Sockel

linksbündig Klein aber gerecht: Die neue SPD

In Kreuzberg ist die ungerechte Welt noch in Ordnung. Ausbeutung ist Ausbeutung, Bullen sind Bullen, Autonome sind Autonome. Und die wissen, wo es lang geht: "Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern sondern zwischen oben und unten". Der Graffito steht am Giebel eines alten Backsteinhauses am abgewracktesten Kreuzberger Spreeufer, da, wo es immer noch so aussieht, wie in Peter Paul Zahl´s Kreuzberg-Roman Die Glücklichen, da, wo kein Sozialstaat mehr hinreicht. Doch direkt gegenüber diesem anrührenden Relikt einer untergehenden Welt baut eine andere verschworene Gemeinschaft eine gläserne Wagenburg. Die Gewerkschaft ver.di. Schon die tut sich schwerer in der Gesellschaft der Dienstleistungen und Kommunikationsströme die Himmelsrichtungen der Unterdrückung zu scheiden. Wo ist da oben? Und wo unten?

Vielleicht ist es das Imaginäre, das Ungreifbare des neuen Kapitalismus, das die rhetorische Verve alter Zeiten provoziert. Globalisierung+Privatisierung, die der amerikanische Politologe Benjamin Barber vergangenen Freitag auf einer Philosophiekonferenz der SPD immer gleich in einem geißelte, sind unsichtbare Gegner. Um so heftiger muss man sie attackieren. Der Professor für Civic Society aus Maryland, Berater Bill J. Clintons und Gegner George W. Bushs, zieh die Neoliberalen einer "Kriegserklärung an die Gemeinschaft". Es sieht natürlich schick aus, wenn die SPD sich einen so kämpferischen Intellektuellen ins Allerheiligste lädt, wie sie ihn in den eigenen Reihen kaum als Abweichler dulden würde. Auch über die Verdammung der neuen Beelzebuben G+P kann man sich auf hohem globalisierungskritischem Niveau schnell einigen. Außerdem klingt es herrlich radikal, den "Kapitalismus ohne Grenzen" mit einer "Demokratie ohne Grenzen" in die Schranken zu weisen. Doch wo genau will Barber damit wie anfangen? Und will er den Kampf wirklich mit diesen real existierenden Sozialdemokraten führen? Was ist deren Privatisierung von Kranken- und Rentenversicherung anderes als spätes Wasser auf die frühen Mühlen von Milton Friedman? Und was ist der Arbeitszwang, mit dem SPD-Generalsekretär Olaf Scholz unvermittelbare Arbeitslose glücklich machen möchte, anderes als die Abschaffung der Demokratie?

Die Theorie der "öffentlichen Güter", die SPD-Vize Wolfgang Thierse beim Barber-Treff entwickelte, klingt zwar gut. Thierse will, dass der Staat in Zukunft Verkehr, Kommunikation, Gesundheit, Umwelt, Kultur und Bildung, nur noch "ausreichend" bereit stellt. Nicht mehr alle Menschen sollen gleich gemacht werden, sondern gleiche Voraussetzungen vorfinden. Aus denen kann dann jeder etwas anderes machen - suum cuique, wie man im gerechten alten Preußen Friedrichs II. zu sagen pflegte. Lassen wir einmal die Frage beiseite, wie gut die (dann ja meist) privatwirtschaftlich hergestellten "öffentlichen Güter" sein werden. Kunden von Postbank, Bahn und Wasserwerk kennen sich da schon gut aus. Und ignorieren wir für einen Moment, dass die SPD auf das zentralste der "öffentlichen Güter", die Bildung, gerade Studiengebühren erheben will. Auch der SPD-Linke Thierse bedient also den negativen Zungenschlag gegen den alten Sozialstaat und seine "Transferleistungen". Obwohl gerade an demselben Wochenende, als die SPD neue Gerechtigkeitsformeln übte, die britische Erfolgsautorin Joanne Rowling bewies, wie kreativ man Umverteilung von oben nach unten organisieren kann. Die Top-Verdienerin hatte die Vorabdrucksrechte ihres neuen Harry Potter an die Arbeitsloseninitiativen abgetreten, während der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Clement rechtzeitig zur Demonstration gegen den Soziallabbau, einen Tag nach dem SPD-Philosophengipfel, die Senkung des Spitzensteuersatzes verteidigte. Der "Ruck", der nach Rowlings Initiative durch die deutsche Armenbewegung ging, sah aber nachhaltiger aus als die Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte des "aktivierenden Sozialsstaats" Scholzscher Prägung.

Einen Vorteil bietet das neue Nachdenken über die Gerechtigkeit vielleicht doch. Da der "Sockelbetrag" auf den die Basler Rechtsphilosophin Angelika Krebs Gerechtigkeit in Zukunft reduzieren möchte, sicher nicht mehr ganz so hoch ausfallen wird wie im verschwenderischen Füllhorn des alten Sozialstaats, hätte ein anrührendes Relikt der "öffentlichen Güter", die wie nach einem kalifornischen Flächenbrand dezimierte SPD, darunter noch komfortabel Platz. Die Zentrale der Partei steht ja schon in Kreuzberg. Und da ist bekanntlich viel Platz für Minderheiten.


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