Erstmals seit 1969 soll die SPD mit Frank Walter Steinmeier in einer Bundesregierung wieder den Außenminister stellen. Der designierte Nachfolger Joschka Fischers und enge Vertraute Gerhard Schröders mag in vielerlei Hinsicht für Kontinuität bürgen. Nicht zuletzt auch im deutsch-polnischen Verhältnis, dem eine Inventur winken könnte, wenn der Nationalkonservative Lech Kaczynski am 23. Dezember seinen Amtseid als Präsident Polens abgelegt hat.
Ob auch eine Kanzlerin Merkel gegenüber Warschau die Akzente anders setzt als unter Rot-Grün wird man frühestens wissen, wenn die Koalitionsverhandlungen beendet sind. Merkel will erklärtermaßen mit der deutschen Russland-Politik in Klausur gehen. Und wer über die deutsch-russischen Beziehungen befindet, lässt die zu Polen nicht unberührt. Der abgewählte deutsche Kanzler wies jüngst den scheidenden polnischen Präsidenten - bis dahin galt Aleksander Kwasniewski stets als enger politischer Freund - wenig diplomatisch in die Schranken, weil der angesichts deutsch-russischer Erdgas-Geschäfte sowie des geplanten Pipeline-Baus durch die Ostsee eine europäische und keine nationale Energiepolitik gegenüber Russland angemahnt hatte.
Die bisherige "Putin-Politik" könne so nicht fortgeführt werden, hat die Union vor der 18. September unablässig skandiert und in ihrem Wahlprogramm gar von einer "prinzipienlosen Russlandpolitik" der rot-grünen Regierung gesprochen. Künftig sollte über das Verhältnis zu Moskau nicht mehr "über die Köpfe der Nachbarn hinweg" entschieden, über "innenpolitisch problematische Entwicklungen Russlands" nicht länger geschwiegen werden. Besonders die "Achse Berlin-Paris-Moskau" wurde von der Union gern mit Argwohn bedacht. Es ist daher anzunehmen, dass eine Große Koalition in Berlin Wladimir Putins Präsidial-Demokratie in Moskau nicht mit jenem abgeklärten Gleichmut toleriert, wie das unter Gerhard Schröder der Fall war. Allerdings existieren - vorzugsweise in der deutschen Wirtschaft - einflussreiche Veto-Gruppen, die sich jeder substantiellen Revision der eingespielten Russlandpolitik widersetzen dürften. In Warschau freilich würde eine größere Distanz zu Moskau auf Sympathie stoßen. Wieder mehr Bush, weniger Putin und etwas weniger Chirac - dieser außenpolitische Cocktail würde die deutsch-polnischen Beziehungen unter einer Kanzlerin Merkel anders grundieren als zu Zeiten von Schröder und Kwasniewski.
Auch Polen könnte in den nächsten vier Jahren, sollten die momentanen Friktionen zwischen der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) oder der Bürgerplattform (PO) beigelegt werden, unter das Patronat einer "Großen Koalition" fallen. Inwieweit dabei der innenpolitische Rechtsruck auch die Deutschlandpolitik tangiert, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Festzuhalten ist, dass der Wahlkampf von Recht und Gerechtigkeit eine Ressentiment geladene antideutsche Stoßrichtung hatte. Viele Positionen führender PiS-Politiker sind nicht Europa- oder EU-kompatibel. Zwar wurde von Beobachtern vor der Sejm- und später der Präsidentenwahl allenthalben versichert, dies werde sich kaum in der Außenpolitik einer neuen Regierung spiegeln - nach den ersten Statements von Lech Kaczynski jedoch, die unmittelbar nach seinem Wahlsieg vom 23. Oktober zu hören waren, scheinen Zweifel angebracht.
Wie wird man in Warschau mit der andauernden Krise der Europäischen Union umgehen, sollte sich Berlin wieder zum kerneuropäischen Motor berufen fühlen und seine Ideen für die weitere Integration nach dem Scheitern der EU-Verfassung präsentieren? Nur in Kooperation mit Warschau wird das sinnvoll sein. Dieses Gebot der Verständigung gilt gleichermaßen für die Verhandlungen über das EU-Budget von 2007 bis 2013 wie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, der Warschau nie viel abgewinnen konnte.
Andererseits dürfte eine Große Koalition in Berlin eine konsistente Ostpolitik der EU gegenüber der Ukraine und Belarus befördern. Einer der wichtigsten Partner, die Deutschland dafür finden kann, ist Polen mit seinem Einfluss in der Region und seinen dortigen Netzwerken. Nur wird es im deutschen Interesse liegen, derartigen ostpolitischen Strategien jeglichen antirussischen Impetus zu nehmen. Auch wird sich eine Regierung Merkel dazu durchringen müssen, eine von Warschau gewünschte künftige EU-Aufnahme der Ukraine zu befürworten.
Wenn etwas die deutsch-polnischen Beziehungen belasten und zerrütten kann, dann sind es schwelende Eigentumsfragen und das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen". Die Einreichung von Restitutionsklagen der "Preußischen Treuhand" vor polnischen Gerichten lässt die öffentliche Diskussion in Polen bereits jetzt eskalieren. Selbst wenn die Gerichte, wie die meisten Juristen vorhersagen, diese Ansprüche abweisen werden - für die Dauer der Verfahren in Polen beziehungsweise vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Europäischen Gerichtshof wird die polnische Öffentlichkeit alarmiert bleiben, auch wenn die reklamierten Besitzansprüche bei Merkel und Steinmeier ebenso auf Ablehnung stoßen wie zuvor bei Schröder und Fischer.
Sehr viel komplizierter wird der Umgang mit dem vom Bund der Vertriebenen geplanten Berliner "Zentrum gegen Vertreibungen" (ZgV) sein. Dies kann die bilateralen Beziehungen enorm beeinträchtigen, wäre doch das "Zentrum" - jedenfalls in seiner jetzigen Form - Manifestation einer Neubewertung deutsche Geschichte. Dies wird - anders als die Begehren der "Preußischen Treuhand" - von Teilen des politischen Establishments in Deutschland gefördert. Die Union hat dieses Projekt in ihrem Wahlprogramm ausdrücklich unterstützt, dort heißt es: "Die deutschen Heimatvertriebenen und die deutschen Volksgruppen in Osteuropa haben auch nach der Osterweiterung eine wichtige Brückenfunktion bei der Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn. Wir wollen im Geiste der Versöhnung mit einem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ein Zeichen setzen, um an das Unrecht von Vertreibung zu erinnern und gleichzeitig Vertreibung für immer zu ächten." Mit Rücksicht auf die CDU/CSU-nahen Vertriebenenverbände lässt sich davon kaum abrücken. Rot-Grün hatte das Vorhaben stets zurückgewiesen, es wird daher aufschlussreich sein, welcher regierungsinterne Kompromiss gefunden wird. Am Ende dürfte das "Zentrum" jedoch nicht zu verhindern sein, so dass nur viel diplomatisches Geschick den Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen begrenzen kann.
Absehbar ist, dass im Augenblick die Kraft und der Wille für eine dringend notwendige, neue Sinnstiftung im bilateralen Verhältnis fehlen. Es erscheint wünschenswert, zumindest eine Periode der pragmatisch orientierten Kooperation einzuläuten.
Dr. Jochen Franzke ist Hochschuldozent an der Universität Potsdam
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