Schwitters’ Scheune

Erbe Der letzte Merzbau des Dadaisten zerbröckelt in England. An seinem 70. Todestag kam das Gebäude nun auf den Markt
Ausgabe 02/2018

Womöglich sind die Tage von Kurt Schwitters’ letztem Atelierhaus in Großbritannien gezählt. Schwitters’ Merz Barn befindet sich im Nationalpark Lake District im Norden Englands. Der Künstler, der 1937 nach Norwegen emigriert und von dort 1940 nach dem Überfall der Nationalsozialisten weiter nach England geflohen war, nutzte die steinerne Scheune nahe der kleinen Ortschaft Ambleside ab 1945 als Wirkungsstätte. Es handelt sich dabei um seinen vierten und letzten Merzbau, von denen keiner vollständig erhalten geblieben ist. Schwitters’ erster Merzbau, an dem er von 1923 an bis zu seiner Emigration in seiner Geburtsstadt Hannover arbeitete, wurde in den 1980ern in Teilen rekonstruiert und ist heute in der ständigen Ausstellung des dortigen Sprengel Museums zu sehen.

In die Wände der Scheune in Nordengland arbeitete Schwitters vor seinem Tod 1948 eine Collage aus vorgefundenen Gegenständen, Glas, Gips und Farbe ein, weshalb das Gebäude auch als ein Schlüsselwerk des Modernismus gilt. Während eine Wand der Merz Barn bereits in den späten 1960ern in die Hatton Galerie in Newcastle verlegt wurde, wird die Scheune selbst als wichtiges britisches Kulturerbe angesehen. Prominente Künstler wie Damien Hirst, Antony Gormley und Bridget Riley haben in der Vergangenheit Geld gespendet, um die Merz Barn zu erhalten.

Eigentümerin des Gebäudes ist eine kleine gemeinnützige Stiftung namens Littoral Arts Trust. Von 2000 bis 2012 wurde sie vom Arts Council England unterstützt, seit 2013 erhält sie von der Kulturstiftung jedoch keine Fördergelder mehr für den Erhalt des Gebäudes. Ian Hunter, der Vorsitzende des Littoral Arts Trust, erklärte deshalb am vergangenen Sonntag, dem 70. Todestag von Kurt Schwitters, er sehe keine andere Möglichkeit mehr, als das Gebäude auf dem freien Markt zu verkaufen. Der Wert der Merz Barn wird auf 350.000 Pfund (knapp 400.000 Euro) geschätzt. Hunter zufolge wurde die Stiftung bereits von einem chinesischen Kunstsammler und Multimillionär kontaktiert, der ihr die Scheune zu einem Festpreis abkaufen möchte, um sie in die chinesische Metropole Shenzen zu verlegen und dort als Teil seiner Sammlung auszustellen.

Immobilie und Irrsinn

„Der Arts Council England scheint fest entschlossen, uns dazu zu zwingen, die Merz Barn auf dem kommerziellen Immobilienmarkt zu veräußern“, kritisiert Hunter. „Das ist irrsinnig, immerhin sind bereits öffentliche Gelder in das Projekt geflossen.“ Seitens des Councils hieß es hingegen: „Es gehört nicht zu unseren Aufgaben, Kulturerbe zu erhalten und zu restaurieren. Das liegt in der Verantwortung anderer Organe.“ Man habe Schwitters’ Atelierhaus lediglich im Rahmen eines „zeitgenössischen Programms“ einige Jahre gefördert.

Der Nationalpark Lake District hat erst vor Kurzem den Weltkulturerbestatus der Unesco erhalten und die Merz Barn wurde in der Einreichung als eine seiner kulturell bedeutendsten Stätten genannt. Ian Hunter, 70, und die zehn Jahre ältere Celia Larner, die gemeinsam den Littoral Arts Trust am Laufen halten, haben seit 2012 ihre Ersparnisse, ihre Renten und den Erlös aus einem Hausverkauf in den Erhalt der Merz Barn gesteckt. Hunter hat das Gebäude bereits der Tate in London und dem Museum of Modern Art in New York als Schenkung angeboten. Beide Museen lehnten ab.

Frances Perraudin arbeitet als Reporterin im Büro des Guardian in Manchester

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