Selbsthaß eines Büchermachers

Die staatliche Zensur und deren radikalste Form, die Büchervernichtung, begleiten die Menschengeschichte seit Jahrhunderten. Als beispielsweise im ...

Die staatliche Zensur und deren radikalste Form, die Büchervernichtung, begleiten die Menschengeschichte seit Jahrhunderten. Als beispielsweise im Dreißigjährigen Krieg Tillys kaiserliche Truppen, vorweg die gefürchteten kroatischen Reiter, 1622 die kurpfälzische Metropole Heidelberg brandschatzten, drangen sie auch in das Haus des berühmten calvinistischen Gelehrten und Büchernarren Jan Gruter ein. Da die Straße vom Regen aufgeweicht und schwer passierbar war, warfen sie Gruters Bücher- und Handschriften-Schätze in den Schlamm, und die Hufe ihrer Pferde stampften sie alsbald zu Brei.

Heute gibt es, zumindest in unseren Breiten, weder Bücherverbrennungen noch eine effiziente staatliche Zensur. Der Grund dafür ist weniger in der moralischen Läuterung der Regierenden als im Bedeutungsverlust des geschriebenen Wortes zu suchen. Angesichts der sinnlichen Attraktivität der Massenmedien spielen literarische Texte im Kalkül der Mächtigen keine Rolle mehr. Ja die Literatur, und vor allem die poetische Sprache, erscheinen ihren Anhängern inzwischen als letzter manipulationsfreier Rückzugsort.

Umso erstaunter las ich das vorgestellte Gedicht, dessen Autor den kroatischen Reitern im nachhinein beizupflichten scheint. Wirf die Bücher »endlich weg«, und zwar »alle«, ruft das Dichter-Ich in fast beschwörendem Ton sich selbst zu und freut sich daran, wie die Schriften »schön und laut« auf dem Pflaster aufschlagen, wie statt der Pferdehufe ein Auto »in einen Roman« rast und ein Bus »ein paar Gedichte« überrollt.

Wird hier einer universalen, gesellschaftlich vermittelten Geringschätzung ironisch Beifall gezollt? Oder handelt es sich eher um eine lustvoll demonstrierte Befreiung von der Last der Geschichte? Oder gar um den Selbsthaß eines Büchermenschen, der mit seinem Gegenstand (verächtlich »Fetzen Papier« genannt) nicht mehr zurand kommt? Dies überrascht insofern, als Ludwig Fels alles andere als ein akademisch verzogener Intellektueller ist, den der Überdruß am kulturellen Erbe zum Autodafé anspornen könnte: vielmehr ist er einer der seltenen westdeutschen Autoren mit (sub-)proletarischem Hintergrund. Ohne das intensive Selbststudium der Poesie hätte er sich als Schriftsteller kaum durchsetzen können; er verdankt den Büchern (zum Beispiel Kerouacs, Ginsbergs, Nerudas) einiges.

Weshalb dann jetzt diese großspurige Absage an die Kunst, die ein wenig so klingt, als wäre sie 1968 fürs Kursbuch 15 formuliert worden? Ist sie Ausdruck einer individuellen Krise? Daß afrikanische (und andere) Diktatoren zugleich Dichter und Menschenschinder sind, spricht jedenfalls nicht gegen die Poesie. Wieso wird das Leben »begehrenswert leicht«, sobald die harmlosen Bücher, Gedichte und Briefe, vom Autor eigenfüßig zu »weißem Schlamm« zerstampft, auf der Straße im Regen liegen? Das soll uns der Fels (»Freiheit und Glück für alle!«) mal erklären.


Ludwig Fels

Fetzen Papier

Wirf die Bücher weg, wirf sie endlich weg
es knallt so schön, wenn sie unten
auf dem Pflaster aufschlagen
schön und laut.
Ein Auto rast in einen Roman
während ich alle Briefe zerreiße
und ein Bus überrollt ein paar Gedichte.
Der Polizist trifft das Keyboard
voll zwischen die Tasten
und im Computer spricht der Kanzler
über afrikanische Präsidenten
die Schriftsteller oder Dichter waren
Menschen fraßen oder sangen
wie schwarze Engel ...
Wirf die Bücher weg, wirf sie alle weg
und mit alle meine ich alle.
Das Leben wird begehrenswert leicht
der Wind spielt auf der Straße
und Regen pladdert im weißen Schlamm
in dem das Wort Gehen erscheint
hineingestampft
von mir.

Ludwig Fels ist 1946 in Treuchtlingen geboren. Er veröffentlichte mehrere Gedichtbände und Romane (Ein Unding der Liebe, 1981). Heute lebt er in Wien.
Das vorgestellte Gedicht stammt aus dem Jahrbuch der Lyrik 1998/99. (C.H. Beck-Verlag, München 1998, S. 57).

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