razzien durchaus zwiespältig, wir arbeiten ja auch mit Prostituierten, die in den Bordellen sind. Es kommt selten zu einem Prozess. Der Staat hat dabei primär das Interesse, gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen, wir achten darauf, dass die Frauen nicht nur instrumentalisiert werden. Durch die Kooperation, die runden Tische mit Ausländerbehörde, Innenministerium, Frauenministerium und BKA wird die Problematik transparenter. Die Sichtweisen der Beteiligten verändern sich.Wurden schon Täter verurteilt?Ja, einige Täter wurden tatsächlich wegen Menschenhandels verurteilt. Aber diesen Nachweis zu führen, ist schwer. Manche Frauen wissen gar nicht, wohin sie jeweils verschleppt wurden, häufig kennen sie nur die Vornamen der Händler. Oft weicht die Anklage auf "Förderung der Prostitution und Zuhälterei" aus. Das ist dann eher ein Witz. Manchmal ist es sehr frustrierend: Die Frauen haben so viel Kraft und Mut aufgebracht, sich für die Aussage entschieden mit all ihren Konsequenzen - und dann kommt der Täter mit zwei Jahren auf Bewährung raus. Bewährung - das macht natürlich noch mehr Angst. Deshalb können wir den Frauen auch nicht raten, dies oder das zu tun, sondern ihnen nur die möglichen Optionen aufzeigen. Schutz in den Heimatländern kann niemand garantieren.Gibt es in den Heimatländern Organisationen, mit denen eine Zusammenarbeit möglich ist?Ja. Gerade in Mittel- und Osteuropa hat sich viel getan, es gibt Schwesterorganisationen, die beispielsweise darum bitten, über die Rückkehr von Frauen informiert zu werden, um sie am Bahnhof abzuholen, sie zu betreuen. Denn an den Bahnhöfen werden die Frauen oft von den Händlern wieder abgefangen. Viele Frauen haben nur die Mitarbeiterinnen dieser Organisationen, um über ihre Erlebnisse zu sprechen. Manche NRO arbeiten auch in der Prävention, sie gehen in Schulen, klären in Kampagnen über die Gefahren dieser Jobangebote auf.Was ist über die runden Tische hinaus notwendig, um die Frauen zu unterstützen?Mehr Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, bessere personelle Ausstattung für die Betreuung der Opferzeugin. Aber auch die Ermittlungs- und Polizeibehörden sind oft nicht ausreichend gerüstet, daher sind sie oft gar nicht interessiert, genauer nachzufragen. Vergleicht man, wieviel Geld in die Bekämpfung des Frauenhandels und wieviel in den Kampf gegen Jugendkriminalität fließt, sieht man, dass die Prioritätensetzung eine politische Frage ist. Gewalt gegen Frauen steht nicht oben auf der politischen Tagesordnung, und Gewalt gegen Migrantinnen, hier nun im Zusammenhang mit Menschenhandel, noch weniger. Das drückt sich in den sehr engen Budgets der Beratungsstellen aus, interessanterweise aber eben auch auf der Ebene der Polizeibehörden, der Staatsanwaltschaften und Richter.Welche Rolle spielt die europäische Ebene? Ich denke an den '97er Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments zu Menschenhandel und Prostitution. Es gibt auch einzelne EU-Programme gegen Frauenhandel.Aufgrund des EU-Entschließungsantrages hat das Bundesfrauenministerium eine bundesweite "Arbeitsgruppe Frauenhandel" eingerichtet. In dieser Arbeitsgruppe ist neben anderen auch agisra vertreten, über uns ist auch der bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel einbezogen. Die Arbeit dort ist sehr konstruktiv, die Empfehlungen werden an die entsprechenden Ministerien weitergeleitet. Diese Arbeitsgruppe entwickelte auch das Kooperationsmodell, das inzwischen von mehreren Bundesländern angenommen wurde. Die Bundesrepublik hat das EU-Dokument unterzeichnet und kann darauf verpflichtet werden. Wir können ein Recht geltend machen und kommen damit aus der Bittposition heraus. Das ist wichtig.Das Gespräch führte Irene Rosenkötter
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